Grauzone #4
Digital heimatlos. Und zwar unfreiwillig.
Ich war online jüngst zwei Wochen heimatlos: Facebook sperrte mich wegen so genannter «anstössiger Bilder», die sich auf meinem Profil befanden. Wie kam es dazu? Tja, Facebook ist nicht das Internet und deshalb auch kein öffentlicher Raum. Oder andersrum: Facebook ist in etwa so öffentlich wie der Hauptbahnhof Zürich; also privat.
Im Vergleich zu Facebook ist der Zürcher Hauptbahnhof überschaubar. Wenn ich den Bahnreisenden einen Flyer in die Hand drücken möchte, dann ist es absehbar, dass meine Aktion auffliegt. Entweder erfasst mich eine Überwachungskamera oder ich werde von einer Patrouille der Bahnpolizei aufgegriffen. Bei den weltweit rund 700 Millionen Nutzern von Facebook ist die Überwachung ein Ding der Unmöglichkeit – was Licht- und Schattenseiten hat. Die Diskussion um Google-Streetview zeigte, dass das automatisierte «Blurring» nicht funktioniert. Ergo: ein Hakenkreuz lässt sich wahrscheinlich automatisiert aufspüren. Bei irgendwelchen verwinkelten oder verschränkten, vielleicht auch noch nackten Körperteilen ist das schon schwieriger. Vielleicht aber lässt sich ja die neue Gesichtserkennung von Facebook, ein Aufreger in der Zeit meiner Onlineabstinenz, auf männliche und weibliche Geschlechtsteile ebenso anwenden. Wurde einmal eine gewisse Form der weiblichen Brust erkannt und gebannt, so kann man das vielleicht automatisieren. Die konservativ-prüden Datenschützer stehen spätestens dann vor einem Dilemma, wenn Sie verstehen, was ich meine…
Facebook ist bis dahin auf Denunzianten angewiesen. Damit muss man sich abfinden, denn die Plattform ist ein zentralistisch geführtes, kommerzielles Unternehmen, das sich beispielsweise ein Abdriften in die Terrorecke (dieser Link wurde – wie der vorherige – bereits gründlich denunziert…) oder in die Tiefen des Sexgewerbes gar nicht leisten kann. Das dichte und einfache Meldesystem öffnet jedoch auch Tür und Tor für Stalker und Mobber.
Die gegenseitige Überwachung führt also zum einen dazu, dass mögliches problematisches Bildmaterial nicht veröffentlicht wird (Selbstzensur) und zum anderen, dass die User sich nur mit wirklichen Freunden vernetzen. Weil mir wichtig ist, dass an meinem «digitalen Stammtisch» nicht die grosse Einigkeit herrscht, übe ich mich aktuell in Selbstzensur. Auch wenn es ein bisschen an den Haaren herbeigezogen ist: das Ganze erinnert mich an meine Kindheit, als wir regelmässig die Verwandtschaft meiner Mutter in der DDR besuchten. Da mussten wir uns auch ständig hüten, wo wir was sagten.
Die Freiheit, sie ist oft nur eine vermeintliche.