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Grenzenloser Machthunger

Beobachtungen zu Hillary Rodham Clintons Memioren Das weltweite Interesse an den von Ghostwritern verfassten Memoiren ist bemerkenswert. Während sich die breite Leserschaft auf die relativ distanziert rapportierte Lewinsky-Affäre stürzt, sollten politisch Interessierte die aufschlussreichen Passagen nicht übersehen, in denen der Machthunger einer Präsidentschaftskandidatin und ihre rechthaberische Schwarz-Weiss-Malerei dominieren.

«Ihr habt einen gewählt und zwei bekommen», könnte als Motto über der Präsidentschaft von Bill Clinton stehen. Mit Hillary Rodham Clinton zog nämlich nicht eine traditionelle First Lady ins Weisse Haus ein, die in der Öffentlichkeit die Rolle einer sich aus den politischen Händeln fernhaltenden Lebensgefährtin des Präsidenten spielte. Gleich zu Beginn von Clintons Amtszeit setzte Hillary Rodham sich politisch in Szene und beanspruchte ein markantes politisches Profil, obschon sie vom Elektorat kein politisches Mandat bekommen hatte. Den Anliegen, die Hillary aufgegriffen hat, insbesondere in der Gesundheitspolitik, ist ihr resolutes Engagement nicht gut bekommen, doch für sich selbst vermochte sie eine Plattform zu schaffen, die sie nach dem Auszug aus dem Weissen Haus für ihre eigene politische Karriere fruchtbar einsetzen konnte.

Distanzierte Selbstdarstellung

Es war etwas ungeschickt, dass Hillary Rodham mit ihren Memoiren unter dem anspruchsvollen Titel «Living History» kurze Zeit nach der Lancierung eines neuen Harry-Potter-Buches auf den Markt kam. Die Potter-Manie nahm etwas Glamour von Hillarys Auftritt als Bestsellerautorin weg. Doch unabhängig davon ist es bemerkenswert, welches riesige Interesse sie für eine politische Autobiographie zu schaffen vermochte. Selbst in Basel und Zürich, weit entfernt vom Washingtoner Treibhausklima, musste man zahlreiche Buchhandlungen abklappern, ehe man endlich zu einem Exemplar gelangen konnte.

Nach dem politischen Doppelakt im Weissen Haus beglücken die Clintons die Welt in diesem Jahr mit einem publizistischen Doppelakt, der in beiden Fällen auch dem Bankkonto sehr gut bekommen dürfte. Nach seiner Frau wird Bill Clinton im kommenden Herbst mit seinen Memoiren auf den Markt kommen. Wohl die meisten, die sich Hillarys Buch erstanden haben, dürften als erstes im Index nach dem berühmt-berüchtigten L-Wort gesucht haben. Wer eine emotionale Abrechnung mit der Affäre Lewinsky oder eine ausführliche Darstellung von Bills Fremdgang aus der Sicht der betrogenen Ehefrau erwartet, wird aber gleich enttäuscht. Hillary handelt das delikate Thema kurz und bündig ab. Überhaupt mangelt es dem Buch, das wie die Autorin selbst deklariert, von Ghostwritern verfasst wurde, an Emotionen. Selbst dort, wo es um Familienangelegenheiten geht, herrscht ein kühl distanzierter Ton vor, der den Leser nie im Unklaren darüber lässt, dass hier eine bis ins kleinste Detail sorgsam auf politische Korrektheit und Wählerwirksamkeit gestylte Selbstdarstellung geliefert wird.

