Halten Sie sich für überdurchschnittlich?
Es sind die grossen, aussergewöhnlichen Ideen unangepasster Leute, die unsere Gesellschaften revolutioniert und unser Leben verbessert haben. Eigentlich wissen wir ja: Wachstum wird durch kreative Querköpfe getrieben. Im nachhinein bewundern wir sie für ihre Taten, errichten Denkmäler, schreiben lobende Texte und Monographien. Selten genug werden diese Innovatoren aber auch zu Lebzeiten als solche gewürdigt. Nicht […]
Es sind die grossen, aussergewöhnlichen Ideen unangepasster Leute, die unsere Gesellschaften revolutioniert und unser Leben verbessert haben. Eigentlich wissen wir ja: Wachstum wird durch kreative Querköpfe getrieben. Im nachhinein bewundern wir sie für ihre Taten, errichten Denkmäler, schreiben lobende Texte und Monographien. Selten genug werden diese Innovatoren aber auch zu Lebzeiten als solche gewürdigt.
Nicht auf die Ausreisser nach oben, sondern auf den Durchschnitt sind heute alle fixiert. Die Werbung zielt auf die breite Masse, die Medien auf die grosse Quote, und in Bildungsdiskussionen dreht sich alles um den guten Durchschnitt der Schüler. Während der Streber in der Klasse die Verachtung seiner Mitschüler auf sich zieht, wird er von Mathematikern und Sozialwissenschaftern als statistischer Ausreisser gar völlig ausgeblendet – um eine aussagekräftige Kurve zu erhalten, die alle aussergewöhnlichen Unterschiede irgendwo in die Mitte herunterbricht. Und US-Teenage-Superstar Miley Cyrus, auch bekannt als «Hannah Montana», singt unter tosendem Applaus, dass ein langweiliges und faules «Ordinary Girl» cool, sprich: ein Leben im Mittelmass lebenswert, sei. Durchschnitt zu sein, so lernen wir, ist gesellschaftlich akzeptiert, ja erwünscht. Künftige Generationen orientieren sich an einer Prämisse: bloss nicht auffallen!
Sie ahnen es bereits: ich halte eine solche Einstellung für nicht besonders zukunftsweisend. Dabei gehöre ich nicht zu jenen Verschwörungstheoretikern, die behaupten, die Pflege des Mittelmasses sei die Strategie einer Minderheit von Mächtigen, die den dumpfen Herdentrieb der Untergebenen fördern wollen. Ich glaube, die Haltung ist eher Ausdruck von Bequemlichkeit. Der Eindruck, alles sei schon irgendwie okay und gut, resultiert daraus, dass wir uns mit unseren wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Errungenschaften arrangiert haben. Die Folge einer solchen am Mittelmass orientierten Bequemlichkeit ist ein ziemlich roboterhaftes Verhalten, das uns zu unauffälligen Herdentieren macht, ohne dass uns jemand dazu gezwungen hätte.
Die Welt braucht jene, die bereit sind, ihren Weg zu gehen, querzudenken, gemeinsam mit anderen neue Ideen zu entwickeln. Unsere Ausbildungsstätten bilden grossartige Juristen oder Mediziner aus, aber der Unternehmer und Coach Cameron Herold legt den Finger auf einen wunden Punkt, wenn er sagt, dass wir aktiv nach unternehmerisch denkenden Kindern suchen und sie an das Erlernen dringend benötigter Schlüsselkompetenzen heranführen sollten. Ich glaube: das unternehmerische Nutzbarmachen von Kreativität sollte zu einem Hauptfach der modernen Erziehung und Ausbildung werden, genauso wie Mathematik oder Fremdsprachen. Institutionen wie das MIT Entrepreneurship Center und auch die steigende Zahl von «Inkubatoren» – mit Universitäten verknüpfte Innovation Hubs, in denen junge Gehirne experimentieren und Geschäftsideen entwickeln können und dabei von externen Investoren unterstützt werden – sind gute Beispiele für die Umsetzung solcher Ideen. Während sich in der Schweiz die Bildungsexperten noch immer in Didaktik-Kleinkriegen verirren, werden andernorts neue Generationen in die Disziplin des unabhängigen Denkens eingeführt. Wem das noch nicht quer genug gedacht ist: Peter Thiel, Gründer von Paypal, und Richard Branson, Gründer von Virgin, schlugen kürzlich sogar vor, kreativen Studenten das Abbrechen des Studiums bei gleichzeitiger Gründung eines Unternehmens finanziell zu entlohnen.
Vielleicht sollten wir gerade in der Schweiz also damit aufhören, überdurchschnittlicher Leistung und aussergewöhnlichem Erfolg mit Missgunst zu begegnen. Querdenken ist eine Fähigkeit, die unsere Gesellschaften und auch unsere Schulen viel zu selten lehren, geschweige denn honorieren. Und vielleicht fangen wir schon an dieser Stelle selbst mit dem Querdenken an: indem wir stolz sind auf jene Mitmenschen, die in ihrer Disziplin über das Mittelmass hinausragen – und von denen wir alle profitieren.