Handelt der deutsche Staat legitim?
Deutschland kauft illegal erworbene Steuer-daten. Damit wagt es sich weit vor. Und schadet sich selbst. Eine deutsche Aussensicht.
Soviel vorweg: aus deutscher Sicht lässt sich mit der Existenz eines Gemeinwesens schwerlich vereinbaren, dass jeder Bürger seine Steuerleistung nach Selbsteinschätzung festlegt. Es müssen einheitliche Steuergrundsätze für alle gelten. Wer das Geschuldete nicht zahlt, bleibt dieses schuldig und macht sich damit schuldig. Dies ist der Standpunkt des Legalismus.
Eine andere Frage ist, was der Staat von seinen Bürgern legitimerweise an Steueropfern fordern darf. Der erste Zweck des Staates ist es ja, Eigentum und Freiheit seiner Bürger zu schützen. Auch für demokratische Kollektive gilt «Du sollst nicht stehlen». Auch «besserverdienende» Minderheiten haben ein Recht darauf, dass man sie nicht geradezu beraubt.
Es gibt ein natürliches «Recht auf den Ertrag der eigenen Arbeit», das selbst die Sozialisten anerkennen. Ein Staat, der diese Grenze überschreitet, handelt nicht besser als eine Räuberbande. Derzeit ist es indes so, dass der Fiskus sich weigert, überhaupt Grenzen seines legitimen Zugriffs anzuerkennen.
Das Steuerrecht greift überdies häufig willkürlich zu: benachteiligt dort, privilegiert hier (meist unter Interessentendruck). Es lässt sich nur ein Grundsatz erkennen. Der Erfolgreiche wird durch Progression bestraft, während der Nichterfolgreiche, jedoch Clevere durch Subventionen auf Kosten seiner Mitbürger belohnt wird.
Ein durchschnittlich verdienender Single muss gegenwärtig in Deutschland über Steuern und Abgaben zwei Drittel seines Einkommens an den Staat abgeben, und ein berufstätiges Ehepaar mit Kindern ist kaum besser dran. Wichtig auch: die 10 Prozent der am besten verdienenden Steuerpflichtigen bestreiten 55 Prozent des Aufkommens der Einkommenssteuer. Gleichzeitig zahlen die unteren 50 Prozent auf der Einkommensskala blosse 5 Prozent, die untersten 20 Prozent nichts.
Während die einen mehr und mehr für den Fiskus leben, leben die anderen (etwa die «Hartz IV»-Empfänger) vom Fiskus. Die Steuerwissenschaft ist inzwischen zu einer Geheimwissenschaft geworden, die nur noch von einigen eingeweihten Steuerpriestern verstanden wird, und die Politik tut wenig, um das Steuersystem verständlich zu machen. Dies begünstigt das staatliche Fischen im Trüben.
Es stimmt auch nicht froh, wenn man erfährt, wie die Politik mit den zwangsweise abgeführten Mitteln umgeht; die Verschwendung durch die öffentliche Hand bewegt sich in Deutschland im zweistelligen Milliardenbereich. Hinzu kommt der schändliche Missbrauch des Papierwährungsmonopols durch den Staat. Die Inflation ist eine zusätzliche illegitime Besteuerung. So werden die Massen ihrer sauer ersparten Groschen beraubt – und dies in chronischer Form (selbst die berühmte DM hatte seit 1948 bis zu ihrem Ende mehr als 80 Prozent ihres Wertes verloren).
Wie muss all dies auf den Bürger wirken? Er wird sich auf jeden Fall bedroht und oft genug willkürlich behandelt und um den Erfolg seiner Arbeit betrogen fühlen. Und er wird dazu sehen, sich dem Zugriff dieses Molochs irgendwie zu entziehen, sei es durch Schwarzarbeit (derzeit etwa 340 Mrd. Euro), sei es durch Nichtarbeit in den Freizeitgenuss, sei es durch den täglichen kleinen oder grossen Steuerbetrug.
Auch auf den unteren Einkommensstufen finden Hinterziehung, Erosion von Anstand und Bürgersinn, Trittbrettfahren und «Abzocken im kleinen Stil» in vielen Spielarten statt. So zersetzt der Staat mit seinem Steuersystem die Steuermoral seiner Bürger. Besonders kritisch wird es, wenn er, um seinen Steuerertrag weiter zu erhöhen, zu kriminellen Mitteln greift, beispielsweise zum Ankauf gestohlener Daten (normalerweise «Hehlerei» genannt). Wenn er ferner die Steuersouveränität kleinerer Staaten wie der Schweiz, Österreichs, Luxemburgs, Liechtensteins oder Monacos angreift, wird er zu einem Monster.
Die Bürger werden sich unter diesen Umständen so verhalten, wie sie es überall taten, wo der Fiskus keine Grenzen mehr kannte: Auswanderung, Schwarzwirtschaft, Resignation, Konsumtion statt Kapitalbildung. Wenn der Staat die Steuermoral seiner Bürger verbessern will, muss er zunächst die Moral seines Steuersystems verbessern.
Doch der deutsche Staat tut das Gegenteil. Das gegenwärtige Fiskalregime empfinden viele längst nicht mehr als legitim und auch nicht mehr als legal. Die Privatsphäre wird vollständig fiskalischer Neugier geöffnet. Der Staat vergiftet das soziale Klima, indem er Denunzianten anstachelt, ihre Mitbürger illegitimer staatlicher Neugier oder Raubsucht preiszugeben und dafür Geld zu nehmen. Eines Tages wird er begreifen, dass er sich damit selbst am meisten schadet.
Gerd Habermann, geboren 1945, ist Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam und Autor u.a. von «Richtigstellung. Ein polemisches Soziallexikon» (2006).