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Genresprengendes Glanzstück eines ­jungen Talents

Genresprengendes Glanzstück eines ­jungen Talents

Eva Maria Leuenberger: kyung.

 

Wer Talent hat, macht oftmals schon in frühen Jahren von sich reden – so wie Eva Maria Leuenberger. Die Bieler Dichterin hat 2019 mit «dekarnation» ein ­Lyrikdebüt vorgelegt, das im vergangenen Jahr mit mehreren Preisen prämiert worden ist. Diesen Oktober wird sie mit dem Düsseldorfer PoesieDebütPreis 2021 ausgezeichnet. Nun liegt bereits ihr zweites Werk in den Buchläden, «kyung».

Die Anspielung dieses Titels, der vielen europäischen Lesern zunächst nichts sagen dürfte, wird auf den ersten Seiten aufgelöst. Dort schildert Leuenberger das Schicksal der koreanisch-amerikanischen Avantgardekünstlerin Theresa Hak Kyung Cha, die als Heranwachsende in die USA kam und 1982 in New York ermordet wurde. Chas erstes und einziges Buch «dictée» dient der Schweizer Autorin als Inspirationsquelle: Es ist «ein palimpsest einer fragmentierten identität, in deren mund sprache flimmert», schreibt Leuenberger ausschliesslich in Kleinbuchstaben. «übereinandergelegte kulturelle kontexte verweben sich zu einem dichten, mehrstimmigen material, geprägt von einer wahrnehmung, die der eigenen biographie nachtastet und sich wieder­findet in einem fluss aus mehrstimmiger stille.»

Wie «dictée» ist auch «kyung» eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit Identität, Herkunft und Sprache. Der Inhalt korrespondiert mit der formalen Gestaltung. Fragmentarisch vermengt Leuenberger lyrische Strophen, essayistische Passagen und persönliche Beschreibungen zu einem Text, der bewusst viele Leerstellen enthält, die vom Leser gefüllt werden müssen. Manch eine Formulierung regt zum Nachdenken an, andere hingegen ver­sperren sich dem Verständnis. Mal setzt sich die Sprache klangvoll in Bewegung, mal schleppt sie sich im theoretischen Duktus von einem Gedanken zum anderen.

Leuenberger zeigt ihr ganzes Können, sowohl intellektuell als auch künstlerisch. Mit «kyung» ist ihr gelungen, was viele ­Autorinnen und Autoren versuchen und doch nur von den wenigsten eingelöst wird: ein poetisches Glanzstück, das sich allen Genre­bezeichnungen entzieht.


Eva Maria Leuenberger: kyung. Graz: Droschl, 2021.

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