Herbst, allmählich
Ein vierteiliger Gedichtzyklus.
I
Wenn Braun ins Grün der Blätter schiesst
fast über Nacht in kleinen Dosen
wenn Wehmut in die Glieder zieht
(oder ist’s die alte Seele)
wenn Schatten länger werden
die Tage kürzer und die Wege
wenn Äpfel still erglühen
Gefühle krass verglühen
wenn Tiere Kälte wittern
und rasch ins Wärmere entfliehen
wenn Laub sich reimt auf Staub
und Freunde twittern: Sieh dich vor!
wenn Rilke in den Ohren summt:
Wer jetzt kein Haus hat
baut sich keines mehr
wenn wenn das Virus keine Ruhe gibt
wenn wenn es schlimmer kommt
wenn septembrinisch Nebel steigen
und Pilze in die Moose greifen
sei bei dir: die Stunde fällt dir in den Mund
II
Die Luft ist frisch zum Beissen
kein Glast kein Hitzestau
du siehst ins Asternrot
und grüsst die Vögel
sie picken Beeren Früchte
glücklich wild
sie kratzen an den Stämmen
Hamsterkauf? von wegen
nenn es Aufschwung des Gemüts
und brüste dich ihr Wesen zu verstehen
was Wespen denken: einerlei
sie sind sie kreisen stechen
das Faulige ist ihr Revier
die Süsse aller Herbste
der Mist das Goldlicht alter Wein
und Schmetterlinge taumeln
um die späten Blumen
punktiert
Tanz ohne Seil
so könnt es bleiben eine Weile
mit Morgentau
mit zugigen Melancholien
bis Härte kommt
sie kommt bestimmt
III
Alleen: halbentlaubt
Trophäen: abgeräumt
die Schwalben: weggeflogen
die Gartenbank: allein
die Hoffnung: arg verkatert
die Berge: zugeschneit
die Pläne: handverlesen
das Virus: sorgt für Streit
Ist Herbst Routine oder Los?
du erntest Obst und säst den Tod
du tust was die Natur so will
im zähen Abwärtsgang
nein, Schnäppchen keine
keine Posen frivoler Jagd
erlegt wird statt des Tiers der Jäger
das kracht
Die Angst liegt blank
in Farben hausgemacht
die Einsamkeit hat schlechte Gründe
so pack sie an
bevor der Schnee sie zündet
drüben warten Schwestern Brüder
ein Kind mit seinem Rechen
es liebt das Laub und seinen Zauber
es wird dich wecken
IV
Du ziehst die Mütze über
im Duett von Wind und Mensch
ist klar wer siegt
die Amseln fliehen in die Büsche
es flattern Gräser Falter
und kalt die Glut des Ahornstrauchs
sibirisch kreisen Raben um die Dächer
kreischend schwarz
du wappnest dich
du bist schon ganz
im Abschiedsmodus
es fällt was fallen kann
als welkten in den Himmeln ferne Gärten
na dann ist Zeit
dir einen Ruck zu geben
den Moment nicht zu verlassen
das Hier und Jetzt
und tauchen:
der Boden trägt