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Gebrechen und Geschenk

Facelifting und Schönfärberei sind ihre Sache nicht. Die erste Bundesrätin der Schweiz weiss: Die Zeichen der Zeit lassen sich nicht wegretuschieren. Das Älterwerden birgt viele Herausforderungen. Agil bleibt, wer sie erhalten kann: die Neugierde.

Menschen sind paradoxe Wesen: Die meisten möchten lange leben, aber nicht alt werden dabei. Da wird für teures Geld Botox gegen Fältchen gespritzt und Haut operativ gestrafft – mit welchem Resultat? Man schaue sich den «Cavaliere» an, der keiner ist. Doch wir müssen den Blick nicht nach Süden schweifen lassen. Wir sehen diese Gesichter auch bei uns: glatte Haut, aber ausdruckslos, kaum ein Lächeln, weil das ja wieder neue Fältchen produzieren könnte. Oft geht mit diesen kostspieligen Verjüngungsversuchen eine innere Unzufriedenheit einher, die sich auch im Gesicht widerspiegelt.

Und letztlich ändern all die Tauchgänge in den vermeintlichen Jungbrunnen nichts daran, dass sich mit dem Älterwerden gewisse Dinge verschieben: Die körperliche und manchmal auch die geistige Leistungsfähigkeit nehmen ab, das Gedächtnis wird schwächer, das Erlernen von Neuem fällt schwerer – nicht nur bei den Kommunikationsmitteln. Glücklich, wer Enkelkinder hat, die ihrer Oma dabei helfen, ohne zu schnell ungeduldig zu werden…

Geschenkte Zeit

Allzu häufig vergisst man ob des Strebens nach Jugend und des Lamentierens um die Gebrechen, dass das Älterwerden auch ein Geschenk, ja eine Chance sein kann. Anstatt uns über unsere Unzulänglichkeiten zu ärgern, sollten wir uns über das freuen, was uns geblieben ist – und was wir gewonnen haben.

Wenn die beruflichen Karrieren abgeschlossen sind, brauchen wir niemandem mehr zu beweisen, was wir können, und was wir nicht können, wissen wir, und unsere Mitmenschen ebenso oder noch besser. Wir haben indessen einen grossen Schatz an Lebenserfahrung angehäuft, an dem wir Jüngere teilhaben lassen können. Und was wir in der beruflich aktiven Zeit so oft ersehnten, haben wir jetzt: ein grosses Mass an innerer und äusserer Freiheit.

Wie oft wünschten wir uns, mehr Zeit zum Lesen zu haben, unsere Freunde und unsere Familie öfter zu sehen. Bei Spaziergängen einmal stehen zu bleiben, mit Musse die Natur zu bestaunen, die uns zu jeder Jahreszeit so viel zu zeigen und zu lehren hat. All das können wir jetzt, und wir können das Geschenk der Zeit auch weitergeben und uns überlegen, ob es nicht Menschen gäbe, die dankbar für unsere Hilfe wären, denen wir Anteilnahme und Aufmerksamkeit schenken könnten. Helfen macht nicht zuletzt auch uns selbst zufriedener, und Zufriedenheit prägt unser Gesicht weit stärker als allfällige Alterszeichen. Eine neue Aufgabe anzunehmen oder etwas von sich weiterzugeben, kann deshalb das beste Anti-Aging-Mittel sein.

Weiterkämpfen!

Ich will das Altern nicht schönfärben, es behält seine dunklen Seiten. Schwer wird es etwa, wenn eine Partnerin oder ein Partner stirbt und wir, oft ganz unerwartet, allein sind; wenn das Gefühl der Einsamkeit überhand zu nehmen droht und die langen dunkeln Winterabende nicht enden wollen; wenn einem am Tisch niemand mehr gegenübersitzt, mit dem man in vertrautem Gespräch plaudern und diskutieren, sich über etwas freuen, lachen (auch über sich selbst) und seine Sorgen teilen kann.

Trauer ist selbstverständlich und gehört mit zur Verarbeitung eines so tiefen Einschnitts in unser Leben. Wir müssen ihr Zeit und Raum geben – uns aber nach einiger Zeit bewusst machen, dass wir uns nicht in die Trauer zurückziehen dürfen und den Willen aufbringen müssen, den Weg aus ihr herauszufinden. Das ist nicht immer einfach, zumal sich gleichzeitig in der Post die Todesanzeigen von Freunden und Bekannten häufen. Leicht schleichen sich in diesen Situationen Depressionen ein. Ihnen wollen wir aber den Kampf ansagen und weder uns noch die Menschen um uns mit ihnen belasten!

Die «Kinder» sind im Berufsleben eingespannt und haben oft schon eigene Kinder, die mit Pfadi, Hobbys und Musikunterricht ebenfalls bis über beide Ohren in Beschäftigungen stecken. Nein, diese Kinder und Enkel wollen wir nicht zusätzlich mit unseren Sorgen belasten, sondern unser Schicksal selber in die Hand nehmen und aktiv ein eigenes Umfeld gestalten. Gehen wir zum Beispiel mit einer Freundin spazieren, es muss ja kein Marathonlauf sein. Oder laden wir an einem kalten Winterabend zu einem leichten Nachtessen ein. So holen wir uns nicht nur aus dem Schneckenloch der Trauer heraus, sondern tragen auch unser Möglichstes zu einem gesunden Altern bei: Bewegung und vernünftige Ernährung bekämpfen die überflüssigen Pfunde, die das Alter häufig erschweren.

Neugier als Lebenselixier

Natürlich muss man auch hier relativieren: Wir haben nicht alles selber in der Hand und trotz aller Vorkehrungen kann der Moment kommen, wo sich Pflegebedürftigkeit einstellt. Ist schon der Umgang mit körperlichen Gebrechen schwierig, wird er fast unerträglich, wenn Demenz oder Alzheimer hinzukommt. Nicht nur der Körper ist dann verändert, sondern die Persönlichkeit als Ganzes, was für die Nächsten schwer zu ertragen ist. Trotz aller Hilfestellungen kann so die Übersiedlung ins Pflegeheim notwendig werden.

Kann es auch in dieser letzten Lebensphase noch einen Trost geben? Ja, es gibt ihn: Wir haben in unserem Land die bestmögliche ärztliche Versorgung, ein warmes Zimmer und gute Pflegeheime. Wie viele Menschen auf dieser Erde haben diese Privilegien nicht! Hierfür sollten wir dankbar sein und etwas von dieser Dankbarkeit auch an das Pflegepersonal weitergeben: Es hat einen anspruchsvollen Beruf und ein Lächeln verdient.

Wie gross unsere Verluste und Entbehrungen im Alter auch sind, etwas haben wir behalten, das uns keiner wegnehmen kann: Erinnerungen. Holen wir die schönen hervor, freuen wir uns dar-über, was uns das Leben geschenkt hat, und vergeuden wir die Zeit nicht mit unnützen Gedanken darüber, was wir nicht mehr können oder was wir im Leben versäumt haben. Wir alle würden im Rückblick wohl einiges anders machen, doch ob es besser geworden wäre als der eingeschlagene Weg, wissen wir nicht. Verscheuchen wir solch sinnloses Grübeln. Bewahren wir stattdessen unsere Neugier. Sie ist ein wahres Lebenselixier, auch im höheren Alter.

Elisabeth Kopp ist Juristin. Sie war von 1984 bis 1989 Bundesrätin und Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.

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