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Herr Jordan, die Schweiz braucht eine neutrale Währung!

Angesichts globaler Konflikte und grassierender Inflation dürfte sich eine Investition der Schweizerischen Nationalbank in Bitcoin als langfristig kluge Entscheidung erweisen.

Herr Jordan, die Schweiz braucht eine neutrale Währung!
Luzius Meisser (links) & Fabio Andreotti (rechts), zvg.

 

Anlässlich des Einfalls russischer Panzer in die ­Ukraine beschloss im Februar 2022 eine Gruppe westlicher Staaten, darunter die USA und EU-Mitgliedsstaaten, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Gemäss den Massnahmen, die als «nukleare Option» des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs gelten, sind dem Kreml nahestehende Banken von der Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (Swift) auszuschliessen und somit vom internationalen Finanzsystem abzukoppeln. Zugleich sei auch ein Grossteil der ausländischen Guthaben der russischen Zentralbank unverzüglich einzufrieren. Die Massnahmen machten deutlich, dass jede Zentralbank, die über grosse Fremdwährungsreserven verfügt, politisch von den jeweiligen Emittenten abhängig ist. Dies betrifft auch die Schweizerische ­Nationalbank (SNB), die von einem allfälligen Einfrieren ihrer Euro- und Dollarguthaben sehr empfindlich getroffen würde. Auf einen Schlag stünden Vermögenswerte in der Höhe des gesamten Schweizer Bruttoinlandsprodukts nicht mehr zur Verfügung.

Es ist zwar nicht damit zu rechnen, dass die EU bei ­einem politischen Streit mit der Schweiz leichtfertig von dieser «nuklearen Option» Gebrauch machen würde. Die Schweiz wurde aber immerhin schon aus einem Forschungsprogramm ausgeschlossen und es wurde ihr die Äquivalenz der Börsenregulierung aberkannt. Auch die USA hatten im mehrjährigen Steuerstreit wiederholt mit einem Ausschluss aus dem Dollarclearing gedroht, diese Drohung aber nie wahrgemacht, da sich die Angelegenheit dank der Kooperationsbereitschaft der Schweizer Banken erübrigte. Wie im Schach zählt in der Politik oft nicht das, was man tut, sondern das, was man tun könnte, wenn das Gegenüber sich nicht wunschgemäss verhält. Demnach wäre es weise, unsere Abhängigkeit vom Ausland stets im Auge zu behalten und wo möglich zu begrenzen.

Eine neutrale Währung für einen neutralen Staat

Nach dem Ausschluss der russischen Zentralbank werden sich auch andere Zentralbanken überlegen, wie sicher ihre Euro- und Dollarguthaben im Krisenfall wirklich sind, und das Ausweichen auf alternative Währungen erwägen, wobei Bitcoin eine solche Alternative darstellt. Bei Bitcoin handelt es sich um ein dezentrales Netzwerk, das über eine global verteilte Teilnehmerstruktur verfügt. Die digitale Währung hat weder eine Zentralbank noch ist sie einem Nationalstaat oder einem supranationalen Währungsraum zuzurechnen. Hinter dem Netzwerk steht auch keine private Genossenschaft wie Swift oder ein Bankenkonsortium. Das juristisch Paradoxe an Bitcoin: Das Netzwerk unterliegt mutmasslich allen Rechtsordnungen, in welchen die Software ausgeführt wird, und zugleich keiner einzigen Jurisdiktion. Bitcoin kann darum rechtlich als neutrale Währung bezeichnet werden.

Eine neutrale Währung bietet politische Vorteile für Kleinstaaten wie die Schweiz. Regierungen und Bevölkerungen, deren Auslandvermögen von heute auf morgen eingefroren werden können, weil sie sich auf ausländischen Bankkonten befinden, sind vom guten Willen anderer Staaten abhängig. Ferner ist die Neutralität eines Zahlungssystems für Personen, deren Aktivitäten für das Funktionieren einer Demokratie zentral sind, sogar überlebenswichtig. Ein neutrales Zahlungsmittel funktioniert ungeachtet der weltanschaulichen Einstellungen von Regierungen und international tätigen Firmen und Organisationen. Bitcoin ist resistent gegenüber Zensur und seine Nutzung je nach Verwendungsart von der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit geschützt. WikiLeaks etwa konnte sich auf Bitcoin verlassen, als Visa und andere Kreditkartenfirmen dem Journalisten- und Hackerkollektiv im Dezember 2010 den Spendenhahn zudrehten. Das Prinzip der Neutralität einer Währung richtet sich gegen die asymmetrische Machtpolitik von Staaten und internationalen Organisationen und schützt vor opportunistischem Aktivismus des Privatsektors.

Diese Eigenschaften von Bitcoin ergänzen die politische Neutralität der Schweiz, wie sie seit dem Wiener Kongress gilt und heute in der Bundesverfassung verankert ist, bemerkenswerterweise gut. Die Bedeutung der Schweizer Volkswirtschaft und diejenige des Schweizer Frankens als «Safe Haven»-Währung sind ebenfalls in diesem Kontext zu sehen. Der starke Schweizer Franken ist historisch betrachtet die Folge einer auf Stabilität ausgerichteten Geld- und Währungspolitik. Diese Politik wird untermauert durch das Prinzip der institutionellen Unabhängigkeit der Nationalbank, wie sie ebenfalls in der Bundesverfassung (Artikel 99) und im Nationalbankgesetz (Artikel 6) zum Ausdruck kommt.

