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Geld braucht Flexibilität

Freie Wechselkurse sind besser als ihr Ruf – Replik auf die Kritik von SM-Autoren an den Zentralbanken*

Die Meinungen scheinen gemacht. Der amerikanische Notenbankchef Ben Bernanke druckt weiter zu viel Geld und hat noch immer nicht verstanden, dass dies ausser einer Hyperinflation nichts bringt. Manche Kommentatoren behaupten gar, die amerikanische Geldpolitik ziele darauf ab, eine Hyperinflation herbeizuführen, denn nur so könne der Schuldenberg – notabene das Werk von Bernankes Kollege und Finanzminister Timothy Geithner – abgetragen werden. Und die meisten anderen Notenbanken der entwickelten Länder würden es der Fed gleichtun.

Diese Sicht der Dinge ist jedoch zu simpel. Sie berücksichtigt nicht, dass es zwei Arten von Rezessionen gibt: angebotsinduzierte Rezessionen wie die Ölkrise der 1970er Jahre und nachfrageinduzierte Rezessionen, zu denen Finanzkrisen gehören. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn Finanz- und Immobilienkrisen sind ihrer Natur nach deflationär. Warum dies so ist, lässt sich am Beispiel Japans aufzeigen, dessen Misere seit Ende seit 1980er Jahre bis heute andauert.

In Japan stiegen die Immobilienpreise in den 1980er Jahren rasant an, wobei der Boom in einen grossen Immobiliencrash mündete – wie jüngst in den USA. Deflation entstand in Japan dadurch, dass die Unternehmen in den 1980er Jahren sich durch Zukauf von Land und Immobilien rege an einem Boom beteiligten – auf Pump. Dies erwies sich als fatal. Der Rückgang der Immobilienpreise bedeutete eine Bilanzschrumpfung von Industrie- und Finanzunternehmen, die dazu führte, dass die Schulden bedient werden mussten. Dies geschah, indem die japanischen Unternehmen aus den laufenden Geschäftserträgen die Hypothekarkredite – proportional zu den Preisrückgängen der Immobilien – zurückzahlten und somit wenig investierten. Dies wiederum hatte zur Konsequenz, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zurückging. Als Gegenmassnahme schwenkte die Geldpolitik auf Expansionskurs um und begann ihre Nullzinspolitik Mitte der 1990er Jahre. Begleitend erfolgte eine ebenfalls expansive Fiskalpolitik durch eine Erhöhung der Staatsausgaben, um die ausgefallene private Nachfrage zu kompensieren.

Interessant aus volkswirtschaftlicher Sicht ist, dass die Folgen einer fast zwanzigjährigen expansiven Nullzinspolitik durch die Bank von Japan keine Inflation zur Folge hatte. Japan ringt im Gegenteil nach wie vor mit einer hartnäckigen Deflation. Das Beispiel Japans zeigt also, dass eine expansive Geldpolitik, oder salopp ausgedrückt: das Drucken von Geld, nicht notwendig zu Inflation führt, insbesondere dann nicht, wenn die Bilanzen der privaten Unternehmen schrumpfen.

Die Analogie zur aktuellen Krise ist frappant. In den USA begann Mitte der 1990er Jahre ebenfalls ein Immobilienboom, der vor allem durch die offizielle Politik der Wohneigentumssubventionierung der Clinton-Administration gefördert wurde. Die privaten Haushalte
begannen sich immer mehr zu verschulden. Als auch in den USA die Immobilienpreise 2006 zu fallen begannen, ereilte die US-Immobilienbesitzer das gleiche Schicksal wie die japanischen Firmen: sie mussten ihre Hypotheken zurückzahlen. Konkret: wenn mein Haus heute nur noch zwei Drittel seines ursprünglichen Wertes hat, muss ich auch einen bedeutenden Teil meiner Hypothek zurückzahlen. Das zwingt mich zum Sparen, so dass ich weniger Geld für andere Ausgaben zur Verfügung habe. Insgesamt führt dies dazu, dass die Kreditnachfrage der Privaten und der Unternehmen bei den Banken zurückgeht. Dies ist in der aktuellen Krise der entscheidende Punkt: zurzeit weist nach wie vor nichts darauf hin, dass die von der Zen-tralbank geschaffene Liquidität in einem bedeutenden Ausmass in die Wirtschaft fliesst. Vielmehr bleibt sie zu einem grossen Teil auf den Konti der Banken bei der Zentralbank liegen.

Dieser Befund wird durch den sogenannten Geldschöpfungsmultiplikator bestätigt, der das Geldmengenaggregat M2 (Sichteinlagen und kurzfristige Spareinlagen) ins Verhältnis zur Geldmenge M0 (Girokonti der Geschäftsbanken bei der Zentralbank) setzt: M2/M0. Dieser Multiplikator ist seit 2008 eingebrochen – die Geldmenge M0 stieg durch das Anwerfen der Gelddruckmaschine zwar stark an, die breitere Geldmenge M2 blieb jedoch praktisch konstant. Oder bildlich gesprochen, in Anlehnung an eine Formulierung Bernankes, wonach man notfalls Banknoten mit Helikoptern unter die Leute bringen könnte, um Deflation zu verhindern: das Geld wurde zwar in die Helikopter geladen, diese sind aber noch nicht abgeflogen.

