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Gottesdienst mit Trump

Der Parteitag in Milwaukee zeigt: Donald Trump hat die Republikaner vollständig übernommen. Je mehr man ihn verteufelt, umso stärker wird sein Status als Mittelfinger gegen das Establishment.

Gottesdienst mit Trump
Nach Donald Trumps Rede herrscht im Stadion Euphorie.

Gespannt blickt die Nation Mitte Juli nach Milwaukee. Kurz nach dem versuchten Attentat auf Donald Trump halten die Republikaner ihre viertägige Parteiversammlung ab, wo sie den Ex-Präsidenten offiziell zu ihrem Kandidaten ernennen. Kurz keimt Hoffnung auf, dass das Ereignis die aufgeladene politische Situation – zu der Trump seinen Teil beigetragen hat – zumindest etwas entschärfen könnte.

Der Begriff Parteiversammlung hat in den USA offensichtlich eine andere Bedeutung. Die Republican National Convention im hermetisch abgeriegelten und streng bewachten Zen­trum der Stadt wirkt aber eher wie ein viertägiger Gottesdienst einer Freikirche. An zahllosen Ständen werden Trump-Hüte, Trump-Fahnen, Trump-Tonbüsten, Trump-Badeenten und sogar Bücher mit Gedichten von Trump angeboten. Wer auf dem weitläufigen Gelände müde wird, kann den Trump-Trolley nehmen. In der Arena, in der die eigentliche Versammlung abgehalten wird, erhalten erlesene Gäste Zutritt zur «Trump Terrace», die unter der «Freedom Lounge» und neben dem «Victory Corner» eingerichtet ist. Vor jeder Session wird die Nationalhymne gesungen und der «Pledge of Allegiance» auf die amerikanische Flagge geschworen. Die Convention trieft vor kitschigem Patriotismus.

An zahllosen Ständen werden Trump-Hüte, Trump-Fahnen,

Trump-Tonbüsten, Trump-Badeenten und sogar Bücher mit

Gedichten von Trump angeboten.

Eigentliche Traktanden oder Abstimmungen gibt es kaum. Die Versammlung ist eine Aneinanderreihung von Reden von Abgeordneten, Parteikadern oder sonstigen Leuten. Alle loben und preisen den Ex-Präsidenten. «Make America great again!» oder «Build that wall!» tönt es immer wieder. Zuweilen fühlt man sich an die Sonntagsschule erinnert, wo die Schüler ihre auswendig gelernten Bibelsprüche aufsagen.

Die Harmonie mag mit dem Attentat auf Trump wenige Tage zuvor zu erklären sein. Vor allem aber ist sie Ausdruck einer Partei, die sich gewandelt hat. Trump und seine MAGA- («Make America great again»)-Bewegung haben die Republikaner mit Haut und Haar übernommen. Kritiker sind verstummt, gegangen oder stimmen in den Chor ein. 2016 hatte sich Ted Cruz an der Parteiversammlung noch geweigert, Trump die Unterstützung zuzusagen, nachdem dieser seine Familie verbal attackiert hatte. Nun ruft der texanische Senator euphorisch «God bless Donald Trump!» in den Saal. Auch Ron DeSantis und sogar Nikki Haley empfehlen ihren früheren Rivalen begeistert. MAGA ist die einzige Währung unter den Republikanern geworden. Wer noch Karriereambitionen hat in der Partei, spurt.

Unter den angebotenen Fanartikeln finden sich auch Plastikfiguren von Trump als Einhorn.

MAGA ist die einzige Währung unter
den Republikanern geworden. Wer noch Karriereambitionen hat in der Partei, spurt.

Migrationsskeptische Latinos

Die Versammelten in Milwaukee sind überwiegend ältere Weisse. Die Anhängerschaft der Republikaner wird allerdings zunehmend diverser. Schwarze und Hispanics, die lange als sichere Wählergruppen der Demokraten galten, wandten sich bereits bei der Wahl 2020 stärker den Republikanern zu – ein Trend, der sich dieses Jahr gemäss Umfragen fortsetzt. Warum, wird an einer Veranstaltung der «Hispanic Leadership Coalition» am Rande der Convention klar. Die illegale Einwanderung unter der Biden-Regierung gefährde die Jobs der Latinos, die schon im Land seien, sagt Lucy, eine Immobilienmaklerin aus Texas mit mexikanischen Wurzeln. Und: Gemäss einer aktuellen Umfrage von Univision ist die Inflation das wichtigste Thema für Latinowähler, gefolgt von Abtreibung, Lebenshaltungskosten und Arbeitsplätzen. Dass sie sich angesichts der hohen Teuerung und der hohen Immigration von den Demokraten abwenden, erstaunt nicht.

Auch Lorenzo wird Trump seine Stimme geben. Der junge afroamerikanische Pastor konnte den Kandidaten kürzlich in seiner Kirche in Detroit begrüssen. «Wir beteten für den Schutz Trumps», erzählt er. «Wenige Wochen später verfehlte ihn eine Kugel um Millimeter.» Das kann aus seiner Sicht kein Zufall sein. «Es ist ein Wunder!» Wunder erwartet er von einem Präsidenten Trump indes nicht. «Ich habe kein Vertrauen in Trump. Die Bibel sagt, dass man niemandem vertrauen soll, der Macht hat.» Seine Unterstützung begründet
er pragmatisch: «Die Demokraten regieren die schwarzen Gemeinschaften seit 60 Jahren. Sie haben nichts zustande gebracht.» Es sei Zeit, der anderen Seite eine Chance zu geben.

