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Händchenhalten mit Frau Wagenknecht?

Die sogenannt bürgerlichen Parteien Deutschlands haben den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beinahe geschlossen durch den Bundestag gewinkt. Die Linke lehnte ihn noch geschlossener ab. Frank Schäffler, prominentester Eurokritiker der Regierungsparteien, denkt über links-liberale Allianzen nach.

Als ich im Februar 2012 im Bundestag eine Rede zum zweiten Griechenland-Rettungspaket hielt, kam der stärkste Applaus nicht aus meiner eigenen Fraktion, sondern aus den Reihen der Linksfraktion. Auf den ersten Blick mag dieser unerwartete Beistand verwundern. Denn was könnte einem klassisch-liberalen Politikansatz stärker zuwiderlaufen als der staatsgläubige Kollektivismus der Sozialisten? Tatsächlich aber bildet die deutsche Linke die einzige Fraktion, die konsequent und geschlossen gegen die Rettungsschirme, gegen den Aufbau neuer europäischer Bürokratien und gegen die Entmachtung der nationalen Parlamente gestimmt hat. Gleichzeitig fordern linke Spitzenpolitiker jedoch die europaweite Verstaatlichung von Banken und den unbeschränkten Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Wie passt all das zusammen? Und was bedeutet das für eine mögliche strategische Allianz von linken und liberalen Kritikern der aktuellen Krisenpolitik der deutschen Kanzlerin?

Interessante Gemeinsamkeiten…

Liberalismus und Sozialismus als politische Bewegungen teilen eine ausgeprägte Abneigung gegen politisch gewährte Privilegien für einzelne Gruppen. Die frühen Liberalen wehrten sich gegen Zölle, gegen die merkantilistische Handelspolitik, gegen unfaire Besteuerung ohne demokratische Mitentscheidung. Und auch heute streben Liberale einen abstrakten und allgemeingültigen rechtlichen Rahmen an, um die Entstehung von Privilegien für einzelne Gruppen zu verhindern. Die Sozialisten ihrerseits haben zwar oft eine seltsame bzw. selektive Vorstellung davon, was genau ein Privileg eigentlich ist. Doch gerade in der europäischen Schuldenkrise kommen sie interessanterweise zu ähnlichen Analysen.

Als ich in meiner Rede erklärte, dass wir die Verluste privater Investoren nicht mittels Steuergelder kompensieren dürfen, war mir der Beifall von Sahra Wagenknecht, der stellvertretenden Vorsitzenden von Die Linke, gewiss. Denn die Umverteilung von den Steuerzahlern hin zu unvorsichtigen Privatanlegern ist ein ungerechtes Privileg. Dass Investmentbanken diese Umverteilung durch die Sozialisierung ihrer Verluste zum Geschäftsmodell entwickelt haben, wird von der politischen Linken zu Recht kritisiert. Wenn Gregor Gysi ein demokratisches Europa mit einem starken Parlament fordert, kann dem grundsätzlich nur zugestimmt werden. Denn die undurchsichtigen Prozesse in Brüssel sind ein Einfallstor für jene Interessengruppen, die Privilegien suchen – auf Kosten all jener Gruppen, die kaum in der Lage sind, sich zu organisieren und ihre Interessen zu vertreten. Für eine «Umverteilung von unten nach oben», wie sie Frau Wagenknecht wortreich beklagt, ist in einem liberalen Staatswesen kein Platz.

…und wichtige Unterschiede

Diese Gemeinsamkeiten in der Analyse dürfen allerdings nicht die Illusion nähren, dass die Grenzen zwischen den politischen Lagern in der Schuldenkrise verschwämmen. Denn nach der Analyse der Probleme kommt die Präsentation der Lösungsansätze. Und hier könnten die Unterschiede nicht grösser sein: Die Vergesellschaftung aller grossen Banken, noch striktere Regulierungsvorschriften, ein «Profitverbot» und die direkte Kreditversorgung notleidender Eurostaaten durch die EZB – so stellt sich die Linke den Ausweg aus der Krise vor. Dass eine solche Politik Europa nur noch weiter in die Krise stürzen würde, verstehen meine Kollegen auf der linken Seite des Parlaments leider nicht.

