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Generation unbeschwert
Gioia Porlezza, zvg.

Generation unbeschwert

Ich gehöre zu den Letzten, die nicht mit Smartphone und Social Media aufgewachsen sind. Wir haben sie aber bald intensiv genutzt. Dadurch gewannen wir Freiheit, dafür haben wir Mühe, uns zu fokussieren.

Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als das erste massentaugliche iPhone in der Schweiz auf den Markt kam. Revolutionär. Ich war damals im Gymi, und die meisten von uns hatten ein Handy – aber natürlich mit Tasten. Die «Coolen» unter uns ergatterten bald ein solches «Smartphone». Die Rationalen nicht – schliesslich ergab ein Smartphone überhaupt keinen Mehrwert. Man konnte damit nicht mehr unter dem Tisch blind Nachrichten schreiben, was mit einem Tastenhandy absolut kein Problem war. Es passte weder in die «Low Rise»-Jeans noch in den BH. Und sowieso: Es war viel zu teuer.

Irgendwann war der Druck dann aber zu gross, und auch ich gab nach: Ich bekam mein erstes iPhone. Damit konnte man überhaupt nichts machen, ausser «dazuzugehören». Es gab weder WhatsApp, Instagram, Facebook noch ein bezahlbares Internet-Abo. Aber dazugehören, das ist das, was Generationen schliesslich ausmacht.

Die Generation Y, auch «Millennials» genannt, umfasst die Jahrgänge von 1981–1996. Illustration: Ama Design.

Ohne Filter

Während meiner Teeniezeit entstanden Dinge, die heute als selbstverständlich gelten. Der App-Store. Facebook. Instagram. WhatsApp. Google Maps. «20 Minuten». Manchmal frage ich mich, wie wir früher eigentlich ohne sie ausgekommen sind. Und trotzdem bin ich froh, dass in meinem «Früher» all diese Dinge nicht vorhanden waren.

Wir hänselten uns «nur» auf dem Pausenplatz. Wir hatten keine Standards, was «dick» oder «dünn» war. Den einzigen Filter, den wir kannten, haben wir selbst gebastelt, um das Wasser vom Bach «trinkfähig» zu machen. Mein Gesicht war mir bis ins Gymi absolut egal. Einmal hat mich sogar unser Busfahrer gefragt, ob ich in eine Schlägerei geraten sei: So toll waren meine Schminkkünste. Es hat aber schlichtweg niemanden interessiert, am wenigsten mich – denn festgehalten wurde nichts. Wie auch: Ohne ein ständig griffbereites Smartphone macht ja niemand Fotos. Mobbing, Hänseleien und Vergleiche wurden nach meiner Schulgeneration auf ein neues Niveau gehoben: Der Pausenplatz reicht plötzlich bis nach Hause und unter die ­Bettdecke. Davor war meine Generation noch so gut wie geschützt.

Alle Türen offen

Diese Unbeschwertheit ging einher mit einem allgegenwärtigen Gefühl von Stabilität. Am 11. September 2001 erlebten wir zwar das erste Mal, was «Terror» war, aber die Schweiz hat er nie wirklich erreicht. Kurze Zeit später folgte die Einführung des Euros – die grösste Sorge für mich als 10-Jährige war, ob mein hart erspartes Taschengeld überleben würde. Es tat es. Auch die Finanzkrise schrammte am Schweizer Bürger meines Alters irgendwie vorbei – klar, politisch wurden wir auf Trab gehalten, aber irgendwie ging es uns immer gut. Es traf unsere Eltern, aber wir kamen durch die Schule, durch die Ausbildung, in den Arbeitsmarkt: Uns steht und stand nichts im Wege.