Ein Antrag an die Nationalbank

Im Einklang mit der erwähnten Tradition und überzeugt von der Wichtigkeit der Unabhängigkeit unserer Institutionen, haben wir uns zusammen mit über dreissig weiteren Personen dazu entschieden, mit einem Antrag an die Schweizerische Nationalbank heranzutreten. Es handelt sich um einen vorsichtigen Vorschlag, der die geld- und währungspolitische Entscheidungsfreiheit der SNB respektiert. Mit dem Schreiben vom 1. Februar 20221 haben wir ein Traktandierungsbegehren für die kommende Generalversammlung vom 29. April 2022 eingereicht. Wir schlagen darin vor, dass die Nationalbank die technischen und operativen Voraussetzungen schafft, um bei Bedarf Bitcoin zu geld- und währungspolitischen Zwecken erwerben und halten zu können. Das Ziel ist es, dass die Aktionärinnen und Aktionäre der SNB zu diesem Traktandum an der Generalversammlung konsultativ abstimmen dürfen. Je nach Akzeptanz innerhalb der SNB wird es allerdings lediglich auf eine einfache Anfrage hinauslaufen.

Die Nationalbank hat sich seit 2013 regelmässig zu Bitcoin geäussert. Sie hat dabei immer einen sehr zurückhaltenden Standpunkt eingenommen. Dies ist verständlich, denn Bitcoin hat bei allen Vorzügen auch gewisse Limitationen: So sind die bezahlten Preise aufgrund der starren Angebotsmechanik volatil. Die Anlage in Bitcoins wirft auch keinen Ertrag ab, was nach Aussage der SNB ihre Bewertbarkeit erschwert. Ertragslosigkeit kann freilich auch den nur symbolisch verzinsten Anleihen des US-amerikanischen ­Finanzministeriums oder von EU-Mitgliedsstaaten vor­geworfen werden – oder den Goldreserven der SNB. Eine unverzinste Währungsreserve in einer Kryptowährung mit fest vorgegebener Geldmenge hat jedoch in den letzten Jahren einen besseren Werterhalt ermöglicht als eine Reserve in einer Fremdwährung mit negativem Realzins.

Bitcoin kann eine sinnvolle Ergänzung für ein Portfolio darstellen, das bereits über eine enorme Exposition gegenüber dem Ausland verfügt: Die SNB hatte per Ende 2021 Devisenanlagen im Umfang von gut 1000 Milliarden Schweizer Franken getätigt; fast 80 Prozent der Devisenanlagen hatten einen Bezug zum Euro- und US-Dollar-Raum; rund 77 Prozent davon betrafen Anleihen (insbesondere Staats- und Unternehmensanleihen) und rund 23 Prozent wurden in Aktien investiert. Angesichts dieser unglaublich anmutenden Zahlen würden wir eine gewisse «Neutralisierung» ausländischer Abhängigkeiten als zielführend im Sinne des Auftrags der SNB erachten. Als Faustregel könnte die Nationalbank beispielsweise jedes Jahr so viel in Bitcoin umschichten, wie sie auf ihren anderen Währungsreserven über negative Realzinsen verliert.

Bitcoin als Währungsreserve

Neben der Ukrainekrise sollten auch die bedrohlichen Inflationstendenzen in den USA und Europa als Menetekel gesehen werden. Im Februar 2022 betrug die Teuerung in den USA 7,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat – der höchste Wert seit 40 Jahren! Das zentrale Element des Bitcoin-Protokolls ist die Angebotsobergrenze von asymptotisch 21 Millionen Einheiten. Es gibt hier keine ausgeklügelte Zinspolitik der Notenbanken, sondern nur Softwarecodes. Darin finden staatliche und private Sonderinteressen keine Beachtung. Die Anlage in einer neutralen Währung wie Bitcoin gewährleistet auch diesen Aspekt besser als eine Investition in Aktien von Tech-Firmen, wie etwa Apple oder Facebook.

Die dezentrale Natur des Netzwerks und die begrenzte Schöpfungsmöglichkeit des Protokolls machen aus Bitcoin eine neutrale Währung. Eine Umschichtung der Währungsreserven in Bitcoin dürfte damit nicht nur eine langfristig kluge Anlageentscheidung sein, sondern würde darüber hinaus auch ideal die politische Unabhängigkeit des Landes und die institutionelle Unabhängigkeit der SNB stärken. Bitcoin ist kein Wundermittel. Die Kryptowährung sollte aber von der Schweizerischen Nationalbank angesichts der drohenden Herausforderungen als Anlageoption ernsthaft in Erwägung gezogen werden.


Lesen Sie die beiden Briefe an die SNB hier.

  1. Das Schreiben und weitere Korrespondenz können unter
    http://www.schweizermonat.ch/snb-brief heruntergeladen werden.

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