Der liberale Weg aus der Krise sieht definitiv anders aus: Statt europaweite Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu etablieren, müssen wir das Haftungsprinzip wieder ernst nehmen. Denn Haftung ist die beste Regulierung. Das gilt für die private Wirtschaft ebenso wie für die Staaten. Wer seine Verluste im Schadensfall selbst tragen muss, neigt zur Vorsicht und macht einen grossen Bogen um risikoreiche Spekulation und unverantwortliche Ausgabenpolitik. Die europäischen Regierungen müssen zur Rechtsbindung und zu einer klaren Ordnungspolitik zurückfinden, statt permanente Ausnahmezustände zu forcieren und das Heil in der Planwirtschaft zu suchen.1 Dass staatliche oder «vergesellschaftete» Banken nicht vor Torheit geschützt sind, haben uns die Pleiten der deutschen Landesbanken eindrucksvoll in Erinnerung gerufen. Und wohin uns die direkte Staatsfinanzierung aus der Notenpresse führen würde, müssten wir doch eigentlich aus der Geschichte gelernt haben: Inflation, Enteignung der Sparer und schliesslich der Zusammenbruch des Geldverkehrs sind die Folge eines Primats der Politik über die Notenbank.

Verfehlte Kapitalismuskritik

Obwohl wir also in der Beschreibung des richtigen Weges aus der Krise nicht weiter auseinanderliegen könnten, ist den Linken dennoch eins zugutezuhalten: dass sie die ungerechte Verteilung der Lasten der Eurorettung im Parlament anprangern, während die bürgerlichen Politiker allzu oft schweigsamen Pragmatismus walten lassen. Zu Recht muss das bürgerliche Lager sich fragen lassen: Was ist an der Sozialisierung der Schulden privater Investoren und unverantwortlich geführter Staaten marktwirtschaftlich? Wird hier nicht vielmehr das ewige Vorurteil der politischen Linken, der Kapitalismus diene am Ende doch nur den Mächtigen und Reichen, bestätigt? Bejaht man dies, so ist die Forderung der Linken, es stattdessen doch (noch) einmal mit dem Sozialismus zu probieren, nur konsequent.

Nun war es doch aber gerade nicht die Marktwirtschaft, die uns in die Krise geführt hat. Die wahren Gründe liegen in der so­zialpolitisch motivierten Subventionierung von Wohneigentum, einer allzu lockeren Geldpolitik und dem durch die Banken- und Staatenrettungen erzeugten moralischen Risiko: Die privaten Gläubiger der Schuldenstaaten konnten sich seit der Schnürung des ersten Rettungspaketes stets darauf verlassen, dass ihnen ihre Schrottpapiere schon abgenommen würden. Nicht das Handeln freier und selbsthaftender Menschen hat die Krise ausgelöst, sondern die politisch gewollte Aussetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Einzelne Gruppen haben von dieser Politik durchaus profitiert: die Wohneigentümer von den Immobiliensubventionen, die Geschäftsbanken von der Freigebigkeit der Notenbanken und die Investoren von den Rettungsschirmen. Eine solche Politik privilegiert eine einflussreiche Minderheit auf Kosten der Allgemeinheit – das mag man nun «Kapitalismus» nennen, denn einzelnen Kapitalbesitzern kommt diese Politik sehr entgegen. Doch Marktwirtschaft ist das nicht. Als dem liberalen Ökonomen Milton Friedman einmal vorgehalten wurde, die von ihm empfohlene Politik sei zu wirtschaftsfreundlich und schade der Allgemeinheit, antwortete er: «Ich bin nicht wirtschaftsfreundlich, ich bin für freie Marktwirtschaft, was etwas ganz anderes ist.»

Marktwirtschaft dient den Konsumenten

Denn die Marktwirtschaft dient nicht den Unternehmern und Kapitalbesitzern. Sie dient den Konsumenten. Sie sind die Souveräne des Marktes und stimmen durch ihre Kaufentscheidungen täglich darüber ab, welche Unternehmen prosperieren und welche aus dem Markt ausscheiden. Dieses Prinzip, die Konsumentensouveränität, ist urdemokratisch, doch in unserem Geld- und Finanzsystem wurde es ausser Kraft gesetzt. Wie hoch die Gewinne oder Verluste einer Bank liegen, hängt immer weniger davon ab, wie gut sie der Realwirtschaft und ihren Kunden dient. Was stattdessen zählt, sind vage Konzepte wie die Systemrelevanz, die richtige Antizipation der Geldpolitik und politische Kontakte. Im Herzen dieses Systems liegt die planwirtschaftliche Geldproduktion der Notenbanken. Auf die Wünsche ihrer Konsumenten, der Geldhalter, müssen die Notenbanken kaum Rücksicht nehmen. Daher können sie es sich erlauben, eine Politik zu betreiben, die zwar den Geschäftsbanken nützt, die Sparer und Geldhalter aber schädigt. Ein solches System ist vielleicht wirtschaftsfreundlich: Es befreit grosse Banken und Investoren vom lästigen Wettbewerbsdruck, von der Risikohaftung und der Orien­tierung an den Wünschen der Konsumenten. Aber von einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist es weit entfernt.

