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Geisterbahnfahrt auf der Zahnarztliege
Kundgebung in Zürich gegen Coronamassnahmen und das Covid-19-Gesetz,
im November 2021 in Zürich. Bild: Keystone/Michael Buholzer.

Geisterbahnfahrt auf der Zahnarztliege

Der Rufmord ist eine konzertierte Verleumdungsaktion, die zur öffentlichen Vorverurteilung führt und dadurch zum Allgemeingut wird. Er ist unumkehrbar, die Folgen davon in jeder Beziehung erstaunlich.

«Ich weiss, dass du kein Rassist bist, aber mit Rassismus möchte ich nichts zu tun haben.» Mit diesem Satz verabschieden sich Berufskollegen, Freunde und alte Bekannte auf Nimmerwiedersehen. Dabei ist es bloss die erste Verleumdungswelle. Bei der zweiten lautet die Abschiedsformel: «Ich weiss, dass du kein Verschwörungstheoretiker bist, aber mit Verschwörungstheoretikern will ich nichts zu tun haben.» Ein Rufmord fühlt sich an wie eine Geisterbahnfahrt auf der Zahnarztliege. Hätte man im Voraus eine Bruchlinie zeichnen müssen zwischen echten und falschen Freunden, man hätte sie garantiert falsch gezogen. In Krisensituationen zeigen diejenigen Menschen am meisten Rückgrat, denen man es am wenigsten zugetraut hätte.

Die zweite Welle empfand ich übrigens beinahe als angenehm. Den lieben Marco Rima erwischte es in dieser zweiten Welle weit schlimmer, denn für ihn war es die erste. Er ist dabei vom gefeierten Komiker zum «Verschwörungstheoretiker» abgefallen, während ich vom «Rassisten» zum «Verschwörungstheoretiker» aufgestiegen bin. Angenehm empfand ich an dieser zweiten Welle zudem, dass es so viele traf. So fühlte man sich als Verfemter weniger alleingelassen.

Nach der ersten Verleumdungswelle spürte ich noch, wie viele dachten: «Wo Rauch ist, ist auch Feuer.» Diese im Grundsatz nicht falsche Volksweisheit machen sich Rufmörder zunutze. Sie werfen Rauchpetarden auf die Dächer ihrer Opfer und überlassen den Rest der Fabulierlust der Masse. In der zweiten Welle schlossen dann so viele angebliche «Rassisten», «Verschwörungstheoretiker», «Rechtsextreme» und «Reichsbürger» mit der medialen Diffamierung Bekanntschaft, dass zumindest all diesen Betroffenen schnell klar wurde, dass auch Berichte in etablierten Medien nicht einen Funken Wahrheit enthalten müssen. Die Absurdität der Berichterstattung zeigte sich etwa, als mich andere angebliche «Reichsbürger» anriefen, um zu fragen, was ein «Reichsbürger» sei – und ich es auch nicht wusste.

Fähigkeit zum Staunen

Wer nur Morddrohungen erhält, hat noch Glück gehabt, denn die Auswirkungen des Rufmords sind verheerender. Morddrohungen, so beunruhigend und je nach Urheberschaft ernstzunehmend sie auch sind, haben die angenehme Folge, dass sich sogar erklärte Feinde schützend vor einen stellen. Der Rufmord bewirkt das Gegenteil: Selbst engste Freunde wenden sich vom Opfer ab. Nicht aus mangelnder Zuneigung, sondern aus berechtigter Angst, selbst in die Schusslinie zu geraten.

Der Rufmord ist eine mediale Steinigung. Und weil man dabei nicht wirklich stirbt, wird man überall, wo man hinkommt, weitergesteinigt. Man trägt seine eigene Steinigung sozusagen mit sich rum. Daran gewöhnen sich zwar die Gesteinigten, aber nicht deren Freunde. Es ist das Perfide an der medialen Steinigung: Wer dem Opfer zu nahe kommt, wird mitgesteinigt.

«Der Rufmord ist eine mediale Steinigung. Und weil man dabei nicht wirklich stirbt, wird man überall, wo man hinkommt, weitergesteinigt.»

Gesteinigt zu werden, ist daher eine sehr einsame Angelegenheit. Aber man macht interessante Beobachtungen: Wer neu hinzukommt, begibt sich sofort auf die Seite der Steinewerfer, denn das ist der einzige Ort, wo man vor den Steinen sicher ist. Einige machen gleich mit beim Steinigen und fragen erst später, wen man denn hier steinige. Andere fragen zuerst nach, aber nur, um sich dann um so energischer an der Steinigung zu beteiligen.

Am interessantesten ist das Verhalten von Kollegen im Kulturbetrieb: Da gibt es jene, die ebenfalls Steine werfen, um nicht den Verdacht zu erwecken, sie seien mit dem Opfer befreundet – aber sie versuchen dabei, einen nicht tödlich zu treffen. Andere positionieren sich weiter hinten, wo es nicht auffällt, wenn sie keine Steine werfen. Von dort aus versuchen sie dem Gesteinigten mit aufmunternden Gesten Mut zu machen.