Die Begründung hierfür liefert die monetaristische Quantitätsgleichung – der Leser möge mir die technischen Ausführungen nachsehen, doch sind sie für das Verständnis von Inflation bzw. Deflation unerlässlich. Diese Gleichung besagt, dass sich bei konstanter Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (= Helikopter hebt sofort nach dem Beladen ab) eine Erhöhung der Geldmenge zwangsläufig in höheren Preisen, sprich in Inflation niederschlägt. Doch gilt eben auch umgekehrt: wenn die Umlaufgeschwindigkeit fällt
(= Helikopter wurde beladen, bleibt aber am Boden), also weniger Geld in die Wirtschaft fliesst, entsteht auch in einer monetaristischen Welt keine Inflation bei steigenden Geldmengen.

Aber wann starten die Helikopter und werfen das Geld ab? Wann also steigen der Geldmengenmultiplikator und die Umlaufgeschwindigkeit wieder an und signalisieren, dass die Inflation steigt? Wann ist somit der Zeitpunkt gekommen, das geschaffene Geld wieder abzuschöpfen und die Zinsen zu erhöhen? Dies ist dann der Fall, wenn die Immobilienpreise nicht mehr fallen oder besser: wenn sie wieder steigen. Denn dann ist die Entschuldung vorüber, und es wird weniger gespart. Dies ist zurzeit noch nicht der Fall. Die neuerliche Schwäche der amerikanischen Wirtschaft und der schwache US-Häusermarkt deuten jedenfalls nicht darauf hin, dass bereits jetzt mit der geldpolitischen Exitstrategie begonnen werden müsste.

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt die sogenannte «Taylor-Regel», benannt nach dem Stanford-Ökonomen John B. Taylor. Die Taylor-Regel gibt an, wie hoch der Leitzins einer Notenbank idealerweise sein müsste, um ein inflationsfreies Wirtschaftswachstum zu erzielen. Sie stellt somit eine Art Handlungsanleitung für Notenbanken dar (siehe Graphik). Interessant ist, dass gemäss der Taylor-Regel die amerikanische Geldpolitik Mitte des letzten Jahrzehnts tatsächlich zu expansiv war und die Leitzinsen schon ab 2002 hätten erhöht werden sollen. Dies gibt den Greenspan-Kritikern bis zu einem gewissen Grad recht. Merkwürdig ist allerdings, dass die Kritik am Präsidenten der amerikanischen Notenbank erst seit dem Ausbruch der Krise laut formuliert wird. Wo waren all die Greenspan-Kritiker 2002 bis 2006, als tatsächlich die Zinsen hätten angehoben werden sollen? Kaum jemand wagte es damals, ihn öffentlich zu kritisieren. Die heutige, oftmals pauschal vorgetragene Kritik an der US-Geldpolitik hat deshalb einen schalen Beigeschmack.

Bemerkenswert ist, was sich aus der Taylor-Regel zur Geldpolitik des heutigen Fed-Chefs ableiten lässt. Diese fällt ab 2009 in den negativen Bereich – dies bedeutet nichts anderes, als dass sogar negative Leitzinsen angebracht wären. Dies wurde de facto durch das sogenannte Quantitative Easing (QE) getan, also durch den Kauf von Staatsobligationen gegen neues Geld. Aktuell legt die Taylor-Regel nun wieder Leitzinsen um 0 Prozent nahe, was durch das angekündigte Ende des QE-Programms auch implementiert wird.

Konklusion: Flexible Wechselkurse sind gut
Die Kritiker der Geldpolitik führen nun oftmals die Vorteile eines Gold- oder Golddevisenstandards ins Feld. Sie argumentieren, dass dadurch die beliebige Erhöhung der Geldmenge verunmöglicht und Inflation verhindert würde. Leider reicht der Platz an dieser Stelle nicht aus, um die Vor- und Nachteile eines Golddevisenstandards oder eines anderen Fixkurssystems mit jenem der flexiblen Wechselkurse in extenso zu vergleichen. Ich gestatte mir nur einen Hinweis: das System von Bretton Woods mit der Anbindung der internationalen Währungen an den goldhinterlegten US-Dollar kollabierte, weil die USA eine inflationstreibende Wirtschaftspolitik zur Finanzierung des Vietnamkrieges betrieben und den anderen Ländern eine starke Inflation bescherten, so dass sich diese irgendwann gezwungen sahen, aus dem Fixkurssystem auszuscheren. Bretton Woods ist nicht nur der Beweis dafür, dass sich auch mit (indirekt) an Gold gebundenen Währungen Inflation nicht verhindern lässt. Bretton Woods illustriert darüber hinaus ein prinzipielles Problem, an dem letztlich alle zentralistischen Fixkurssysteme inkl. EU kranken: es fehlt die Flexibilität, auf die unterschiedliche Volkswirtschaften angewiesen sind, um zu funktionieren.

Ein System flexibler Wechselkurse hingegen verhindert, dass die Verantwortung einer schlechten Geld- und Fiskalpolitik auf die anderen Staaten übertragen und somit sozialisiert wird. Die Verantwortlichkeiten sind klar geregelt. Die schlechte Geld- und Wirtschaftspolitik eines Landes wird durch Kapitalabfluss und eine abwertende Währung sanktioniert. Der Monetarismus in einer Welt flexibler Wechselkurse mit politisch unabhängigen Zentralbanken verdient deshalb eine zweite Chance. Durch geeignete Regeln wie zum Beispiel die Festlegung eines Inflationsziels anstelle eines Wachstumsziels können unerwünschte inflationäre Folgen beschränkt werden. Eine Besinnung auf die Vorteile einer eigenverantwortlichen, politisch unabhängigen Geldpolitik eines jeden Landes unter flexiblen Wechselkursen tut in diesen Zeiten mehr denn je not.

* Vgl. das Dossier «Geld regiert die Welt. Doch wer regiert die Welt?» der Ausgabe 986 des «Schweizer Monats» mit Beiträgen von Marc Faber, Peter Bernholz, Joachim Starbatty u.a.

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