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Heile, heile, Mundart

Dagegen verwahrt sich Andreas Neeser vehement: «Ich bin kein Archivar», sagt er, «ich will keine Wörter vor dem Aussterben retten. Im Archiv stirbt eine Sprache. Lebendig bleibt sie nur draussen, unter den Leuten.» – Oder drinnen, in den Büchern, liesse sich ebenso lebhaft nachtragen. Dann beispielsweise, wenn man sein Mundartbuch «No alles gliich wie morn» […]

Dagegen verwahrt sich Andreas Neeser vehement: «Ich bin kein Archivar», sagt er, «ich will keine Wörter vor dem Aussterben retten. Im Archiv stirbt eine Sprache. Lebendig bleibt sie nur draussen, unter den Leuten.» – Oder drinnen, in den Büchern, liesse sich ebenso lebhaft nachtragen. Dann beispielsweise, wenn man sein Mundartbuch «No alles gliich wie morn» vor Augen hat, und sich die darin enthaltenen Texte als so vital erweisen, wie man es sich in der Literatur nur wünschen kann.

Mit dem neuen, schmalen Band kehrt Andreas Neeser zu seinen Wurzeln zurück, in die Welt mit ihrer Sprache, die seine Kindheit im aargauischen Ruedertal geprägt hat. Die erdig-markigen Dialektwörter erweisen sich wie Formeln für einen farbig-üppigen Bubenkosmos mit seinen kleinen und grossen Geschichten, mit seinen Nöten und Ängsten und mit seinem Glück. In den Wörtern liegt die ganze Kraft der Texte, sie sind es, die die eindringlichen Bilder beschwören. Und gerade deshalb hat Andreas Neeser gut daran getan, sich selbst beim Erzählen zurückzuhalten. So gelingen ihm mit nur wenigen Sätzen dichte Stimmungsinhalte. So heisst es in der Geschichte «Uf dr falsche Siite vo dr Wält», einem Text über einen Linkshänder, der auf den «rechten Weg» gedrängt wird: «Mängisch het er s

Brüele zvorderscht ghaa – macht alles rächt, und zinnerscht inn isch alls verchehrt.»

«Begöönli», die vielleicht am meisten berührende Geschichte, erschafft auf knapp drei Seiten eine starke, beklemmende Atmosphäre. «Jede Samschtig hämmer s Tournee gmacht» – so beginnt die Schilderung des regelmässigen Friedhofbesuches von Vater und Sohn. Zusammen begiessen sie die Gräber der Verwandten – zwei oder drei Kannen voll Wasser, je nach Bedarf. Am Ende der Tour stehen sie am Grab des verunglückten Sohnes, des Bruders. Dort versagt das rechte Mass. Der Vater «het nume no gschüttet. Eifach gschüttet. Bis d Begöönli versoffe gsi sind. … De Vatter het voorabe gluegt, und ii han au nüüt gseit. Keis Stärbeswort». So wenige Worte können ausreichen, wenn ihr Gewicht, richtig gewogen, zur rechten Zeit zum Einsatz kommt.

Der zweite Teil des Bandes gehört der Lyrik, etwa dem Gedicht «Privatarchiv». Rhythmisch aneinandergereiht folgt Wort auf Wort. Es ist ein geduldiges Aufzählen, eine Bestandesaufnahme eines Mundartlagers, die Benennung als Vergewisserung in einer Welt, in der die Sprache mehr und mehr zur schnellen Phrase verkommt. Dagegen stellen sich Texte mit ungewissem Ausgang – Gedichte und Geschichten wie im Buch von Andreas Neeser. Wem, wenn nicht den Dichtern, sollte es gelingen, die Wörter zu hegen und zu pflegen – sich als Wort-Heiler zu begreifen. Damit sie am Leben bleiben.

vorgestellt von Silvia Hess, Literaturkritikerin, Ennetbaden

Andreas Neeser: «No alles gliich wie morn». Oberhofen: Zytglogge, 2009

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