Grauzone Vorprüfung
Rechtssicherheit geht anders: Die Geschichte eines internationalen Konzerns, seiner Stiftungsidee und eines behördlichen «Vetos».
Rückblick: Im Sommer 2018 beabsichtigt ein international tätiger Konzern von Weltruf mit starker lokaler Verbundenheit die Errichtung einer Schweizer Stiftung, um die konzernweiten gemeinnützigen Aktivitäten unter einer Dachmarke zu bündeln. Die Gründungsdokumente werden entworfen und mit der Konzernleitung abgestimmt. Bei der Ausgestaltung der Organisation schwebt dem Stifterunternehmen ein monistisches System vor: Statt einer personellen Trennung des operativen vom Oberleitungsorgan soll der Geschäftsführer in Personalunion auch dem Stiftungsrat angehören. Dies entspricht beim Stifterunternehmen (sowie zahlreichen anderen Aktiengesellschaften hierzulande) gelebter Tradition, indem die Ämter des Verwaltungsratspräsidenten und des CEO in einer Person vereinigt sind.
Nun kann man eine solche Machtfülle bei Unternehmen aus Gründen der Corporate Governance durchaus kritisch sehen. Fakt ist aber, dass sie rechtlich nicht zu beanstanden ist und aus praktischer Sicht unbestreitbare Vorteile bietet: Neben der Vereinfachung von Kommunikations- und Entscheidungswegen wird sichergestellt, dass die Geschäftsführung mit dem strategischen Aufsichtsorgan auf Augenhöhe agiert. Um dennoch potentiellen behördlichen Bedenken gegen diese Doppelstellung den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde ein fein austariertes Kontroll-, Melde- und Ausstandsprozedere konzipiert, das von Anfang an verhindern sollte, dass der Geschäftsführer den Stiftungsrat – und damit die Stiftung – nach eigenem Gutdünken beherrschen kann.
«Neben der Vereinfachung von Kommunikations- und Entscheidungswegen wird sichergestellt, dass die Geschäftsführung mit dem strategischen Aufsichtsorgan auf Augenhöhe agiert.»
Konfrontiert mit diesem nachvollziehbaren Klientenwunsch, entscheidet sich der Rechtsberater für eine offene und transparente Kommunikation mit der Stiftungsaufsichtsbehörde: Im Zuge eines Vorprüfungsverfahrens werden die Stiftungsdokumente zur «Vorprüfung» eingereicht. Es handelt sich hierbei nicht um ein förmliches Verwaltungsverfahren, sondern um ein freiwilliges Einholen der behördlichen Einschätzung – etwa darüber, ob die Aufsichtsbehörde auf der Grundlage der eingereichten Entwürfe die Aufsicht über die zu gründende Stiftung übernehmen will. Aufsichtsbehörden erlassen bei Vorprüfungen regelmässig keine formellen Verfügungen, sondern erteilen telefonisch Auskünfte oder schreiben einschätzende E-Mails. So auch in diesem Falle, allerdings anders als erwartet: Unter Hinweis auf die Empfehlungen des rein auf Freiwilligkeit basierenden Swiss Foundation Code (der übrigens auch Ausnahmen von der strikten Ämtertrennung kennt) sprach sich die Behörde gegen eine Personalunion aus.
Was wie eine harmlose Einzelfallvorprüfung und -entscheidung aussieht, kann allerdings weitreichende Konsequenzen für den Stiftungsplatz haben und illustriert ein Dilemma, das grundsätzlicher Art und im Wettbewerb um die besten Standortfaktoren für philanthropisches Engagement alles andere als unerheblich ist. Schauen wir näher hin.
