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Herausforderungen der EU-Wettbewerbspolitik

Von der Harmonisierung zum Regulierungsdialog Das Regieren ist in Europa schwieriger geworden. Die Qualität der «Leadership» des politischen Führungspersonals und der nationalen und europäischen Verwaltung wird darüber mitentscheiden, ob sich Marktwirtschaft und Wettbewerb gegen resignative Tendenzen durchzusetzen vermögen.

Wir erleben heute in Europa ein auf den ersten Blick erstaunliches Phänomen. Der Wettbewerb hat einen Siegeszug hinter sich, gleichzeitig stösst aber die Durchsetzung von Wettbewerbsprinzipien in konkreten Einzelbereichen der Marktwirtschaft auf erbitterten Widerstand, sodass man auch heute noch ohne Übertreibung von einer fortdauernden Bedrohung der Wettbewerbspolitik sprechen kann. Das Paradox ist nur scheinbar und hängt mit dem Zusammenbruch der Planwirtschaft zusammen. Das lange erwartete, aber dennoch überraschend eingetretene Ereignis hat die Sache nur scheinbar vereinfacht; denn die Kontroverse, die sich ursprünglich auf gegensätzliche Lösungsmodelle bezog, wird nun als Debatte um die konkrete Ausgestaltung des grundsätzlich erfolgreichen Modells geführt: Freie Marktwirtschaft, oder soziale, aufgeklärte oder sonstwie qualifizierte Marktwirtschaft?

Veränderungen auf strategischer Ebene

Die Globalisierung ist ein Kind der technologischen Entwicklung. Sie erzeugt ein Umfeld, das sich rasant verändert und nach neuen Regeln verlangt, weil sich die Problembereiche zunehmend vernetzen und punktuelle und sektorielle Lösungen verunmöglichen. Parallel zur Festsetzung neuer Regeln entwickeln sich neue Formen ihrer Umgehung. Daher ist eine ständige Überprüfung, Anpassung und Modernisierung der Regeln im Licht der praktischen Erfahrungen unumgänglich. Auch die effektive Durchsetzung der Wettbewerbsregeln ist eine immer wieder neue Herausforderung. Die Spannung zwischen der Absicht der Regierungen und der gesellschaftlichen Akzeptanz bei den Regierten ist ein Kernproblem, das oft unterschätzt wird.

Die wichtigste aktuelle Veränderung auf der strategischen Ebene betrifft das dynamische Verhältnis zwischen der Zentrale in Brüssel und den Entscheidungszentren in den Mitgliedstaaten. Bei 25 EU-Mitgliedern wird das Abwägen zwischen Arbeitsteilung, Kooperation und Autonomie noch komplizierter. Integrierte Märkte rufen nach einer zentralen Aufsichtsbehörde, die die systemischen Risiken minimiert. Das wird sich auch beim integrierten Finanzmarkt zeigen, bei dem man es bisher versäumt hat, unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit der europäischen Wettbewerbsaufsicht ein europäisches Überwachungssystem zu konzipieren.

Dass der Erweiterungsprozess die Wettbewerbspolitik gefährden oder hemmen könnte, ist unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Der Nachwuchs aus den Beitrittsländern ist aufgrund der schmerzlichen Erfahrungen mit der Planwirtschaft besonders wettbewerbsfreundlich und schneidet im qualitativen Vergleich mit dem Nachwuchs aus den Gründerstaaten hervorragend ab.

