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Handwerkszeug für die Ewigkeit
Eva Jaisli. Bild: PB Swiss Tools.

Handwerkszeug für die Ewigkeit

Wen repräsentiert Economiesuisse? Zum Beispiel die Schraubenzieherfabrik PB Swiss Tools im Emmental. Sie behauptet sich Regulierungen und politischen Schwierigkeiten zum Trotz gegen die internationale Konkurrenz. Was ist das Erfolgsrezept des Familienunternehmens?

 

Es ist der 19. Dezember 2019, der zweitletzte Tag, an dem nonstop produziert wird bei PB Swiss Tools im unteren Emmental. Zum Jahresende werden viele Maschinen revidiert und neue Anlagen in Betrieb genommen, die Produktion steht still zu dieser Zeit. Im Chefbüro der vierstöckigen Produktionshalle empfängt Firmenchefin Eva Jaisli mit Kaffee und Gipfeli. Eine kurze Präsentation, und dann geht es gleich los im Laufschritt durch die Produktionshallen. Die Fertigung von PB Swiss Tools ist aufgeteilt in verschiedene Produktionswerke in der Gemeinde Sumiswald.

Fast alle der 190 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – viele von ihnen tragen ein rotes T-Shirt oder einen roten Pullover von PB Swiss Tools – sind im Emmental zu Hause: «Es ist eine interessante Region mit verschiedenen Hightech-Firmen. Allein Sumiswald bietet etwa 2500 Arbeitsplätze», sagt Jaisli. Ein Check auf sumiswald.ch zeigt, dass die Gemeinde 5048 Einwohner hat, davon rund 7 Prozent Ausländer. Im Rundgang bestätigt es sich: Es sind Emmentaler an der Arbeit. Ein Drittel von ihnen sind Frauen, ein Zehntel Lehrlinge und ebenfalls ein Zehntel ehemalige Flüchtlinge aus Sri Lanka, heute integriert in die hiesige Wirtschaft und mit Kindern, die die Lehrstellen im Betrieb besetzen. Jaisli ist es wichtig, dass die Kultur im Betrieb stimmt und dass die Mitarbeiter stolz auf ihre Arbeit und ihren Arbeitgeber sein können.

An der Arbeit

Die Mitarbeiter im Betrieb sind tatsächlich ausnahmslos alle an der Arbeit. Sie überwachen die verschiedenen Maschinen, laden Material nach, betreiben Qualitätskontrollen. Auf Monitoren sind die Produktionsprogramme zu sehen. Niemand trinkt Kaffee, niemand studiert sein Mobiltelefon, niemand ist untätig. Beim Rundgang faszinierend ist der Wechsel der Gerüche in den verschiedenen Produktionshallen: Es riecht auf immer wieder unterschiedliche Weise nach Stahl, Öl, Plastik – und nochmals ganz anders in der Härterei, wo Jaisli vorführt, wie biegsam nicht gehärteter Stahl und wie unbiegsam gehärteter Stahl ist. Die Maschinen für Komplettfertigung arbeiten vor sich hin, durch Sichtfenster kann man der Produktion zuschauen. Jeden Produktionsschritt einzeln nachverfolgen kann man in der spanlosen Verformung bei einer Maschine, die in der Regel Schraubenzieherklingen herstellt, vor Weihnachten aber mit der Fertigung von Fleischfonduegabeln ausgelastet ist. Meistens aber sieht man hinter den Sichtfenstern nur viel spritzendes Öl und Wasser. Wasser, das dem hiesigen Bach entnommen wird und, nach einer Reinigung im Haus, mindestens so sauber wie vorher wieder in ihn zurückfliesst.

Produktionshalle von PB Swiss Tools, fotografiert von Ronnie Grob.

Einer Concentra 90-6 von Tampo Print können wir zusehen, wie sie Hämmer bedruckt, die ihr von Roboterarmen hingelegt werden. Prompt bringe ich den Produktionsprozess durcheinander und trage wohl zur Ausschussware bei, weil ich einen Hammer in die Hand nehme, dessen Druckfarbe noch nicht trocken ist. Aber an sich sollte das kein Problem sein hier, denn Fehlerkultur und Feedbackkultur werden grossgeschrieben. «Wir lernen aus Fehlern, um uns zu verbessern», heisst es, weisse Schrift auf rotem Grund, auf einem Plakat in der Halle. Und auf einer Pinnwand ist zum Thema Vorschlagswesen zu lesen: «Ziel: 80 Prozent der Vorschläge sind innerhalb von 12 Monaten abgearbeitet.» Darunter ein Zettel mit verschiedenen Vorschlägen, die gerade «in Arbeit» sind.

