Fünfzig Sorten Joghurt
Die Freiheit des Konsums.
Als die Schweizer Einkaufsläden nach der Corona-Zwangsschliessung ihre Türen wieder öffneten, wurden sie von Kunden geflutet. Ein Zeitungsfoto hat sich mir eingeprägt: Es zeigte eine lange Menschenschlange vor Ikea. Die Menschen, deren Freiheiten seit Monaten eingeschränkt sind, stellten sich am ersten Tag der Lockerung freiwillig in eine über hundert Meter lange Schlange. Als wäre es das dringendste Bedürfnis, sich einen Schuhschrank oder neue Trinkgläser zu kaufen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, warum sie sich das freiwillig antun. Bis ich realisierte: Einkaufen und Konsumieren bedeutet Freiheit für sie.
Ich gehe nicht mehr shoppen. Das habe ich nicht bewusst entschieden, das ist mir einfach so passiert. Nachdem ich meinen Hausrat weggegeben und die Wohnung gekündigt hatte, machte es keinen Sinn mehr, einzukaufen. Für Neues habe ich gar keinen Platz. Ich kaufe nur noch, was ich wirklich brauche. Seither fühle ich mich viel freier. Aber was für mich passt, sehen andere ganz anders. Der eine fühlt sich im schnellen Auto auf der Autobahn frei, für den anderen bedeutet ein Fernsehabend auf dem Sofa Freiheit, und der Bergsteiger fühlt sich nur auf Bergtouren wirklich frei – wo mich die Höhenangst in Fesseln legt. Für mich ist Freiheit, in ein Flugzeug zu steigen, wegzufliegen und ohne viel Gepäck unterwegs zu sein – für andere Stress pur.
Doch zurück zum Einkaufen. In ein paar Tagen werde ich nach fünf Monaten in Afrika wieder in der Schweiz sein. Ich gebe zu, ich freue mich darauf, Lebensmittel einzukaufen – weil ich in Zürich kaufen kann, was ich will. In den Läden auf Sansibar kauft man, was es hat. Und das ist nicht viel. Manchmal ist ein Lieblingssoda während Wochen auf der ganzen Insel nirgends aufzutreiben. Doch die Erfahrung zeigt: Die Freude wird von kurzer Dauer sein. Ich werde im Supermarkt vor dem Regal stehen, die fünfzig Sorten Joghurt sehen – und mit der Auswahl überfordert sein. Wie viel einfacher das Leben ist, wenn es nur eine Sorte Joghurt gibt.