Gegen die Diktatur
Weissrusslands Künstler sagen Repression den Kampf an
Nach den Präsidentschaftswahlen im letzten Dezember, die erwartungsgemäss Amtsinhaber Alexander Lukaschenko gewann, war die Polizei Weissrusslands massiv gegen Demonstranten vorgegangen. Jetzt wurden oppositionelle Gegenkandidaten, u.a. der Dichter Wladimir Neklajew, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Neklajew förderte in den 1990er Jahren als Vorsitzender der Schriftstellerunion in Minsk die eigenständige Literatur des Landes. Und geriet immer häufiger in Konflikt mit dem ehemaligen Kolchos-Direktor und neuen Staatschef. «Sein Machthunger ist mit ihm durchgegangen», urteilt Neklajew heute über Lukaschenko. Von 1999 bis 2003 lebte der Schriftsteller als Emigrant in Polen. Doch dann kehrte er zurück. Beobachtern zufolge wurde er noch in der Nacht aus der Klinik in ein Gefängnis verschleppt, «nur in eine Decke gewickelt».
Eine der letzten Bastionen des Widerstands gegen die Diktatur ist die weissrussische Literatur – innerhalb und ausserhalb des Landes. Während der Demonstrationen gegen den Wahlsieg Lukaschenkos reiste eine Theatertruppe von Minsk nach New York. Weissrusslands «Freies Theater» führte dort ihr Stück «Being Harold Pinter» beim Theaterfestival «Under the Radar» auf. «Being Harold Pinter» mischt Aussagen weissrussischer politischer Gefangener mit Schriften Harold Pinters, des Literaturnobelpreisträgers, der die Theatertruppe auch unterstützt. Zwei der Schauspieler konnten nicht anreisen: sie waren nach den Wahlen festgenommen worden. 2005 gründeten Natalja Koljada und ihr Mann Nikolai Chalezin das «Freie Theater», ein Projekt, das erst endet, wenn Weissrussland sich von der Diktatur in eine Demokratie wandelt. Die gemeinnützige Kunstgalerie, die Chalezin einmal führte, war gezwungen worden, unter offiziellem Druck zu schliessen. Nachdem er daraufhin eine Anstellung als Journalist fand, wurden die drei Oppositionszeitungen, die ihn anstellten, geschlossen. Lukaschenkos Staatssicherheitsapparat ist seitdem unermüdlich dabei, die Theatertruppe, die keine feste Bühne hat und deren Aufführungen geheim stattfinden, einzuschüchtern. Einige Schauspieler wurden von Universitäten oder Betrieben entlassen, während andere durch Drohungen gegen ihre Verwandten unter Druck gesetzt worden sind. Wie findet Theater in einem solchen Klima überhaupt noch statt? Das Publikum wird per SMS über einen Treffpunkt informiert, von dort werden die Zuschauer abgeholt und schliesslich zu dem Ort begleitet, an dem die Aufführung stattfindet. Ein entspannter Theaterbesuch sieht anders aus.
Nach den Präsidentschaftswahlen und dem kurzen, gewaltsam unterdrückten Aufbäumen der Opposition ist damit zu rechnen, dass es kein Überleben irgendeines eigenständigen Mediums in Weissrussland mehr geben wird, vor allem das Internet – ohnehin nur den wenigsten Weissrussen zugänglich – wird als letzte Möglichkeit, sich frei zu äussern, zensiert. Radio, Fernsehen, Film und die Presse befinden sich ohnehin längst unter staatlicher Kontrolle.
Die Kunst- und Literaturszene in Belarus ist auf Unterstützung von ausländischen Förderern angewiesen. In den eigenen Räumen des Goethe-Instituts in Minsk finden darum häufig Konzerte und Diskussionen statt. Das Interesse der Europäer an der belarussischen Gegenwartsliteratur hat in den vergangenen Jahren offensichtlich zugenommen: Lyrikanthologien erscheinen in verschiedenen slawischen Sprachen, und weissrussische Schriftsteller werden bei internationalen Festivals ausgezeichnet. So errang die junge weissrussische Lyrikerin Walschjna Mort 2004 den Preis des Internationalen Literaturfestivals Kristal Vilenica in Slowenien, 2009 erschien im Suhrkamp Verlag ihr Gedichtband «Tränenfabrik». In Berlin wurde vergangenes Jahr eim Rahmen des «Festival DACH-10» zeitgenössische Kunst aus Weissrussland vorgestellt. Über 40 Künstler unterschiedlichster Couleur konnten Weissrusslands Kunstszene repräsentierten, von Malerei und Fotografie über Theater und Konzerte. Zmicer Visneu, einer der bekanntesten weissrussischen Gegenwartsautoren, war dabei, der ausserdem Lyriker, Herausgeber, Verleger und Mitbegründer der Künstlergruppen «Bum-Bam-Lit» und «Schmerzwerk» ist.