Hillary Rodhams Memoiren, wie der wenige Monate vorher erschienene Insiderbericht «The Clinton Wars» von Sidney Blumenthal, einem engen Berater Clintons in dessen zweiter Amtszeit, machen der Leserschaft bewusst, wie profund sich die Welt in den letzten Jahren gewandelt hat. Die Jahre der Clintons im Weissen Haus erscheinen wie eine «unschuldige» Epoche, als die Welt noch die Musse hatte, sich über Monate hinweg schwergewichtig mit den amourösen Abenteuern des amerikanischen Präsidenten zu befassen. Die wahrhaft dramatischen politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen, welche die Welt heute mit Sorge und Angst erfüllen, kamen alle, nachdem die Clintons im Weissen Haus die Koffer gepackt hatten. Die monumentalen Ereignisse der letzten zwei Jahre lassen einen auch ahnen, dass eine Rückkehr zum Zeitgeist der Clinton-Ära nie mehr möglich sein wird. Die Welt steht mit dem global aktiven Islamismus vor einer Herausforderung, die einen sehr langen Atem haben wird, einen erheblich längeren jedenfalls als der Kalte Krieg, der kurz vor Clintons Amtsantritt glücklicherweise ohne weltumfassenden heissen Krieg zu einem Abschluss gebracht worden war.

Kalkulierte Präsidentschaftskanditatur

Der Blick zurück ist erforderlich und nützlich, weil er auch eine erste Evaluation der Chancen für eine Rückkehr von Hillary Rodham Clinton ins Weisse Haus ermöglicht. Kaum jemand zweifelt daran, dass Hillary ihre Memoiren mit scharf kalkulierendem Blick auf eine künftige Präsidentschaftskandidatur geschrieben hat. Dabei hat sie wohl kaum 2004, sondern vielmehr 2008 im Visier. Ihre Chancen, von der Demokratischen Partei nominiert zu werden, hängen entscheidend davon ab, ob sich in dieser Partei andere Kandidaten profilieren werden, die mit der neuen Welt, in der sich die Vereinigten Staaten behaupten müssen, besser zu Rande kommen als der Clinton’sche Doppelakt. Zweifellos stimmt, dass für den typischen amerikanischen Wähler die einheimische Wirtschaftslage und die soziale Sicherheit weit vor dem Geschehen draussen in der Welt kommen. Nicht von ungefähr hat Bill Clinton seine Wahl gegen Bush Vater mit dem Slogan gewonnen «It’s the economy, stupid!». Liest man die Memoiren Hillarys vor diesem Hintergrund, so scheint sie offenbar der Meinung zu sein, dass diese Formel auch in der Zukunft Geltung haben wird. Allerdings geht sie damit von sehr prekären Annahmen aus, die rasch über den Haufen geworfen werden können.

Der grundlegende Unterschied der condition humaine am Anfang des 21. Jahrhunderts liegt in der universalen und permanenten Bedrohung, die der islamistische Terrorismus für alle entwickelten Zivilisationen darstellt. Im Kalten Krieg konnte man sich in der Tat von der Welt abnabeln, weil die Mega-Bedrohung, die von der Sowjetunion im globalen Ringen der Supermächte ausging, in irgendeiner Weise berechenbar war. In einer perversen Art sorgte MAD (Mutual Assured Destruction) für die Sicherheit und das Überleben der Menschheit. Eine ähnliche Berechenbarkeit ist seit dem 11. September 2001 und dem, was seither in den verschiedensten Teilen der Erde geschehen ist, unwiederbringlich verflogen. Auch wird, wer immer auf George W. Bush folgen wird, sich schwergewichtig mit der Frage der weltpolitischen Rolle der USA zu befassen haben. Es ist aufschlussreich, dass dazu in Hillary Rodhams Memoiren, die allerdings vor dem Ausbruch des Irak-Kriegs geschrieben wurden, keine wesentlichen Aussagen zu finden sind.

Aussenpolitische Themen fehlen

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, ganz generell das Buch auf den aussen- und sicherheitspolitischen Sachverstand zu untersuchen, den die Autorin beim Leser zu überbringen sucht. Die ansonsten so sprachgewandte Hillary und ihre Beraterinnen erweisen sich in dieser Hinsicht jedoch als ziemlich unbedarft. Was einem in Erinnerung bleibt, sind diplomatisch wohldosierte Kommentare über die Ehefrauen von Staats- und Regierungschefs, die Hillary beim Globetrotten, mit oder ohne Bill, trifft. Auch äussert sich die Autorin zu entwicklungspolitischen Themen, wobei sie durchaus richtig auf die Rolle der Frau in Drittweltgesellschaften fokussiert. Doch die grossen Themen der internationalen Politik fehlen. Hier wird man wohl auf das Buch des Ehemanns warten müssen.

