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Geld und Staat gehören getrennt
Lyn Alden, zvg.

Geld und Staat gehören getrennt

Der Missbrauch des Fiatsystems gefährdet die Freiheit und Sicherheit von Bürgern weltweit. Mit Bitcoin bricht ein neues Zeitalter an.

Read the English version here.

Im Mai 2022 war ich im norwegischen Parlament in Oslo. Mehrere Abgeordnete hatten vorgeschlagen, das Mining von Bitcoin in Norwegen zu verbieten. Ich sprach mit einigen von ihnen als Teil einer Gruppe von Vertretern der Human Rights Foundation. Das Ziel der Human Rights Foundation ist es, Menschen in autoritären oder halbautoritären Regimen zu ihren Grundrechten zu verhelfen.

Einige der Menschenrechtsaktivisten in der Gruppe kamen aus Nigeria und erzählten, wie sie, als ihre Bankkonten ein­gefroren wurden, weil sie gegen exzessive Polizeigewalt in ihrem Land protestiert hatten, stattdessen auf Bitcoin-Spenden zurückgriffen. Dasselbe galt für den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Angesichts der häufigen Sperrungen von Bankkonten in Russland nutzte Nawalnys Organisation Bitcoin, um Geld zu sammeln und den Widerstand gegen Wladimir Putins diktatorisches Regime zu finanzieren.

Als ich darauf angesprochen wurde, beschrieb ich, wie das Bitcoin-Netzwerk oft billige und überschüssige Energie nutzt. Das norwegische Stromnetz besteht zu über 90 Prozent aus sauberer Wasserkraft, und insbesondere im Norden des Landes gibt es viele ungenutzte Ressourcen, die das Bitcoin-Netzwerk unterstützen können. Private Unternehmen haben dies bereits erfolgreich getan, und meiner Meinung nach gibt es keinen Grund für die Regierung, einzugreifen und sie daran zu hindern.

Eingefrorene Bankkonten in Kanada

Wenige Monate vor dem Treffen fand in Kanada ein grosser Truckerprotest statt, der sich gegen die Covid-Impfvorschriften und Mobilitätsbeschränkungen richtete. 2021 hatte Kanadas Regierung immer strengere Mobilitätseinschränkungen ein­geführt. Ohne Impfnachweis durfte man weder Zug noch ­Flugzeug benutzen, was die Bewegungsfreiheit innerhalb des ­Landes einschränkte und vor allem keine realistische Möglichkeit bot, das Land ohne Impfung zu verlassen. Anfang 2022 verschärfte die Regierung die Restriktionen weiter und verlangte von LKW-Fahrern, die nach Kanada einreisten, einen Impfnachweis.

7. Februar 2022: Lastwagen blockieren im Rahmen des Trucker-Konvoi-Protests die Strassen in Ottawa, Kanada. Bild: Paul McKinnon/Alamy Stock Foto.

Jede grosse Demonstration wird mit extremistischen Figuren in Verbindung gebracht, aber im Grossen und Ganzen waren die kanadischen Truckerproteste friedlich. Sie wurden von vielen normalen Menschen unterstützt, die sich in die Enge ­getrieben fühlten. Ziel der Proteste war es, durch Störungen Aufmerksamkeit zu erregen, was die Protestierenden Zeit und Geld kostete.

Zur Unterstützung der Demonstranten gingen zahlreiche Spenden ein, sowohl in Fiatwährung als auch in Bitcoin. ­Benjamin Tyler Perrin, ein bekannter Anbieter von Bitcoin-Schulungen, half bei der Einrichtung eines Spendenportals, über das Menschen Bitcoin zur Unterstützung der Trucker senden konnten. Perrin ging davon aus, dass die Spenden gering ausfallen und von der Regierung nicht beanstandet werden würden. Da jedoch viele Spendenportale wie GoFundMe angewiesen wurden, ihre Dienste einzustellen, ohne dass Gelder überwiesen wurden, wurde das Bitcoin-Netzwerk zu einer der ganz wenigen Möglichkeiten, Spenden an die vorgesehenen Empfänger zu übermitteln.

Die kanadische Regierung erliess daraufhin Notstandsverordnungen und wies die Banken an, die Bankkonten bestimmter Demonstranten sowie von Personen, die den Demonstranten lediglich Geld gespendet hatten, einzufrieren. Jemand hätte der Regierung sagen sollen, dass es bei den Technologien, die das Einfrieren von Geldern erschweren, nicht darum geht, legitime Gesetze zu umgehen, sondern darum, sicherzustellen, dass die Regierungen selbst ihre eigenen Gesetze einhalten.