Industrieroboter setze man hier schon lange ein, erzählt Jaisli: «Ich bin froh darüber, dass wir 1982 als vierter Industriebetrieb in der Schweiz damit angefangen haben. Unser Plan ist es, mehr und mehr von der getakteten Fertigung zur vollautomatischen Fertigung zu gelangen – also vom automatisierten Industriebetrieb zur intelligenten Fabrik.»

100 Prozent

100 Prozent sind zwei Dinge hier: Erstens gehört die Firma zu 100 Prozent der Familie, aktuell Eva Jaisli (CEO) und ihrem Ehemann Max Baumann (CTO). Sie führen das Unternehmen in der vierten Generation. Sie haben zusammen vier Kinder, die zur Firma stehen, wie Eva Jaisli sagt. «Wir haben mit unseren Kindern die Inhaberstrategie definiert. Wir wollen das Unternehmen in der Familie behalten.» Sohn Marco arbeitet bereits im Unternehmen mit.

Und die zweiten 100 Prozent? Es werden ausnahmslos alle 3000 Artikel im Sortiment, alle 12 Millionen jedes Jahr gefertigten Stücke in der Schweiz produziert, hier in Sumiswald. Das Rohmaterial wird direkt in Deutschland und Italien eingekauft. An die Endkunden und an die Industrie verkauft werden die Produkte von Vertriebspartnern, meist hochspezialisierten Handelsunternehmen. 28 Prozent der Produktion werden hierzulande vom Fachhandel verkauft. Die anderen 72 Prozent werden in mehr als 85 Länder verkauft: Fixfertig verpackt geht die Ware nach Kloten aufs Flugzeug oder nach Basel aufs Schiff.

 Mehr Freihandel bitte

Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu erhalten, wünscht sich Jaisli mehr Freihandelsabkommen, und zwar in den Märkten mit Potenzial für Schweizer Qualitätsprodukte. «Wir müssen uns auf Freihandelsabkommen verlassen können, die auf Augenhöhe sind mit denen der EU», sagt sie. Aber das sei nur die eine Seite. «Wir müssen die bestehenden, ausgehandelten Rahmenbedingungen auch stets nachverhandeln. Das ist ebenso wichtig wie das Aushandeln neuer Abkommen.» Mit Japan etwa bestehe seit rund 50 Jahren ein Freihandelsabkommen, und die Zusammenarbeit mit den Behörden, aber auch mit den japanischen Kunden klappe hervorragend. Sie wünscht sich ebenso gute Voraussetzungen in wachsenden Märkten wie Vietnam, Indien, Indonesien oder den Mercosur-Staaten. Mit Indonesien etwa ist bereits ein Abkommen abgeschlossen, jedoch noch nicht ratifiziert.

Sorgen dagegen kommen auf, wenn es um Europa geht. Die unklare Beziehung zum EU-Binnenmarkt belastet die Firma. Die guten bilateralen Beziehungen, die engmaschigen Verbindungen zu den Nachbarländern seien ganz entscheidend, sagt Jaisli. Bisher könne die Schweiz ohne Einschränkungen am EU-Binnenmarkt teilnehmen, der gegenseitigen Anerkennung der Konformitätsbewertungen (MRA) sei Dank. Bis Mai 2020 ist aber ein Nachverhandeln dieser Anerkennung notwendig. Die Frage, ob die EU-Kommission diesem Begehren nachkommt, sollte das institutionelle Rahmenabkommen nicht abgeschlossen sein, ist aber offen. Wenn nicht, hätten die Schweizer KMU mit Wettbewerbsnachteilen zu rechnen.

Wie gut ist eigentlich der Standort Schweiz generell? «Was Forschung und Entwicklung angeht, erhalten wir die notwendige Unterstützung von Fachhochschulen und Universitäten, und das spricht für den Standort Schweiz», sagt Jaisli. «Grossen Aufwand dagegen haben wir bei der Einhaltung der regulatorischen Anforderungen.»

«Wir müssen uns auf Freihandelsabkommen verlassen können,
die auf Augenhöhe sind mit denen der EU.»