Auch Trumps Gegner sind in Milwaukee präsent. Vor dem Veranstaltungsgelände ist eine Handvoll von ihnen versammelt und bezeichnet den Ex-Präsidenten lauthals als Rassisten, Vergewaltiger und Lügner. Durch die Strassen fahren Trucks mit Plakaten, auf denen vor Massendeportationen sowie Steuersenkungen für Reiche gewarnt wird. Die Demokratische Partei lädt fast täglich zu Medienkonferenzen mit hochrangigen Funktionsträgern, welche dem Narrativ der Republikaner ihr eigenes entgegenstellen. Man hat den Eindruck, die beiden Gruppen lebten in zwei verschiedenen Ländern: In den Augen der Republikaner ist das Land heruntergewirtschaftet und wird von einer «Invasion» illegaler Einwanderer bedroht. In den Augen der Demokraten gefährden die Republikaner mit ihrer Abtreibungspolitik die Freiheit und das Leben von jungen Frauen und darüber hinaus die amerikanische Demokratie.

Die Kopfbedeckungen der republikanischen Delegierten aus Wisconsin repräsentieren die kulinarische Spezialität des Gliedstaats.
Tim Walz, zu diesem Zeitpunkt noch nicht Vizepräsidentschaftskandidat, bei einer Pressekonferenz der Demokraten in Milwaukee.

Der Mittelfinger gegen das Establishment

Die Demokraten haben das Phänomen Trump noch immer nicht verstanden. Sie haben das Gefühl, ihn schlagen zu können, wenn sie ihn nur lange genug als Verbrecher, Rassisten oder Abtreibungsgegner brandmarken. Doch Trumps Beliebtheit in weiten Teilen der Wählerschaft hat weder mit seinen Positionen noch mit seinem Charakter zu tun, sondern gerade damit, dass er auf Kriegsfuss mit den «Coastal Elites» in Washington DC und New York, San Francisco und Los Angeles steht. Ein Gesprächspartner, der sich als Unabhängigen bezeichnet, bringt es auf den Punkt: Trump sei der «Mittelfinger», den die Wähler dem Establishment entgegenhielten.

Abschied von Reagan

Die Ironie der extremen Polarisierung ist, dass die beiden
Parteien in vielen Fragen nicht so weit auseinanderliegen, wie man denken würde. Trumps Wirtschaftspolitik etwa ist für republikanische Verhältnisse ziemlich weit links. Symbolhaft dafür steht sein Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance. Vance ist in Ohio im «Rust Belt» aufgewachsen, seine Kindheit war von Armut, Gewalt und der Drogensucht seiner Mutter geprägt. Gegen alle Widerstände schaffte er es an die Eliteuniversität Yale und schrieb einen Bestseller, «Hillbilly Elegy», darüber. Seine politische Linie ist von einer Rhetorik ge­prägt, die sich gegen das «Establishment» richtet und für den «kleinen Mann» einsteht, etwa mit noch höheren Zöllen, restrik­tiver Migrationspolitik und einem höheren Mind­estlohn. Statt den Staatsapparat zu verkleinern, schlug Vance vor, dass die Republikaner ihn für ihre eigenen Zwecke einsetzen.

Trump ist ideologisch zwar ziemlich flexibel. Wenn es aber so etwas wie eine MAGA-Ideologie gibt, liegt sie nahe bei Vances Positionen – und ziemlich weit weg von der marktliberalen und freihändlerischen Politik eines Ronald Reagan.

«Amen!»

Der letzte Abend ist zugleich der Höhepunkt der Convention: Trump spricht – es ist seine erste Rede seit dem gescheiterten Attentat. Wird er einen anderen Ton anschlagen? Freudige Spannung erfüllt das Stadion. Hulk Hogan und Kid Rock stimmen das Publikum auf den grossen Auftritt ein. Dann betritt der Ex- Präsident unter Jubel und Kreischen die Bühne.

Zu Beginn seiner Rede wirkt Trump tatsächlich ungewöhnlich ruhig, fast demütig. Er schildert nochmals den Ablauf des Angriffs. Er sagt, er wolle ein Präsident für alle Amerikaner sein, und ruft zur Versöhnung auf – macht aber sogleich klar, dass er dafür in erster Linie die Demokraten in der Pflicht sieht. Diese sollten endlich aufhören, das Justizsystem zu instrumentalisieren. Das Ganze geht fast nahtlos in eine Wahlkampfrede über, wie man sie von Trump gewohnt ist. Er schiesst scharf gegen die Demokraten und lobt seine eigenen Errungenschaften.

Auf den Rängen klatschen die Leute immer wieder begeistert, rufen «Trump!», «We love you!» und «Amen!». Überhaupt wirkt die Rede eher wie eine Predigt. Trumps Anhänger sind ergriffen. Chöre von «Build that wall!», «Drill, baby, drill!» oder «Fight! Fight! Fight!» unterbrechen den Präsidentschaftskandidaten immer wieder.

Nach 90 Minuten ist die Show vorbei. Trump nimmt seine Familie in die Arme, von der Decke regnet es die obligaten Ballone. Ich bin froh, kann ich raus. Vier Tage Trump-Gottesdienst reichen mir.

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