Dies berührt eine alte politische Debatte zwischen individualistischer und kollektivistischer Politik. Ähnliches gilt für die weitverbreitete Praxis der zivilrechtlichen Beschlagnahme. In den Vereinigten Staaten werden jedes Jahr Bargeld, Schmuck und andere Wertsachen in Milliardenhöhe von der Polizei beschlagnahmt, ohne dass die Betroffenen eines Verbrechens angeklagt werden. Wenn eine Person mit Bargeld oder Wertgegenständen durch einen Flughafen reist oder angehalten wird, weil sie viel Bargeld oder Wertgegenstände mit sich führt, kann die Polizei in vielen Staaten diese Gegenstände einfach beschlagnahmen, ohne die Person wegen einer Straftat anzuklagen. Die Person muss dann ein langwieriges und kostspieliges Verfahren durchlaufen, um ihr Eigentum zurückzubekommen, was für wenig vermögende Personen eine grössere Hürde darstellt.

Finanzielle Zensur gegen Demonstranten oder politische Opposition ist ein übliches Mittel in autoritären und halbautoritären Regimen, aber auch in Demokratien treten gelegentlich Nuancen davon auf, meist während oder nach extremen Ereignissen. Echte Freiheit kann jedoch nur existieren, wenn sie über einem bestimmten Interesse steht und nicht etwas ist, das man missliebigen Gruppen einfach wegnehmen kann. Mit anderen Worten: Ein ordentliches Verfahren sollte sowohl für die rechtschaffensten als auch für die verhasstesten Gruppen gelten. Dies kann nicht in einem Umfeld geschehen, in dem Bitcoin selbst den Launen politischer Gegensätze unterworfen ist.

Bitcoin als unparteiische und friedliche Revolution

Derzeit gibt es in den USA mehr republikanische als demokratische Politiker, die Bitcoin unterstützen. Von Anfang an hatte Bitcoin ein politisches Element. Es ist der weltweit grösste und erfolgreichste Versuch einer staatenlosen digitalen Währung, und diese Tatsache hat ein gewisses politisches Gewicht. Verschlüsselung ermöglichte ursprünglich den privaten Austausch von Informationen, jetzt ermöglicht Verschlüsselung auch den privaten Austausch von Vermögenswerten. Informationen und Werte sind zwei wichtige Komponenten, die Individuen benötigen, um Handel zu treiben.

Heute ist Bitcoin ein Netzwerk, das Menschen von links bis rechts zusammenbringt und sie zum Teil neu organisiert, indem es ihnen etwas gibt, das sie nutzen und auf dem sie aufbauen können, sodass sie sich nicht nur auf Proteste verlassen müssen. Es bietet ihnen die Möglichkeit, aus dem bestehenden Finanzsystem, das sie als zutiefst korrupt ansehen, auszusteigen und stattdessen ein paralleles Peer-to-Peer-Finanzsystem aufzubauen. Aus diesem Grund bezeichnen viele Befürworter des Bitcoin-Netzwerks ihre Aktivitäten als friedliche Revolution. Obwohl die Technologie also politische Implikationen hat, ist sie nicht von Natur aus parteiisch.

Viele linke Bitcoin-Befürworter sehen die Kryptowährung als ein Werkzeug, um die Macht von Unternehmen und die Vetternwirtschaft zu begrenzen. Rechte Bitcoin-Anhänger wieder­um sehen sie als ein Instrument, um die Macht des Staates zu begrenzen. Auf den höchsten Ebenen der Macht sind Regierungen und Unternehmen ohnehin miteinander verflochten. Big Defense, Big Food, Big Agriculture, Big Pharma, Big Tech, Big Oil und so weiter haben erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung bezüglich Staatsausgaben. Mit einem flexiblen öffentlichen Rechnungswesen können Regierungen jedes Unternehmen ­bevorzugen, und Unternehmen können ihren finanziellen ­Einfluss nutzen, um sicherzustellen, dass die von ihnen bevorzugten Regierungsvertreter an die Macht kommen und dort bleiben. Es gibt eine Drehtür für Regulierer und Regulierte, und Bitcoin wurde entwickelt, um einen Teil dieses öffentlichen Hauptbuchs («public ledger») zu übernehmen.