Markant positioniert sich Hillary Rodham bei innenpolitischen Themen, insbesondere bei der Gesundheitspolitik und bei ihrem beliebten Thema einer «rechten Verschwörung» gegen sie und gegen die Clinton-Administration insgesamt. Mit Blick auf die Publikumswirkung gibt sich Hillary bei der Beurteilung ihres Misserfolgs in der Gesundheitspolitik auch ein bisschen selbstkritisch. Sie ist zwar weiterhin voll davon überzeugt, in diesem äusserst heiklen Bereich nicht nur die richtige Position, sondern auch die richtigen Lösungen zu besitzen, anerkennt aber, dass sie gelegentlich in der Durchsetzung ihrer Meinung zu dezidiert, zu abrupt und zu schrill gewesen sein mag. Solche Einsichten zur Selbstbescheidung gehen ihr jedoch überall dort ab, wo sie sich mit den politischen Gegnern auseinandersetzt. Hier sind die Grenzen zwischen Licht und Schatten, gut und böse klar gezogen. All die Skandale, welche die Präsidentschaft Clintons überschatteten, werden der Tatsache zugeschrieben, dass das gegnerische Lager sich mit dem Verlust der Macht im Weissen Haus nicht abfinden konnte und auch mit unfairen und aus Hillarys Sicht unrechtmässigen, eben konspirativen Mitteln den Präsidenten zu Fall zu bringen sucht.

Das Buch mag von Ghostwritern geschrieben und mit Blick auf einen möglichst grossen Sympathiebonus auf der Seite der Leser- bzw. Wählerschaft verfasst worden sein, doch kann man bei aufmerksamer Lektüre zwischen den Zeilen auch wertvolle Aufschlüsse zum wahren Charakter von Hillary Rodham Clinton gewinnen. Hier fallen die Erkenntnisse und die Bilanz äusserst ernüchternd aus.

Hillary ist von einem grenzenlosen Machthunger besessen, der umso gefährlicher ist, als sie in geradezu messianischer Weise an die Richtigkeit ihrer eigenen Position und an die völlige Verwerflichkeit der Gegner glaubt. Nuancen und Grautöne sind nichts für Hillary Rodham. Die Welt wird in scharfen Schwarz-Weiss Kontrasten gesehen. Weh dem, der dabei nicht auf der richtigen Seite herauskommt. Der Leser kann wohl kaum im Zweifel bleiben, dass die Autorin ihre zutiefst vom Interventionsglauben und Paternalismus (in diesem Fall müsste man wohl von Maternalismus reden) geprägte Politik um jeden Preis in die Realität umsetzen will – auch für den Fall, dass diejenigen, denen «Gutes» getan werden soll, dies gar nicht wünschen. Ihr Ehemann zählt sich zum Lager des «dritten Wegs», doch der ist meilenweit vom klassisch sozialdemokratischen Denken Hillary Rodhams entfernt. Die Machtbesessenheit und der faustische Machbarkeitsglaube, welche die Memoiren prägen, lassen einen nicht nur hoffen, dass Hillary zum Wohle der Amerikaner die Rückkehr ins Weisse Haus verwehrt bleibt, sie erinnern einen auch an die enorme Bedeutung der von der amerikanischen Verfassung so hoch gehaltenen Werte der checks and balances, die, sollte es Hillary Rodhams grenzenloser Machthunger dennoch schaffen, die Nation vor noch grösserem Unheil bewahren werden. Literatur:

Hillary Rodham Clinton, Living History. Memoirs. Headline Book Publisher, 2003.

Sidney Blumenthal, The Clinton Wars. Farrar, Straus and Giroux, New York 2003.

Dt. Übersetzung: Gelebte Geschichte. Econ 2003.

Urs W. Schöttli wurde 1948 in Basel geboren. Nach dem Philosophiestudium an der Universität Basel war er von 1978 bis 1982 Generalsekretär und von 1983 bis 1994 Geschäftsführender Vizepräsident der Liberalen Internationalen. 1983 bis 1990 war er Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» in Indien, 1998 bis 2001 in Japan, und seit 2002 berichtet er aus China.

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