Hanoi, Kulturschock
Meine Asientour ist in vollem Gange. Mag ja sein, dass sich die Metropolen der Welt immer mehr ähneln – ich leide bei der Ankunft in jeder asiatischen Stadt immer noch unter sogenannten «Kulturschocks»: Ich bin dauermüde, alles schmeckt anders und, ja, neu ist nicht immer gut. Bis vor kurzem steckte ich in einer solchen Schockstarre. […]
Es begann wie erwartet: Am Flughafen wurde ich von einem Vietnamesen abgeholt, der kein Wort Englisch sprach. Auf der fast einstündigen Autofahrt zum Hotel, draussen dunkelste Nacht in Regenschleiern, schwiegen wir uns an. Durch das Fenster konnte ich nicht viel sehen, vielleicht besser so. Hanoi hiess mich nicht willkommen. Im Hotelzimmer angekommen, habe ich mich sofort ins Bett geworfen und bin eingeschlafen. Das Frühstück am nächsten Morgen war eine kulinarische Geisterbahn. Was mich wie ein süsses Vanilletörtchen anlächelte, enthüllte sich als süss-sauer-salzig-scharfes Frucht-Gemüse-Gebäck. Das Schoggigipfeli hätte mich versöhnen sollen, einzig: Die Schokolade war salzig und nicht süss, ich verzog das Gesicht, stopfte, legte die Serviette auf den Teller, probierte keinen Kaffee, ging.
Als ich aus dem Hotel trat, wurde ich beinahe von einer vorbeirasenden Vespa überfahren. Und diese Vespa war denn nur der Anfang einer gemeingefährlichen Irrwanderung durch eine von Motorrädern, Autos, Camions und Bussen beherrschte Stadt mit unzähligen verwinkelten Strassen und Gassen. Gedankenverloren herumschlendern lag nicht drin, abgekämpft stolperte ich zwischen Kühllastern und Motorradgangs in einen traurigen Souvenirladen, kaufte ein Seidentuch, obwohl ich mir geschworen hatte, niemals Souvenirs zu kaufen. Ich kaufte es, um wenigstens eine einzige schöne Erinnerung an Hanoi zu haben. Denn im Prinzip wollte ich nur noch eines: zurück nach Hause. Und einen Kaffee vielleicht.
Am frühen Abend traf ich dann den Konzertveranstalter, der mir für die kommenden Tage ein Klavier zum Üben organisiert hatte. Dieses Klavier stand am hintersten Ende einer Boutique, deren Kunden einen ähnlichen Lärmpegel erzeugten wie die Lkw auf der Strasse. Ich spielte, den Tratsch im Hintergrund, das Knistern und Klappern, konzentriert darauf, die eigenen Töne vom Getön zu separieren. Nach dem Einspielen beschäftigte ich mich mit Liszts «La Campanella». Und während ich sie spielte, geschah etwas, das mir – zum ersten Mal seit der Landung in Hanoi – ein Lächeln auf die Lippen zauberte: Hinter mir begann plötzlich jemand, die Melodie mitzusummen. In diesem Moment öffnete sich vor mir eine Tür zwischen West und Ost, und ich öffnete mein Herz für eine Stadt, die auf den ersten Blick befremdend, ja abweisend wirkte. In der hintersten Ecke einer Boutique wurden mir mit einem Male so viele schöne Details meiner Hanoi-Odyssee bewusst, dass ich mich tatsächlich fragte, wie ich all das hatte sehen, aber nicht bemerken können. Vietnam war plötzlich sympathisch.
Musik verbindet – der Satz wird gern dahingesagt, aber so klar wie in diesem Augenblick ist mir sein Sinn noch nie gewesen. Ich drehte mich fröhlich um, der summende Vietnamese lächelte mir zu. Ich lächelte zurück. Das war dann schon das zweite Mal. Hanoi ist schön.