Golo Mann. Instanz und Aussenseiter
Eine Biografie
«Er hat Begabungen von seinem Vater, aber ist als Charakter viel mehr als der Vater.» So Karl Jaspers über Golo Mann, der 1935 bei ihm in Heidelberg seine Dissertation geschrieben hatte: «Zum Begriff des Einzelnen, des Ich und des Intellektuellen bei Hegel». Urs Bitterli, sein Biograph, bezeichnet Golo Mann als «Instanz und Aussenseiter», und es gelingt ihm, den Spannungsbogen, der sich zwischen beiden Attributen dehnt, überzeugend und glaubwürdig herauszuarbeiten. Denn sicherlich war der Schriftsteller, Historiker und Politologe mehr als nur der begabte Sprössling eines alles überragenden Vaters. Dabei wird in der Arbeit des Biographen die tragisch gestimmte Lebensführung Golo Manns nicht verschwiegen. «Das, was man gemeinhin eine glückliche, unbeschwerte Kindheit nennt, hat Golo Mann nicht verlebt», heisst es schon gleich auf der ersten Seite. Das Resignative, Melancholische, das Golo Mann bis ins hohe Alter eigen war, hing freilich nicht nur mit den Verletzungen des Kindes zusammen, das von den Eltern wenig geliebt war. Vielmehr hat Golo Mann später unter starken Selbstzweifeln gelitten, auch nach dem grossen Erfolg seines «Wallenstein».
Seine ureigene Zunft, die Historiker, nahm ihn nicht für voll, weil er ein zu guter Erzähler und Schriftsteller war. Der politische Publizist, der sich zu allem und jedem äusserte und immer wieder von den Medien «angefragt» wurde, verzettelte sich und verbrauchte darüber Kraft und Energie für Grösseres. Zur Ruhe kam der «Aussenseiter» Golo Mann erst nach dem Tod der Mutter, der aber für ihn bereits zu spät eintrat. Katja Mann hatte den sie liebevoll umsorgenden Sohn im Kilchberger Haus bis ins hohe Alter Abweisung und Distanz spüren lassen. Das Private ist da nicht zu trennen von der Aussenwirkung. Das öffentliche Auftreten Golo Manns war nie frei von dieser Rückkopplung. Der «bedeutende Sohn eines grossen Vaters» – das Wort hat ihm noch in den letzten Lebensjahren gut gefallen, als er die elterliche Villa an der alten Landstrasse in Kilchberg verlassen hatte und zu seiner Schwiegertochter nach Leverkusen gezogen war. Was ihn von T.M., dem «Zauberer», wie ihn die Kinder nannten, auch unterschied, war der Umgang mit seiner Homosexualität. Urs Bitterli: «Die sexuelle Annäherung versagte er sich, aber die Liebe unterdrückte er nicht, und sie verschaffte ihm in fortgeschrittenen Jahren die Freuden und Leiden, die sich mit ihr zu verbinden pflegen.»
Sein Biograph schildert ausführlich die Schwierigkeiten, die Golo Mann nach seiner Rückkehr aus der Emigration im Wissenschaftsbetrieb der jungen Bundesrepublik zu bewältigen hatte. Eine Berufung an die Frankfurter Universität wurde von dem Duo Horkheimer/Adorno an der Spitze der «Frankfurter Schule» mit schäbiger Intrige und dem verleumderischen Vorwurf des Antisemitismus hintertrieben. Golo Mann, der aus seiner liberal-konservativen Einstellung nie ein Hehl gemacht hat, wehrte sich vergeblich und scheiterte.
Bitterli bewahrt gegenüber Golo Mann durchaus eine kritische Haltung. Er verschweigt zum Beispiel nicht die Fehleinschätzungen und Verirrungen, die sich der politische Kommentator Golo Mann geleistet hat. Mal stand er auf dieser, mal auf jener Seite, mal unterstützte er die Ostpolitik von Willy Brandt, dann diente er sich Franz-Josef Strauss als Wahlhelfer an. Am Ende sass er als Publizist zwischen vielen Stühlen. Vielleicht war es ein substantieller Mangel an Selbstbewusstsein und Vertrauen, der ihn am Ende ins Abseits geraten liess. Vielen wollte er es recht machen, und mit etlichen hat er es verscherzt. Dass er über lange Jahre hinweg von einer breiten Öffentlichkeit aber auch als Instanz begriffen wurde, hat ein eigenes Gewicht. Bitterlis Urteil bleibt auch hier fair: «Zu den Charaktereigenschaften, die wesentlich dazu beitrugen, Golo Manns Lebensglück zu schmälern, gehörte seine bis zur Selbstentäusserung getriebene Neigung, sich andern als gefällig zu erweisen.» Wer heute die Gräber der Familie Mann in Kilchberg besucht, findet dasjenige von Golo Mann weitab entfernt am Hang, so als habe er zumindest im Tod endlich seine Ruhe vor der ganzen Sippe haben wollen. Aussenseiter auch hier.
Wolf Scheller, geboren 1944, ist seit 1968 als Rundfunkjournalist tätig.