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Gruppenfreiheit

An der Strassenecke dürfen nicht mehr als drei Personen zusammenstehen. Ein Paar mit Kleinkind ist noch gestattet; kommt ein Freund oder Fremder hinzu, erregt dies sofort Argwohn. Die harmlose Familie könnte eine Tarnung sein, was führen die drei Erwachsenen im Schilde? Ist die Konversation subversiv, beklagen sie sich, schmieden sie einen Plan? Nichts scheint die […]

An der Strassenecke dürfen nicht mehr als drei Personen zusammenstehen. Ein Paar mit Kleinkind ist noch gestattet; kommt ein Freund oder Fremder hinzu, erregt dies sofort Argwohn. Die harmlose Familie könnte eine Tarnung sein, was führen die drei Erwachsenen im Schilde? Ist die Konversation subversiv, beklagen sie sich, schmieden sie einen Plan?

Nichts scheint die Obrigkeit mehr zu fürchten als unangekündigte Versammlungen und unübersichtliche Geselligkeit. Das Treffen kann belanglos, der Wortwechsel nur kurz sein, allein der Kontakt ist Anlass zu Misstrauen. Aus langer Erfahrung wissen Herren, dass ihre Stellung unantastbar bleibt, solange die Sklaven isoliert sind. Freiheit winkt erst, wenn sich die einzelnen zusammentun. «Divide et impera!», ist der einfachste Leitsatz jeden Machterhalts. Freiheit beginnt daher nicht in der Einzahl, sondern in der Vielzahl. Pluralität begrenzt Macht, die Gruppe stellt der Herrschaft eine wirkungsvolle Kraft entgegen. Das Recht zur Koalition, zur Versammlung, zur Assoziation, zur öffentlichen Geselligkeit gehört nicht nur zu den Grundrechten der freien Republik, es ist eine vorzügliche Waffe gegen den Gehorsam der Einsamen. Daher wird es sofort ausser Kraft gesetzt, wenn der Ausnahmezustand verhängt wird.

Heutigen Individualisten sind soziale Gruppen meist eine Hölle des Konformismus, des Zwangs, der Botmässigkeit und Trägheit. Zweifellos bergen Gruppen solche Tendenzen in sich. Ohne eine gewisse Homogenität verlieren sie den Zusammenhalt und gehen am grossen Unterschied zugrunde. Gruppen küren Autoritäten, versammeln Mitläufer, drängen Aussenseiter an den Rand. Sie markieren eine Grenze zwischen aussen und innen. Und dennoch bietet allein die Gruppe die Chance zur Ein­dämmung von Macht. Ihr Potential ist enorm. Eine kleine, aber wohlorganisierte Zelle kann über lange Zeit der Macht trotzen, als Hort der Verschwörung, der Rebellion, des freien Geistes.

Am Hof herrschten noch Fürstenwillkür und Untertanengeist, als in der geheimen Loge die Kritik bereits freies Rederecht hatte. Es ist keineswegs selten, dass die Solidarität der wenigen eine Despotie ins Wanken brachte, dass David über Goliath obsiegte. Aufstände erlangen manchmal eine unwiderstehliche Kraft durch den entschlossenen Zusammenhalt der Schwachen. Gemeinsam sind sie stark, denn nur gemeinsam fühlen sie sich frei von Angst. Solange sich die Gruppe nicht wieder zerstreut oder zerschlagen wird, eröffnet sie der Freiheit eine Chance. Worin beruht die überlegene Kraft der Assoziation? Der Individualismus setzt lediglich auf Rivalität, auf die Konkurrenz unter einzelnen. Damit spielt er jedoch dem Dritten in die Hände, nicht zuletzt einem Herrn, der nur so mächtig ist, dass er zwar jeden einzelnen Sklaven, aber niemals ein Bündnis mehrerer Sklaven zu übertreffen vermag. Im strategischen Machtspiel ist Konkurrenz stets ein Vorteil für den Dritten. Die Gruppe indes nutzt die Potentiale der Kooperation. Nur in Gruppen gibt es verlässliche Arbeitsteilung, Schutz vor Übergriffen und jenes gegenseitige Vertrauen, das den Mutlosen zur Tat verhilft. Die Gruppe steigert die Leistung durch Helfen und Teilen und summiert aller Anstrengungen zur kollektiven Aktion. Sie ermöglicht die zeitliche Reihung und räumliche Trennung gleichartiger Tätigkeiten, mehrt das Wissen durch Spezialisierung und setzt Kreativität frei. Die Vereinigung der Individuen ist eine Produktivkraft eigener Art. Nicht jeder muss alles können, aber weil viele mehr können als einer, werden Hand und Geist frei für etwas, was bisher keiner konnte. Die Einzelstimme verklingt im Rauschen der Gesellschaft, das gemeinsame Votum verschafft sich Gehör. Einzeln ist der Bürger jedem ausgeliefert, der nur geringfügig stärker ist als er selbst. Gemeinsam übertreffen sie jeden, der sich anmasst, andere zu bevormunden oder zu befehligen. Es wäre pure Torheit, liesse sich die Bewegung der Freiheit die verborgene Kraft der Versammlung, der Gruppe und Kooperation entgehen.

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