Konvergenz unterschiedlicher Regelungen

Es wäre vermessen, den Prozess der Globalisierung aufhalten zu wollen. Es kann sich heute nur darum handeln, ihn so zu beeinflussen, dass er zukunftsorientiert in die Strukturen integriert werden kann. Da eine globale Harmonisierung weder machbar noch notwendig ist, bleibt die Kollision zwischen unterschiedlichen Regeln

unvermeidlich. Das Konfliktpotential kann aber abgebaut werden, wenn man auf alle «Harmonisierungswut» verzichtet und dafür eine Konvergenz unterschiedlicher Regelungen anstrebt. Das entscheidende Stichwort heisst «Regulierungsdialog», und dieser Prozess ist zwischen der EU und den USA in vollem Gange, ohne dass dies von der Öffentlichkeit beachtet würde. Gesetze, die für den USA-Hausgebrauch geschaffen wurden, müssen für Europa nicht wegleitend sein. In einem kontinuierlichen regulatorischen Dialog sollen Konflikte frühzeitig erkannt und durch Annäherung der Regeln in Zukunft vermeidbar gemacht werden. Der Regulierungsdialog ist auch kompatibel mit einem Wettbewerb der Systeme, in dem ein Anreiz besteht, die erfolgreichere Regel zu exportieren bzw. zu importieren. Die EU ist für die USA zu einem «Globalisierungs-Laboratorium» geworden, in dem es sich zeigt, dass die Konvergenz unterschiedlicher Lösungen der hegemonialen Vereinheitlichung und der Harmonisierung überlegen ist.

Daseinsvorsorge, Gesundheitspolitik und Industriepolitik

Die europäische Wettbewerbspolitik steht vor allem in drei Sektoren vor grossen Herausforderungen. Die Debatte um die Öffnung der Institutionen der Daseinsvorsorge für den Wettbewerb (was nicht identisch ist mit «Privatisierung») zeigt ein sehr differenziertes Spannungsfeld. Die Befürchtungen, dass es dabei zu unüberwindlichen Konflikten kommen könnte, sind aber übertrieben. Die Politik hat in der Bundesrepublik schrittweise ein besseres Verständnis für ein Nebeneinander unterschiedlicher Lösungen und für ein sektorielles Vorgehen entwickelt. Was für die Telekom gut ist, kann nicht unbedingt direkt auf andere Bereiche, wie etwa die Wasserversorgung übertragen werden. Was die öffentliche Hand an Versorgungsleistungen zu erbringen hat, ist eine Frage, die auf nationaler Ebene abzuhandeln ist. Der jeweilige Bedarf ist national festzulegen, aber die Abwicklung des Strukturwandels soll nach europäischen Regeln erfolgen.

Das Gesundheitswesen ist mit seinen unterschiedlichen Mischformen staatlicher und privater Dienstleistungen ein zunehmend unbewältigter Problembereich der Wettbewerbspolitik. Der grenzüberschreitende Markt für Pharma-Erzeugnisse und die Mobilität der Patienten kann aufgrund unterschiedlicher Versorgungssysteme zu absurden Situationen führen. Die sogenannte «alte Industriepolitik» auf nationaler Ebene rückt glücklicherweise an den Rand des Interesses; dafür sind Bestrebungen im Gang, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie insgesamt zu fördern. Vor übertriebenen Erwartungen muss dabei allerdings gewarnt werden.

Und die Schweiz?

Auch die Schweiz kann sich der zunehmenden Verflechtung unserer Volkswirtschaften nicht entziehen. Im Vergleich mit den OECD-Staaten und mit der EU war ihre Wettbewerbspolitik bisher unterentwickelt. Die Schweiz gilt mit guten Gründen als Kartellparadies. Das Freihandelsabkommen von 1972 ist unzulänglich und in seiner wettbewerbspolitischen Substanz nie richtig aktiviert worden. Die wirtschaftliche Realität hat allerdings einen Druck erzeugt, unter dem das Schweizer Wettbewerbsrecht und die darauf abgestützte Praxis angepasst wurde. Die Bereitschaft zur Kooperation und zu einer weitgehenden de-facto-Anwendung des EU-Rechts kann aber nicht über den Anachronismus des derzeitigen Zustandes hinwegtäuschen. Es besteht ein offensichtliches Missverhältnis zwischen der Intensität der wirtschaftlichen Verflechtung und den zur Verfügung stehenden Regelungsinstrumenten.

Dr. Alexander Schaub ist Generaldirektor der EU-Kommission für Binnenmarkt. (alexander.schaub@cec.eu.int)

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