Der Populismus hat viele Gesichter, aber an den Rändern des politischen Spektrums gibt es auch extremistische Elemente. In einer zunehmend chaotischen Welt wollen die Menschen oft Ordnung um jeden Preis, selbst wenn sie dafür ein Stück Freiheit aufgeben müssen. Sie wollen von einem scheinbar starken Führer gesagt bekommen, wo das Problem liegt und wie der Plan zur Lösung aussieht. Leider entpuppt sich das, was der starke Führer als Problem identifiziert, meist als Fehldiagnose, die die Schwächsten der Gesellschaft zugunsten der Mehrheit opfert oder die wirtschaftlichen Anreize für eine effiziente Produktion von Gütern und Dienstleistungen zunichtemacht.

Der Abwehrkampf der Nationalstaaten

Als einige Zivilisationen einen grossen technologischen Vorteil gegenüber anderen erlangten, ermöglichte ihnen das, ihre Hauptbücher weitgehend zu kontrollieren. Mit dem Aufkommen des Bankwesens und der Zentralbanken in einer Welt der Telekommunikation – in der Gold zu langsam war, um als Währung zu dienen – wurden die Hauptbücher zunehmend zentralisiert und von den Nationalstaaten kontrolliert.

Regierungen und ihre Zentralbanken haben im Wesent­lichen ein Monopol auf schnelle Geldtransfers über grosse Entfernungen erworben, was ihnen mehr Flexibilität gibt, die Ersparnisse der Menschen innerhalb ihrer Grenzen zu entwerten und diesen Wert auf undurchsichtige Weise für ihre Zwecke zu nutzen. In Zukunft werden digitale Bottom-up-Geldformen wie Bitcoin darauf abzielen, den Menschen das Hauptbuch zurückzugeben, während digitale Top-down-Geldformen wie digitale Zentralbankwährungen den Nationalstaaten noch mehr Kon­trolle über das Hauptbuch geben, das von den Menschen verwendet wird.

Wenn eine Gruppe in der Lage ist, Geld zu Kosten zu schöpfen, die weit unter dem aktuellen Marktwert liegen, dann hat sie die Macht der Seigniorage erlangt und kontrolliert damit das Hauptbuch ganz oder teilweise. Wenn hingegen niemand Geld kostenlos schöpfen kann – wie in einer Welt, in der Protogeld zwischen Stämmen mit ähnlichen technischen Fähigkeiten fliesst –, dann hat niemand die Macht der Seigniorage, und die Natur allein kontrolliert das Hauptbuch. Wenn eine Gruppe ­einen ausreichenden Grad an technologischer Überlegenheit über eine andere Kultur erreicht und in der Lage ist, die Glas­perlen, Muschelketten, Rai-Steine, Kakaobohnen oder andere Wertgegenstände, in denen die Gruppe mit weniger Techno­logie ihren Reichtum aufbewahrt, billig herzustellen, dann hat sie die Macht der Seigniorage erlangt.

In Fiatwährungssystemen können souveräne Regierungen und Zentralbanken fast kostenlos Geld schaffen, das von allen anderen innerhalb eines Landes als wertvoll angesehen wird, auch wenn es ständig verwässert wird. In vielen Ländern erzeugt das eine dramatische Misswirtschaft, die zu einem massiven Anstieg der Geldmenge und der Gesamtpreise führt. Wenn die Menschen versuchen, in andere Systeme oder Vermögenswerte zu flüchten, um ihre Ersparnisse zu schützen, übernehmen die Behörden selten die Verantwortung für das Problem. Stattdessen geben sie Spekulanten und externen Kräften die Schuld und versuchen oft, die Ausgänge zu blockieren.

«In Fiatwährungssystemen können souveräne Regierungen und

Zentralbanken fast kostenlos Geld schaffen, das von allen anderen

innerhalb eines Landes als wertvoll angesehen wird, auch wenn

es ständig verwässert wird.»

Gold wird seit langem als Wertaufbewahrungsmittel genutzt, doch im digitalen Zeitalter ist das keine brauchbare Transaktionswährung. Das Bitcoin-Netzwerk ist eine neuere und schnellere Alternative. Niemand kann Bitcoins umsonst erzeugen, somit hat niemand die Macht der Seigniorage. Ebenso kann niemand Transaktionen zensieren, es sei denn, er kon­trolliere mehr als 50 Prozent der aktiven Verarbeitungsleistung des Netzwerks. Und Bitcoin kann sich global bewegen, ohne dass Zentralbanken benötigt werden. Allerdings steckt das Netzwerk noch in den Kinderschuhen, und es bleibt abzuwarten, wie robust es gegenüber grösseren Angriffen durch mächtige Regierungen sein wird, die versuchen könnten, ihre eigenen zentralisierten Geldsysteme zu schützen, wenn diese mit der Zeit durch ihre eigene Entropie destabilisiert werden.