Geheimrezepte

Seit 1878 stellt PB Swiss Tools Werkzeuge her, in den ersten Jahrzehnten nur für die Landwirtschaft und das Gewerbe. Es war zu Beginn nicht mehr als eine Schmiede am Ende des Tals, die ab dem Zweiten Weltkrieg Werkzeuge für die Armee herstellte: «Mein Schwiegervater hatte den Ehrgeiz, die moderne Serienfertigung aufzubauen», erzählt Jaisli. «Er entwickelte Topprodukte, die mit moderner Fertigungstechnologie hergestellt wurden und die Ansprüche der Schweizer Armee übertrafen.» So sei der Erfolg von PB Swiss Tools, den man seit 1941 bei den Profis der Industrie und bei den Heimwerkenden sucht, auch heute noch direkt abhängig von der eigenen Innovationskraft und Qualität.

«Mit unserem Werkzeug wird leider viel eingebrochen.»

Man will absolute Präzision und Dauerhaftigkeit bieten, und das fängt schon an bei der Auswahl der Rohmaterialien. «Wir haben beispielsweise eine eigene Rezeptur für Stahl, die einmalig ist und auch geheim», sagt Jaisli. Die auf Federstahlbasis entwickelte Legierung hat besonders hohe Härtewerte, einmalige Zähigkeits- und Federeigenschaften. Fast entschuldigend fügt Jaisli an: «Mit unserem Werkzeug wird leider viel eingebrochen.» Die Kriminalpolizei wende sich öfters an sie, um herauszufinden, wann genau eines ihrer Werkzeuge das Haus verlassen habe. «Wir können jeden Schritt in der Herstellung unserer Produkte über die Seriennummer rückverfolgen. Ein Service, der auch auf der Webseite in Anspruch genommen werden kann.»

Ein Schraubenzieher von PB Swiss Tools soll also nicht nur ein zuverlässiger, sondern ein lebenslanger Begleiter sein. Das habe mitunter durchaus auch eine emotionale Komponente, erzählt Jaisli: «Viele der Kunden können und wollen sich kaum noch von ihrem perfekt in der Hand liegenden Lieblingswerkzeug trennen. Diese Emotionalisierung findet aber beim Endkunden statt. Wir schaffen nur die Voraussetzungen dafür.»

Vorstoss in neue Gefilde

Seit mehreren Jahren stellt die Firma auch Instrumente für den Operationstisch her – Set-Lösungen, um Implantatschrauben zu lösen. Sie stehen ganz in der Tradition der bisherigen Produkte. Vereinfacht gesagt handelt es sich nämlich um Schraubinstrumente für Chirurginnen und Orthopäden. Setzen sie sich durch, könnten etwa die steril verpackten Extraktionsinstrumente, die lediglich für eine Einmalnutzung in Frage kommen, einen hohen Umsatz generieren. Mit ihnen ist es möglich, auch in den Knochen eingewachsene, abgebrochene oder auseinandergebrochene Schrauben aus Implantaten zu entfernen. Der neue Geschäftszweig macht bereits etwa 15 Prozent des Umsatzes aus.

Nach einer kurzen Autofahrt durch die idyllische Landschaft haben wir die Produktionshalle in Wasen erreicht. Hier laufen handwarme Schraubenziehergriffe vom Förderband und fallen in eine Kiste. Sie entstehen im Spritzgussverfahren, das von Industrierobotern gesteuert wird. Neuheiten wie die Drehmomentgriffe werden hier gefertigt, um anschliessend in der Endmontage mit Modulen für hochpräzise Auslösemechanik ergänzt zu werden. PB Swiss Tools führt jedes Jahr neue Produkte im Heimmarkt und in den Exportmärkten ein, was für die Bekanntheit der Marke und die Erweiterung der Marktanteile von hoher Bedeutung ist.

Im Buch «Der beste Rat», in dem Schweizer Unternehmer ihre wichtigsten Ratschläge wiedergeben, plädiert Eva Jaisli für den Perspektivenwechsel. Sie schreibt etwa: «Die Dinge aus dem Blickwinkel der anderen Beteiligten oder Betroffenen zu betrachten, kann sogar dazu führen, dass man ganze Prozesse oder Prozessketten, die bereits etabliert sind, überprüft und verbessert.» Diesen Rat sollten sich alle, die über Schweizer Wirtschaft schreiben oder Regulierungen für die Schweizer Wirtschaft ausarbeiten, zu Herzen nehmen und einmal die Sichtweise einer Unternehmerin einnehmen. Ein Besuch im Emmental kann zu ganz neuen Einsichten verhelfen.

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