Hans-Ulrich Sonderegger: Vom kalten Krieg zum heissen Frieden
Novalis Verlag: Schaffhausen, 2006
Der Journalist schreibt, wie sein Name sagt, für den Tag. Er vermittelt und kommentiert aktuelle Informationen. Es bleibt wenig Zeit, den Ursachen der Ereignisse nachzugehen, ihre Bedeutung in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und richtig zu gewichten, Distanz zu abschliessendem Urteil zu gewinnen. Gerade deshalb ist es reizvoll und lehrreich, wenn ein Journalist es unternimmt, einen Querschnitt seines Schaffens im Zusammenhang zu publizieren, wie H.-U. Sonderegger mit seinem zweibändigen Werk «Vom Kalten Krieg zum heissen Frieden» dies tut. Sonderegger hat während vier Jahrzehnten als Auslandjournalist über das Weltgeschehen berichtet, zuerst bei der «Appenzeller Zeitung», dann beim «Badener Tagblatt», bei der «Aargauer Zeitung» und schliesslich als Chefredaktor beim «Burgdorfer Tagblatt». Informationsreisen haben ihn in weite Teile der Welt und an viele Krisenherde geführt, und manche seiner Texte tragen den lebendigen, unmittelbarer Anschauung entspringenden Charakter von Erlebnisberichten. Aber auch die Zeitkommentare, die Sonderegger im Redaktionsbüro verfasst hat, bleiben nah an den Ereignissen, sind engagiert und couragiert und zeugen von einer starken, kämpferischen Persönlichkeit, die das scharfe Urteil nicht scheut und den Widerspruch auszuhalten vermag.
Das vorliegende Werk versammelt eine grosse Zahl aussenpolitischer Kommentare aus der Zeit vom Vietnam-Krieg bis in die unmittelbare Gegenwart. Das erste Buch unter dem Titel «Gestern» führt den Leser bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion; das zweite befasst sich unter dem Titel «Heute und Morgen» mit Gegenwartsfragen, wie den Konflikten am Persischen Golf, der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzung, der Ausländerfrage, der Europäischen Union oder dem wirtschaftlichen Aufstieg der Völker Asiens. Wir wissen nicht, und es wird nirgends verdeutlicht, nach welchen Kriterien der Autor die Auswahl aus seinen Texten vorgenommen hat; denn eine Auswahl muss es, trotz aller Reichhaltigkeit und Vielfalt des Präsentierten, wohl sein. Sonderegger unterteilt seine Textsammlung in zwanzig Kapitel, die er jeweils mit einer Einleitung versieht – schade nur, dass diese Einleitungen nicht deutlicher von den Kommentaren abgehoben werden, was dem Leser die Orientierung erleichtern würde.
Der grösste Teil der hier versammelten Kommentare steht im Zeichen des Kalten Krieges und des Gegensatzes zwischen den beiden Supermächten, der die Weltpolitik bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion bestimmt hat. Der Autor lässt von Beginn an keinen Zweifel an seinem unbeugsamen Antikommunismus, der sich auf das entschiedene Bekenntnis zur demokratischen Staatsform und zur Freiheit des Individuums stützt. Auch sein Bekenntnis zu den USA, gegründet auf die Hilfe des Alliierten im Zweiten Weltkrieg und die unentbehrliche Schutzmachtrolle danach, ist fest und unerschütterlich. Sonderegger bekennt sich freimütig dazu, ein «kalter Krieger» zu sein, und er nimmt Anstoss an der diskriminierenden Bedeutung, die diesem Begriff oft unterschoben wird, wo es sich doch um einen Ehrentitel handle.
Früh zeigt sich, dass Sonderegger an zwei Fronten kämpft. Er nimmt nicht nur vehement Stellung gegen den Kommunismus, sondern auch gegen eine linksintellektuelle westeuropäische Berichterstattung, die im sowjetischen Vorbild, in der marxistischen Lehre oder allenfalls in einem subtil abgewandelten Eurokommunismus eine Zukunftshoffnung sieht. Die Erbitterung über das Deutungsmonopol, das sich die Linke in weltpolitischen Fragen angemasst hat, ist auf fast allen Seiten dieser beiden Bände präsent. In mancher Hinsicht ist Sonderegger hier beizustimmen. Man muss vielleicht das wichtige Buch des vom Marxisten zum Demokraten gewordenen französischen Historikers François Furet «Le passé d’une illusion» gelesen haben, um ganz zu begreifen, welche Faszination bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts von Moskau ausging – trotz allen Säuberungen und Schauprozessen, trotz Hitler-Stalin-Pakt, trotz der brutalen Niederwerfung von Aufständen in Berlin, Budapest, Prag und anderswo.
Allerdings neigt Sonderegger dazu, die politische Bedeutung dieses Linksintellektualismus zu überschätzen. Blickt man über die Jahrzehnte zurück, haben die Herausforderungen der protestierenden Studenten, der Terroristen der RAF und anderer radikaler Gruppierungen kaum mehr erreicht, als die Widerstandskraft des demokratischen Staates sichtbar zu machen. Auch trägt die Gleichstellung von Linksintellektualismus und Antiamerikanismus wenig zum differenzierten Urteil über die amerikanische Aussenpolitik bei – wie überhaupt der Begriff des «Antiamerikanismus» schon angesichts der rasch voranschreitenden Amerikanisierung unserer Gesellschaft seine Fragwürdigkeit erweist.
H.-U. Sonderegger ist ein Kommentator cum ira et studio, ein konservativer Liberaler von klarem Profil, und man wird seine Texte, die von einem Vorwort Eduard Stäubles und einem Nachwort Walther Hofers flankiert sind, mit Zustimmung, aber auch mit Widerspruch lesen. Immer aber bleiben diese Kommentare anregend und die Argumente bleiben bedenkenswert. Solche Lektüre ist ein probates Mittel gegen jene staatsbürgerliche Lauheit, die wohl auf Dauer die weit gefährlichere Bedrohung unserer Demokratie darstellt als die Linksintellektuellen.
besprochen von URS BITTERLI, emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Zürich.