Staaten müssen transparenter werden

Bei der Idee der Trennung von Geld und Staat geht es nicht ­darum, den Staat abzuschaffen. Es geht vielmehr darum, eine dezentrale Geldtechnologie zu schaffen, die, wenn sie sich durchsetzt und gegen Angriffe resistent ist, den Staat auf eine Stufe mit allen anderen stellt. In einer Welt, in der schnelles, transportierbares, selbstverwahrtes, weltweit übertragbares und fälschungssicheres Peer-to-Peer-Geld weit verbreitet ist, müssten die Regierungen ihr Handeln transparenter gestalten, da es den Menschen mehr Möglichkeiten bietet. Bei 160 Fiatwährungen auf der Welt und mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung, die unter verschiedenen Formen von Autoritarismus lebt, ist dies ein ehrgeiziges Ziel. Open-Source-Geld in Form von Bitcoin könnte eines Tages gross genug werden, um direkt mit dem US-Dollar zu konkurrieren, aber die Vorteile, die sich schon jetzt abzeichnen, sind, dass die Technologie eine Alternative für Milliarden von Menschen bietet, die Fiatwährungen in einer Vielzahl von Rechtssystemen verwenden, an die viele Menschen kaum denken. Ausserdem ermöglicht sie eine viel ­raschere Innovation im Bereich des Geldes und eröffnet völlig neue Anwendungen, die mit der bestehenden Technologie nicht möglich sind.

«Es geht darum, eine dezentrale Geldtechnologie zu schaffen, die, wenn sie sich durchsetzt und gegen Angriffe resistent ist, den Staat auf eine Stufe mit allen anderen stellt.»

Wenn sich die Politik in vielen Teilen der Welt weiter weg von der Freiheit und hin zu einem unterschiedlichen Grad an Autoritarismus bewegt, wie es in den letzten zwei Jahrzehnten der Fall war, dann könnte die Kontrolle über das öffentliche Hauptbuch sogar noch wichtiger werden, als es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. In weniger freien Teilen der Welt haben die Nutzer einer zentral gesteuerten Währung immer weniger Kontrolle und Transparenz darüber, wie das öffentliche Hauptbuch geführt wird. Gleichzeitig haben Regierungen und Unternehmen immer mehr Kontrolle und Einblick in das Hauptbuch, wie viel sie haben und wie sie es verwenden dürfen.

Während die Politik die Art und Weise, wie wir mit Geld ­umgehen, lokal und vorübergehend beeinflussen kann, ist der Einfluss der Technologie global und dauerhaft. Mit dem Aufkommen neuer Technologien werden bestimmte Arten von Buchgeld verschwinden, während neue Arten entstehen und benötigt ­werden. Aus diesem Grund werden neue Geldformen in der Regel nicht nur lokal, sondern weltweit eingeführt. Als die Welt zu­nehmend industrialisiert wurde, setzte sich Gold gegenüber allen anderen Rohstoffen durch. Als dann die Welt zunehmend durch Telekommunikationssysteme verbunden wurde, verdrängten Fiatwährungen das Gold in allen Ländern. Nun, da digitale Knappheit und digitale Verrechnung neue Formen der Techno­logie sind, bricht wieder ein neues Zeitalter des Geldes an.

Wir können die Zukunft nicht kennen. Das Beste, was wir tun können, ist, die Gegenwart zu analysieren, uns vorzu­stellen, wie die Zukunft unserer Meinung nach aussehen sollte, und dann unsere individuellen Rollen zu spielen, um dieser ­Vision näherzukommen. Meiner Meinung nach ist dezentrales Open-Source-Geld, das den Einzelnen ermächtigt, das ohne Genehmigung verwendet werden kann und das einen grenzenlosen Wertefluss ermöglicht, sowohl leistungsfähig als auch ethisch vertretbar. Das Konzept stellt in vielerlei Hinsicht eine Verbesserung des derzeitigen Finanzsystems dar und bietet eine Kontrolle über übermässige Macht, die es wert ist, erforscht und unterstützt zu werden.

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Demonstration gegen die Corona-Massnahmen der deutschen Regierung im August 2020 in Berlin. Sie wurde organisiert von der von Michael Ballweg gegründeten Bewegung «Querdenken-711». Bild: Keystone/sulupress.de.
Plötzlich ohne Bankkonto

Ich organisierte Proteste gegen die Covidmassnahmen – dann verlor ich den Zugriff auf mein Vermögen und damit meine Firma. Jetzt bleiben mir nur noch Bitcoin und Bargeld.

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