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Gilberte de Courgenay – sie war wie eine Mutter für die Soldaten
Gilberte de Courgenay. Bild: courgenay.ch.

Gilberte de Courgenay – sie war wie eine Mutter für die Soldaten

Eine Kellnerin wird im Ersten Weltkrieg im Jura zu einem Symbol der geistigen Landesverteidigung.

«C’est la petite Gilberte, Gilberte de Courgenay / Elle connaît trois cent mille soldats et tous les officiers.» So beginnt der mitreissende Refrain des Liedes, das von einem Trommler und einem Trompeter aus dem Entlebuch komponiert und später durch den Soldatensänger Hanns in der Gand im Jahr 1917 populär gemacht wurde. Diese Melodie machte Gilberte Montavon, die Tochter der Pächter des Hôtel de la Gare im jurassischen Courgenay, zur Heldin der Schweizer Soldaten im Ersten Weltkrieg. Sie erlebt die vier Jahre lang ununterbrochene Stationierung von Soldaten aus der ganzen Schweiz, welche in die Ajoie, diesem zwischen den kriegsführenden Mächten Deutschland und Frankreich gelegenen Winkel der Neutralität, beordert werden (das Elsass war damals von Deutschland besetzt). Nach dem Lied machten ein Roman und ein Theaterstück (1939) und vor allem ein Film (1941) Gilberte Montavon zu einem wahren Mythos. Sie verkörperte das weibliche Ideal in der Zeit der geistigen Landesverteidigung: mütterlich, hilfsbereit und selbstlos. Ein Symbol der nationalen Einheit, das die von faschistischen Regimen bedrohte Schweiz dringend benötigte.

«Sie verkörperte das weibliche Ideal in der Zeit der geistigen

Landesverteidigung: mütterlich, hilfsbereit und selbstlos.»

Unbeschwertheit im Krieg

Ab August 1914 standen sich die deutsche und die französische Armee vor den Toren des Juras gegenüber. Die im Elsass niedergebrannten Häuser und Ernten erhellen den Himmel auch über der Ajoie. Nicht weit entfernt ertönen Kanonendonner und über den Grenzen sind die mit dem Boden verbundenen Beobachtungsballons zu erkennen. Jederzeit kann die Region von einer der Kriegsparteien überfallen werden. Es braucht Mut und die Unbekümmertheit von Gilbertes 18 Jahren, um ein derart angstbesetztes Klima zu ertragen. Die irrtümlichen Bombenangriffe auf Schweizer Boden machen die Angst nur noch grösser. Doch Gilberte lässt sich ihr hübsches Lächeln nicht nehmen – man sagt, sie sei schöner als die anderen gewesen.

Nach der obligatorischen Schulzeit verbrachte Gilberte ein Jahr in der Deutschschweiz. Sie war fast perfekt zweisprachig, aber mit diesem leichten welschen Akzent, der Teil ihres Charmes ausmachte. Im Restaurant unterstützte sie die Moral der mobilisierten Soldaten, die weit weg von ihren Familien waren. Eliane Chytil, ihre Nichte, erzählt: «Dann unterhält sie sich mit diesen Zürchern, Luzernern, St. Gallern, Schwyzern und Unterwaldnern, die am Rande des Landes verloren sind, das sie nicht kennen und dessen Sprache sie nicht gut verstehen. Was aussergewöhnlich ist: Sie kennt jeden Namen, jedes Gesicht. Und sie merkt sich ihre Geschichten. Und wenn die Soldaten Monate später wiederkommen, empfängt sie ihr Lächeln. Ihr wunderbares Gedächtnis macht sie zu einer Schwester, einer Freundin, einer Mutter und einer Vertrauten. Tagsüber flickt sie die Hemden und Socken der Soldaten. Man muss doch die Mütter, die weit weg sind, ein bisschen ersetzen!»

Der Preis des Ruhms

Auch später, als sie berühmt ist, muss Gilberte Mut beweisen, um sich der Öffentlichkeit zu stellen. Das war ihr nicht in die Wiege gelegt und wurde ihr zuweilen auch zu viel, wie sie ihrem Bruder schrieb. Gilberte heiratete Ludwig Schneider, einen Kaufmann aus St. Gallen. Sie lebte ein normales Leben abseits des Rampenlichts in Zürich, wo sie 1957 starb.

Aber ein Mythos stirbt nie. Ab den 1960er-Jahren trugen die Jurafrage und die kantonale Unabhängigkeit dazu bei, dass Gilberte wieder ins Rampenlicht rückte, indem sie den Blick der Schweiz auf den Jura fokussierte. Heute ist die Erinnerung an Gilberte in der Deutschschweiz noch besonders lebendig, wahrscheinlich auch deshalb, weil alle Träger des Mythos (Lied, Roman, Theaterstück und Film) auf Deutsch geschrieben oder gespielt wurden. Das Bild des mutigen Mädchens, das sich in einer Welt voller bewaffneter Männer durchgesetzt hat, wird somit weiterhin Bestand haben.

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