Genf, Sitz humanitärer Organisationen
Genf ist einer der wichtigsten Standorte internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. Die Bedeutung des internationalen Genf im humanitären Bereich ist besonders gross. Weltweit tätige humanitäre Organisationen wie das Uno-Flüchtlingshochkommissariat oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) haben in Genf den Hauptsitz. Das IKRK, dessen Gründung am Anfang der Entwicklung des humanitären Genf steht, ist mit dieser Stadt besonders verbunden.
Aufgabe des IKRK ist es, Leben und Würde von Opfern bewaffneter Konflikte und interner Wirren zu schützen und diesen zu helfen. Es setzt sich zudem ein für die Einhaltung der Regeln des humanitären Völkerrechts und trägt zu deren Auslegung, Klärung und Weiterentwicklung bei. Von Bedeutung für direkt in Konfliktgebieten tätige humanitäre Organisationen wie das IKRK sind im heutigen Umfeld vor allem
das Vorherrschen innerstaatlicher Konflikte oder Bürgerkriege und damit die immer grössere Rolle, die das Verhalten nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen für die humanitären Konsequenzen von Kriegen spielt;
zerfallene oder im Zerfall begriffene Staaten, die ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können oder wollen;
die keine geographischen Grenzen kennende bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten und transnational handelnden bewaffneten Gruppen, die sich vornehmlich terroristischer Methoden bedienen. Die Überschneidung dieser Konfliktebene mit lokalen Konflikten erschwert Konflikt- und Bedrohungsanalyse, auch für humanitäre Organisationen;
die Konsequenzen einer raschen weltweiten Information und Kommunikation, die weltweite Kohärenz in Aktion und Sprachgebrauch zu einer Kernvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit einer humanitären Organisation macht;
die prekäre Sicherheitslage mit verschwommenen Bedrohungsbildern. Das IKRK und andere humanitären Organisationen machten letztes Jahr die sehr schmerzliche Erfahrung, dass sie für gewisse Personen oder Gruppen, die bei der Verfolgung ihrer Ziele keine Tabus kennen, zur Zielscheibe geworden sind.
Die Frage, nach welchen Grundsätzen eine humanitäre Organisation in einem solchen Umfeld handelt, stellt sich heute mit besonderer Schärfe. Das IKRK überprüfte seine Ziele und Einsatzgrundsätze im Anschluss an den Anschlag auf die Delegation in Bagdad. Das Ziel bleibt die weltweite Wahrnehmung seines Auftrages, und zwar solange als in einem Gebiet Schutz- und Hilfsbedürfnisse für vom Kriege betroffene Menschen bestehen. Die Organisation hält an der unabhängigen und neutralen, ausschliesslich humanitären Aktion fest. Sie unterwirft sich folglich keinen politischen Entscheidungsprozessen und verzichtet grundsätzlich auf militärischen Schutz.
Das IKRK hat die internationale Rechtspersönlichkeit und ist von allen Staaten unabhängig, auch von der Schweiz. Es ist folglich nicht der humanitäre Arm der Aussenpolitik irgendeines Staates. Die Unterstützung des heute zu 90 Prozent von Staaten und der EU-Kommission finanzierten IKRK kann dagegen in der humanitären Aussenpolitik von Ländern eine wichtige Rolle spielen.
Die Beziehung zur Schweiz ist durch die Entstehungsgeschichte der heute rund 12 000 Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter zählenden Organisation, durch den Standort ihres Hauptsitzes und die Bedeutung, die die Schweiz humanitärer Hilfe und Politik beimisst, trotzdem eine besondere. Durch die im Lande getätigten Einkäufe und ausbezahlten Löhne ist das IKRK andererseits auch wirtschaftlich für die Schweiz interessant. Das humanitäre Völkerrecht ist der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und der beiden Zusatzprotokolle auch ein besonderes Anliegen. In Ausnahmesituationen konnte das IKRK in der Vergangenheit auch wiederholt auf die Unterstützung der Schweiz rechnen. Die Schweiz ist mit rund 12 Prozent der von der Staatengemeinschaft und der EU-Kommission geleisteten Beiträge nach den USA und Grossbritannien der drittgrösste Geldgeber.