Gänsefüsschentage
«Rückblickend stören mich nur zwei Dinge. Zuviel geredet zu haben und zu schnell gegangen zu sein. Stumm stehenzubleiben wie ein Baum! Dies nicht als Ziel; nur als ein Zielen.» Was Rudolf Bussmann im 25-Stundenbuch dem Alltag, dem Verweilen abgewinnt, ist unerschöpflich. Seine Aphorismen und Bagatellen sind um Aussagen nicht verlegen, nie aber sind sie hochfahrend […]
«Rückblickend stören mich nur zwei Dinge. Zuviel geredet zu haben und zu schnell gegangen zu sein. Stumm stehenzubleiben wie ein Baum! Dies nicht als Ziel; nur als ein Zielen.» Was Rudolf Bussmann im 25-Stundenbuch dem Alltag, dem Verweilen abgewinnt, ist unerschöpflich. Seine Aphorismen und Bagatellen sind um Aussagen nicht verlegen, nie aber sind sie hochfahrend oder altbacken. Sie sind nichts für Schnellversteher. In einer Art Hinterbewusstsein keimen sie und gelangen zögernd ins Gebrauchsbewusstsein. Lektüre für Doppelt- und Dreifachlesende. Man wünschte sich neue Strassenschilder – man schriebe einander Postkarten und Briefe an Adressen wie Die-Reihe-unserer-Tage-sind-die-Obertöne-zu-einem-Ton-der-ohne-sie-nie-erklänge-Strasse oder an die Am-leichtesten-löst-er-Probleme-die-ihn-nichts-angehen-Gasse.
«Am unerbittlichsten hakt Chantal an den Tagen nach, die ich die Gänsefüsschentage nenne, weil sie so ereignislos verliefen wie der Vortag. Ihre Begabung, die Nichtigkeiten, beiläufigen Gespräche, wertlosen Verrichtungen als Geschichten zu hören, macht aus meinem Alltag eine unerhörte Begebenheit, und aus ihr die Dichterin zahlloser ungeschriebener Novellen.» Wenn das Geheimnis einer dauerhaften Beziehung ist, dass man Kräche miteinander und nicht gegeneinander austrägt, so ist das Geheimnis von Bussmanns Aphorismen, dass sie zum Dialog einladen. Das 25-Stundenbuch ist eine Kerze, deren Schein das Dunkel unserer Gänsefüsschentage aufreisst.
besprochen von Christoph Simon, Bern
Rudolf Bussmann: «Das 25-Stundenbuch». Frauenfeld: Waldgut, 2006.