Aber Aufrichtigkeit erfordert weniger Mut als vielmehr die Fähigkeit zum Staunen. Es ist ein Staunen über die Lust der Massen am Steinigen. Und auch ein Staunen darüber, wie man zu einer Steinigung kommt, zu der man nicht hingegangen ist und von der man nicht weiss, weshalb sie stattfindet. Die aber die eigene ist.

Andreas Thiel, fotografiert von Selina Seiler.

Lebensgefährliche Aufrichtigkeit

Wir leben in einer Zeit, in der Aufrichtigkeit existenzgefährdend, mitunter bereits wieder lebensgefährlich ist. Als geschichtsaffiner Literat finde ich diese Erfahrung durchaus wertvoll. Wir finden uns in einer Epoche wieder, deren Merkmale wir nur aus Geschichtsbüchern kennen:

  • Hexenverfolgung und Inquisition? Das bieten heute Klima-, Corona- und andere Massenhysterien mit medial koordinierten Denunziationsorgien.
  • Die Informellen Mitarbeiter der Stasi? Diesen Job erfüllen heute vom Staat finanzierte NGO, die sich der Diffamierung und Verfolgung von Andersdenkenden verschrieben haben.
  • Nationalsozialistische Wissenschaftsgläubigkeit und Menschheitsverbrechen im Namen der Genetik? In der Coronazeit galt ein faktischer Impfzwang selbst für Kinder, Alte und Schwangere. Grundrechte wurden aberkannt, Kritiker polizeilich verfolgt.

Man darf gespannt sein, was noch kommt. Die Knabenliebe der Spartaner? Das bietet heute der Genderwahn mit seiner Kombination von Homosexualität und pseudopädagogischer Früh­sexualisierung von noch nicht Geschlechtsreifen.

Weitverbreitet ist Rufmord besonders im linksintellektuellen Milieu. Wer schlechte Argumente hat, dem scheint Verleumdung offensichtlich ein lichtvoller Ausweg zu sein. Der Rufmord als Taktik ist fester Bestandteil rot-grüner Politik, weil er folgerichtig zu jeder kollektivistischen Ideologie gehört. Kollektivistische Ideen, also solche, die bedingen, dass alle mitmachen, haben immer zur Folge, dass jene, die nicht mitmachen, diffamiert und verfolgt werden müssen. Das gilt für die Sozialdemokratie, den Sozialismus und den Nationalsozialismus genauso wie für den Islam, den Coronawahnsinn und die Klimahysterie. Im Jargon des Ministeriums für Staatssicherheit hiess das «gesellschaftliche Zersetzungsmassnahmen», es ist in der Stasi-Richtlinie 1/76 festgehalten. Gegen politisch Andersdenkende eingesetzt werden können die «Diskreditierung des öffentlichen Rufs», die «Organisierung von Misserfolgen in Beruf und bei sozialen Kontakten» sowie «das Verbreiten von Gerüchten».

«Kollektivistische Ideen haben immer zur Folge, dass jene, die nicht
mitmachen, diffamiert und verfolgt werden müssen.»

Das Gute kommt zurück

Wer Opfer eines Rufmords geworden ist, sollte Origenes Lesen. Der letzte grosse griechische Philosoph – und dank seines ­Studiums der noch jungen Evangelien zugleich auch einer der frühesten christlichen Philosophen – beschreibt das moralische Ringen des Menschen mit sich selbst und der Welt als Steigerung im Kampf gegen das Böse. Das moralische Ringen mit sich selbst ist ein Kampf mit ausgeglichenen Kräfteverhältnissen. ­Jeder, und sei sein Schicksal noch so schlimm, hat genügend ­gutes Potenzial, um das Schlechte in sich zu besiegen. Aber während die Untugenden von alleine erwachen, muss man die Tugenden bewusst wecken und pflegen, um sie zu mobilisieren. Wer den inneren Kampf entschieden und seine Untugenden ­besiegt hat, dem blüht der äussere Kampf. Origenes nennt aus eigener Erfahrung Rufmord, Verfolgung und Folter.

Um das Schlechte, das von aussen kommt, zu parieren, reichen die eigenen Kräfte nicht mehr aus. Für den äusseren Kampf stehen zwar wiederum genügend gute Kräfte von ausserhalb bereit. Aber analog zum inneren Kampf erheben sich auch die äusseren Dämonen von alleine, während man sich bewusst öffentlich gut verhalten muss, um die guten Kräfte da draussen zu mobilisieren. Jeder, dessen Reputation durch Rufmord zerstört wurde und der es trotzdem geschafft hat, ehrlich und anständig zu bleiben, berichtet vom gleichen Wunder: So, wie man nie gedacht hätte, wie feige das eigene Umfeld sein kann, hat man sich auch nicht vorstellen können, wie viele Menschen auf einmal aus dem Nichts auftauchen und einem Gutes tun. Das Glück, das einem durch die Hilfe anderer zuteilwird, die man vorher gar nicht wahrgenommen hatte, übertrifft das erfahrene Leid bei weitem. Das Gute ist genauso unfassbar wie das Schlechte, nur grösser.

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