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Heile unternehmerische Welt

Es war einmal eine heile Welt. Sie war bevölkert von Gewerbetreibenden, selbständig Erwerbenden, kleinen und mittleren Unternehmen. Sie wussten, was es bedeutet zu wirtschaften. Es war die Zeit der einfachen Ökonomie: verdienen, sparen, reinvestieren. Dann aber übernahmen grosse multinationale Unternehmungen, zumeist Aktiengesellschaften, das Zepter und liessen die Gewinne der KMU niedlich erscheinen. Nun herrschte die […]

Es war einmal eine heile Welt. Sie war bevölkert von Gewerbetreibenden, selbständig Erwerbenden, kleinen und mittleren Unternehmen. Sie wussten, was es bedeutet zu wirtschaften. Es war die Zeit der einfachen Ökonomie: verdienen, sparen, reinvestieren. Dann aber übernahmen grosse multinationale Unternehmungen, zumeist Aktiengesellschaften, das Zepter und liessen die Gewinne der KMU niedlich erscheinen. Nun herrschte die Diktatur der (höheren) Angestellten. Seither riecht es – Beat Kappeler zufolge – nach «Dekadenz».

Kappeler, Publizist und früherer Sekretär des Schweizer Gewerkschaftsbundes, erzählt in seinem neuen Buch «Wie die Schweizer Wirtschaft tickt» (NZZ-Verlag) von einer Welt, die vielen Lesern heute fremd vorkommen dürfte. Es war die Welt des helvetischen Mittelstands in den 1960er und 1970er Jahren. Kappelers Vater, ein Schreinermeister, sparsam, bedächtig, fleissig, baute sein Unternehmen aus. Jeder seiner Dutzend Angestellten agierte selbst wie ein Unternehmer und gründete nach den Lehrjahren im Betrieb eine eigene Firma. Arbeiten, lernen, sein Glück versuchen: die soziale Mobilität wurde gelebt, die Klassenkampfrhetorik erwies sich als Kopfgeburt weltfremder Studenten, die zu viel Marx gelesen hatten. Aber genau in dieser «Entfremdung» der Theoretiker liegt ein Problem: seit Jahrzehnten – schreibt Kappeler – «sind in der euro-päischen Politik und in den Gewerkschaften Leute führend, welche die gewerbliche Mikroökonomie nicht mehr selbst erlebt haben». Sie gehen davon aus, dass das Gehalt Monat für Monat wie von Wunderhand auf ihrem Konto landet. Und sie haben irgendwie auch recht: denn genau so geschah und geschieht es.

Der Ökonom und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat in seinem Aufsatz «Freiheit und Unabhängigkeit» für die «Schweizer Monatshefte» den Wandel vom Unternehmer- zum Angestelltenkapitalismus schon beschrieben, als für Beat Kappeler die Welt noch in Ordnung war (1959). Er konterkariert den marxistischen Antagonismus zwischen Kapitalisten und Proletariern mit der Unterscheidung zwischen «Unabhängigen» und «Beschäftigten». Der Beschäftigte steht stets im Dienste eines anderen. Das hierarchische Denken wird ihm zur zweiten Natur, wobei er sich eine Risikobereitschaft bloss in Angelegenheiten bewahrt, in denen er mit dem Geld anderer hantiert. Hayek skizziert den Mentalitätswandel, der nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Implikationen hat, wie folgt: die Freizeit ist dem «Beschäftigten» oft wichtiger als die Arbeitszeit, die Sicherheit wichtiger als die Freiheit, das konforme wichtiger als das kreative Denken, das Konsumieren wichtiger als das Sparen.

Die Konsequenz in einer Demokratie liegt auf der Hand: die Mentalität der «Beschäftigten» setzt sich auch auf Gesetzesebene durch. Dem Unternehmer wird sein Leben immer saurer, er hat immer neue Vorschriften zu beachten, die Angestellten erhalten jenseits einer ausgewogenen Definition von Rechten und Pflichten stets neue Privilegien, ehemals unternehmergeführte Firmen verwandeln sich in grosse anonyme Aktiengesellschaften. «So kommt es», schreibt Hayek, «dass die Freiheit heute ernstlich von der Neigung der Mehrheit bedroht ist, ihre Werte und Ansichten den übrigen aufzuzwingen und viele Ausübungen der Freiheit zu beschränken, die für den Unabhängigen wesentlich sind, wenn er seine Aufgabe erfüllen soll.»

Und inmitten der Masse von Angestellten wird vom Unternehmer immer noch erwartet, dass er seine Aufgabe wie ehedem erfüllt. Nach wie vor wird in der Schweiz das Gros des Bruttosozialprodukts durch KMU und selbständig Erwerbende erwirtschaftet. Das Pro-blem ist, dass diese Unternehmer keine Lobby haben. Die «Unabhängigen» investieren ihre Zeit ins Geschäft und haben kaum Zeit für Politarbeit.

Auf die heile Welt der kleinen unternehmerischen Einheiten folgte die Welt der grossen Konglomerate. Wir erleben gerade, dass Grösse nicht vor Scheitern bewahrt – im Gegenteil. Kappelers Erinnerungen sind ein Plädoyer für kleine Einheiten und darum hochaktuell. Und so entdecken wir die alten Tugenden gerade wieder neu: verdienen, sparen, reinvestieren. Das ist nicht spektakulär. Aber solide.

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