In Belarus existieren keine Förderung für den Literaturbetrieb, keine Seminare, Wettbewerbe, keine Unterstützung für Zeitschriften oder Verlage, so gut wie keine Literaturpreise oder Stipendien, dennoch erscheinen Literaturzeitschriften und Zeitungen. In den letzten drei Jahren sind in Weissrussland dabei rund dreihundert oppositionelle Zeitschriften und Zeitungen geschlossen worden; viele oppositionelle Schriftsteller sitzen im Gefängnis. Im März 2007 kam aus weissrussischen Präsidentialverwaltung ein Erlass, nach dem regimekritischen Autoren kein Ausreise-Visum mehr gewährt wird und ihre Bücher aus öffentlichen und auch aus Schulbibliotheken verbannt werden.
Bei den staatlichen Literaturzeitschriften sind Ideologisierungstendenzen nicht zu übersehen, z.B. im Wochenblatt «Litaratura i mastastwa». Darin heisst es etwa: «Amerika, fremder Reichtum raubt dir den Schlaf. / Wen stiesst du nicht / in den Staub vom Thron, / Doch hielt dich noch immer / In Schach / Die unbesiegbare / Sowjetunion.» Das versteht man in Weissrussland offiziell unter ‹richtiger› Literatur.
Zahlreiche Schriftsteller haben Weissrussland inzwischen ohnehin längst verlassen. Sie leben im Exil. Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch, geboren 1948, ist eine von ihnen. Ihre Bücher «Der Krieg hat kein weibliches Gesicht», «Die letzten Zeugen» und «Zinkjungen» wurden in 28 Sprachen übersetzt und liegen einem Dutzend Theaterstücken zugrunde; nach ihren Drehbüchern wurden mehr als zwanzig Dokumentarfilme realisiert. 1992 bis 1996 stand Alexijewitsch wegen «Zinkjungen» mehrmals vor dem weissrussischen Gericht: «Verleumdung» und «Besudelung der Soldatenehre» wurden ihr vorgeworfen (der Titel ihres Buches leitet sich von den in Zinksärgen nach Russland zurückgekehrten Soldaten her, die im afghanischen Feldzug 1979 bis 1985 umgekommen waren). In ihrer kunstvoll komponierten Collage hat Alexijewitsch die Erzählungen von mehr als hundert Soldaten und Offizieren sowie deren Frauen, Müttern und Witwen verarbeitet. Ihr Buch wurde in Weissrussland per Dekret vom Markt genommen, ihr gleichnamiges Theaterstück verboten.
Ihr Stück über die Katastrophe von Tschernobyl – «Gespräche mit Lebenden und Toten» – wurde 1999 von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Jahres gekürt. Das Erlebnis dieses Unglücks ist, so Alexijewitsch, etwas, «wofür wir noch kein System von Vorstellungen, noch keine Analogien oder Erfahrungen haben, […] wofür nicht mal unser ganzes inneres Instrumentarium ausreicht». Seit 1994, dem Jahr, in dem Präsident Lukaschenko an die Macht kam, sind ihre Bücher in Weissrussland nicht mehr erschienen. Nachdem bekannt wurde, dass Alexijewitsch 2002 zu den Kandidatinnen für den Literatur-Nobelpreis zählte, behauptete Lukaschenko öffentlich, sie sei eine «CIA-Agentin», die dafür bezahlt werde, ihre Heimat zu «verkaufen». Seit 2008 ist sie Stipendiatin des Writers-in-Exile-Programms des deutschen P.E.N.-Zentrums.
In Belarus selbst wird es zunehmend schwieriger. Nachdem Lukaschenko zu Anfang dieses Jahres bereits die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aus dem Land geworfen hat, droht Minsk nun auch ausländischen Journalisten wegen ihrer kritischen Berichterstattung mit Ausweisung. Da in den letzten Wochen zudem zahlreiche Oppositionelle zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, dürfte es für die Kunst im Land noch schwerer werden.