Diesen Unterschied begreifen die Linken bedauerlicherweise nicht, und deshalb gelangen sie zu den falschen Schlussfolgerungen. Sie stimmen gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus, weil sie in ihm die Festschreibung der privilegierten Position grosser Banken und Investoren sehen. Aber sie sehen nicht, dass die Alternative zur politisierten Günstlingswirtschaft nicht der historisch gescheiterte Staatssozialismus sein kann. Nicht mit der Verstaatlichung endet das Privileg, sondern mit der Rückbesinnung auf das Haftungsprinzip und auf allgemeingültige Regeln, die für Banken genauso gelten müssen wie für jedes andere Unternehmen auch.

Eine links-liberale Allianz gegen den ESM?

Die Vorstellung einer lagerübergreifenden Allianz hat ihren Charme, denn im eigenen, liberalen Lager haben es Kritiker der Rettungslogik heute nicht leicht. Attraktiv erscheint da die Zusammenarbeit mit der Linksfraktion, die im Parlament geschlossen gegen die Rettungsschirme stimmte. In ihren Reden und Büchern zitiert Sahra Wagenknecht ausgiebig die ordoliberalen Vordenker Walter Eucken, Wilhelm Röpke und Ludwig Erhard, denn was diese zur Rolle der Haftung in der Wirtschaftsordnung zu sagen hatten, passt oberflächlich zu Frau Wagenknechts Skepsis gegenüber den grossen Banken und Investoren. Doch der von Frau Wagenknecht «zu Ende gedachte Ordoliberalismus»2 basiert entweder auf einer dürftigen, sehr selektiven Rezeption der Nachkriegsliberalen oder, schlimmer noch, auf bewusster Verzerrung und Fehlinterpretation. Denn Eucken, Röpke und Erhard hätten aus der richtigen Beobachtung, dass die grossen Banken für ihr Handeln nicht mehr haften, niemals geschlossen, dass die Geldinstitute vergemeinschaftet werden müssten, ihre Freiheit also vollends verlieren sollten. Denn Haftung und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille: Nur wer frei ist, kann für sein Handeln haftbar gemacht werden. Und nur wer für sein Handeln haftet, ist auch frei. Wer überzeugt ist, dass Marktwirtschaft und politische Demokratie sich gegenseitig bedingen, kann für die Position der Linken daher keine Sympathien empfinden. Im Gegenteil: mit der leichtfertigen Preisgabe der wirtschaftlichen Freiheit wird am Ende auch die politische Freiheit begraben. Die Forderungen der Linken sind deshalb nicht nur ökonomisch unsinnig, sie sind auch politisch hochgefährlich.

Eine links-liberale Allianz stünde auf zu brüchigen Füssen, als dass sie in der Praxis, in gemeinsamen Veröffentlichungen etwa, funktionieren könnte. Es gibt sie allenfalls im Moment der Abstimmung, als zufällige Begleiterscheinung des parlamentarischen Prozesses. Darüber hinaus ist keine Zusammenarbeit möglich, denn am wichtigsten Punkt, der Frage, wie Europas Zukunft aussehen soll, scheiden sich die Geister. Ich freue mich, wenn die liberalen Klassiker durch linke Politiker rezipiert werden. Noch mehr freut es mich, wenn daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden. Und dieser zweite Schritt steht noch aus.

 


1 Frank Schäffler / Norbert F. Tofall: Europa kommt sich abhanden. In: Schweizer Monat. Ausgabe 993, Februar 2012.

2 Sahra Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus. Über vergessene Ideale, die Eurokrise und unsere Zukunft. Frankfurt: Campus, 2012.

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