Beziehungsstatus: «Es ist kompliziert»
Die Schweizer Praxis behördlicher Vorprüfungen soll den Dialog zwischen den Beteiligten erleichtern und Raum lassen für einen unkomplizierten und direkten Austausch von Meinungen ausserhalb des engen Korsetts förmlicher Verfahren. Getreu der Schweizer Konsensmanie(r) erlaubt die Vorprüfung sowohl den Stiftern und ihren Beratern als auch den Behörden notwendige Korrekturen im Gründungsstadium – sowie bei Bedarf einen gesichtswahrenden Rückzug zu einem Zeitpunkt, da noch nicht zu viel Zeit, Geld und Engagement in eine Gründung geflossen sind. Problematisch wird es in diesem Prozess aber immer dann, wenn die Aufsichtsbehörde bei der Vorprüfung einen Standpunkt einnimmt, der bei näherem Hinsehen in eine Überschreitung des behördlichen Ermessens mündet. Etwa, wenn die Behörde dem Stifter eine alternative Gestaltung nahelegt, statt das eingereichte Modell lediglich auf seine rechtliche Zulässigkeit zu prüfen.
«Welcher Stifter möchte schon seine Stiftung von Anfang an mit einem belasteten Verhältnis zur Aufsichtsbehörde ins Leben rufen?»
Der Fall von 2018 illustriert nun, dass die Behörde bei der Vorprüfung nicht nur ein grosses Ermessen hat, sondern bei ihren Vorprüfentscheidungen auch nicht allzu viel Gegenwehr befürchten muss. Sofern die Aufsichtsbehörde (wie hier) darauf verzichtet, ihre Empfehlungen oder Ansichten in eine formelle Verfügung zu giessen, bleibt die Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs nämlich ausgeschlossen. Möchte der Stifter an seiner gewünschten Gestaltung festhalten, bliebe ihm nichts anderes übrig, als die Stiftung wie ursprünglich beabsichtigt zu gründen – erst wenn die Aufsichtsbehörde dann gegen die gegründete Stiftung förmliche Aufsichtsmassnahmen einleitet (und mithin erst sehr spät erkennen lässt, ob sie ihre Ansichten aus dem Vorprüfungsstadium als «weiche» Empfehlungen oder doch als «harte» Behördenposition sieht), liesse sich hiergegen gerichtlich vorgehen. Wie sich in der Praxis zeigt, ist es aber schier unmöglich, Stifter von einer solch rabiaten Methode zu überzeugen: Welcher Stifter möchte schon seine Stiftung von Anfang an mit einem belasteten Verhältnis zur Aufsichtsbehörde ins Leben rufen?
Die Konkurrenz schläft nicht
Auch im Ausgangsfall nahm die Klientin die behördliche Empfehlung, die damit einem faktischen Veto gleichkam, zur Kenntnis, ohne den konfrontativen Weg zu beschreiten. Vielmehr nutzte der Konzern sein internationales Netzwerk und hörte sich bei den Stiftungsaufsichtsbehörden im benachbarten Ausland um. Wenig erstaunlich fand sich rasch eine Behörde, die dem Konzern signalisierte, dass die gewünschte Ausgestaltung rechtlich zulässig sei und eine Stiftungsgründung deshalb positiv bewertet würde.
Nun mag man einwenden: Den Verlust einer (wenn auch grossen) Stiftung kann die Schweiz verkraften. Im Stiftungssektor ist jedoch die Besorgnis beinahe greifbar, dass das Aufsichtsklima rauher wird. Ein solcher Wandel vom bisher in der Schweiz gepflegten partnerschaftlichen Kooperationsmodell zu einem Über- und Unterordnungsverhältnis der Beteiligten entspricht nicht der liberalen helvetischen Stiftungstradition. Nicht zuletzt die pragmatische, kundenorientierte und praxisnahe Stiftungsaufsicht hat nämlich die Schweiz in den letzten 100 Jahren zu einer Stiftungsoase gemacht, die international ihresgleichen sucht.
Nun holt hier (und andernorts) das Ausland auf: Für den Erfolg des hiesigen Stiftungssektors reicht es nicht mehr, nur die besondere «Swissness» zu betonen. Damit die Schweiz im weltweiten «Wettbewerb der Stiftungsstandorte» nicht an Boden verliert, ist es höchste Zeit, sich wieder der Ursprungsidee hinter der Vorprüfung bewusst zu werden: Es geht dabei nicht um die Durchsetzung gewünschter eigener Behördenvorstellungen – so wünschenswert deren Umsetzung im Einzelfall auch sein mag –, sondern einzig darum zu prüfen, ob die eingereichten Unterlagen gegen zwingendes Recht verstossen.