Wir sind als «Generation unbeschwert» gestartet. Unsere Eltern konnten uns alles ermöglichen und hatten grosse Ziele für uns: Es musste noch besser gehen als bei ihnen, den Babyboomern. Deshalb gingen in meiner Generation auch so viele ins Gymi: «Wells denn öpis us dir geh chan.» Was das war, wussten wir gar nicht – «irgendetwas» halt. Wir konnten uns aber auch noch gar nicht über unsere Freunde hinaus vergleichen – Social Media? Klar, wir nutzten sie, um uns Nachrichten zu schreiben und Fotos mit komischen Sepia-Filtern zu teilen. Also nicht von uns, versteht sich. Das mit den Selfies kam erst später.

Arbeiten? Wir?!

Im Arbeitsleben gestartet, kamen wir auf die Welt: Arbeiten? Wir? Ist das wirklich das, wofür wir an unseren «Elite­gymis» waren, wie es uns immer eingetrichtert wurde? Bis zum Master Unternehmensführung studiert und dann «nur» 6000 Franken verdienen? «C’mon!», würden wir da sagen. Sich hinsetzen, arbeiten, Autorität akzeptieren: Das fällt meiner Generation schwer. Ich habe schon mit sehr vielen «Studierten» zusammengearbeitet, die ich niemals anstellen würde. Studieren, um studiert zu haben: Das ist der Weg, den viele in meiner Altersklasse eingeschlagen haben.

Parallel zu den neuen technischen Möglichkeiten hat sich während meiner Jugend auch die Medienlandschaft komplett verändert. Das Gratisblatt «20 Minuten» hielt Einzug in unseren Alltag. Bis heute ist es für viele in meiner Generation das einzige Medium, das sie als «Zeitung» ­nutzen. Ein Medium, das durch Werbung finanziert und mit Kurznews gefüttert wird. Nicht umsonst kann meine Generation kaum noch lange Texte lesen, geschweige denn sich für ein Zeitungsabo begeistern. Warum auch, wenn’s gratis geht.

Subjonctif vs. politische Bildung

Mit kürzeren Texten hielt auch ein Problem Einzug, das ich heute vor allem aus politischer Sicht sehr bedenklich finde: Komplexität schreckt uns ab. Wir können mit Komplexität kaum mehr etwas anfangen, weil wir dahingehend erzogen wurden, dass wir alles in kleinen Häppchen serviert bekommen, und vor allem, dass unsere eigene Meinung sehr, sehr wichtig ist. Insbesondere in einem System der direkten Demokratie, wo es unabdingbar ist, dass man komplexe Sachverhalte versteht, ist die Trägheit meiner Generation eine Gefahr.

Nicht ohne Grund reden wir heute mehr über Pro­bleme von extrem kleinen Minderheiten statt über solche, welche die ganze Schweiz betreffen: die Kosten des ­Gesundheitswesens, unsere Altersvorsorge, eine Infrastruktur, die aus allen Nähten platzt, und so weiter. Lösungen für diese Probleme sind für viele einfach zu komplex geworden. Man kann sie nicht in einem Häppchen erklären. Das führt dazu, dass vereinfachte Theorien, also extreme Ansichten, Hochkonjunktur haben. Wer einen Schuldigen findet, ist fein raus. Es ist einfacher, einer Ideologie zu folgen, als Dinge von Grund auf zu verstehen und Kompromisse zu erarbeiten. Es ist mir auch unverständlich, weshalb wir keine politische Bildung in den Schulen haben – sogar nach 9 Jahren Volksschule und 4 Jahren Gymnasium hatte ich genau ein halbes Jahr lang Staatskunde. Ich habe mehr über Steine und den Subjonctif gelernt als über meine demokratischen Mittel – und das ist leider echt kein Witz.

In meiner Generation wurde etwas Wichtiges gewonnen und etwas Wichtiges ging verloren. Gewonnen haben wir die Freiheit, immer und überall erreichbar zu sein, uns das Internet im Alltag zunutze zu machen. Verloren haben wir die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu verstehen und uns die Mühe zu machen, Dinge zu hinterfragen – und auch einmal in den sauren Apfel zu beissen. Denn für meine Generation waren die süssesten Früchte von Anfang an tiefhängend und einfach zu erreichen.

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