Fünf Hacker wollen die Menschheit therapieren
Sibylle Berg: RCE.
Wohin entwickelt sich die menschliche Zivilisation? Schafft sie sich in ihrer Technikaffinität selbst ab? Oder legt sie nur das Fundament, auf dem es einigen Mächtigen leichter fällt, die Bevölkerung zu kontrollieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die deutsch-schweizerische Schriftstellerin Sibylle Berg seit ihrem letzten Roman «GRM», in dem bereits die Gegenwart eine Dystopie ist. Ihr neues Werk schlägt in die gleiche Kerbe, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. «RCE», eine Abkürzung für «Remote Code Execution», fängt den Zeitgeist ein – samt seiner Perversionen und Abgründe.
Totalüberwachung, künstliche Intelligenz, Ausbeutung: Es gibt so gut wie keines der drängenden Themen, das der Roman nicht aufgreift. So geht es auch um Naturkatastrophen, Seuchen und Inflation, um ausufernde Digitalisierung, bezahlten Journalismus und Korruption in Politik und Wirtschaft. Die Autorin zeichnet ein düsteres Bild, archiviert Missstände und protokolliert Prozesse, die direkt ins Unheil führen. Als Protagonisten treten fünf Hacker auf. Ihre Wut auf die Gesellschaft ist so gross, dass sie an einem Programm arbeiten, mit dem die Fehlentwicklung gestoppt werden soll. Sie wollen die Menschheit aus ihren eigenen Fängen befreien, sie therapieren und befrieden.
Allerdings wirkt die Handlung so undurchschaubar wie das System, das es zu reparieren gilt. Sie ist eingewoben in eine Vielzahl von Schicksalserzählungen und Zustandsbeschreibungen. Immer wieder betreten neue Figuren die Bühne, die steckbriefartig eingeführt werden und nur dazu dienen, die krankhaften Strukturen aufzuzeigen. Auf diese Weise gelingt es Sibylle Berg, eine Stimmung zu erzeugen, in der das Krisenbewusstsein des frühen 21. Jahrhunderts durchscheint. Ihr Roman entfaltet ein authentisches Gesellschaftspanorama mit viel Ironie und teils bissigen Formulierungen. Der Leser taucht in eine Lebenswelt ein, die ihm in ihrer abstrakten Form aus dem eigenen Alltag bekannt vorkommen dürfte: Die schädlichen Phänomene sind durchaus wahrnehmbar, verlieren in ihrer Fülle jedoch an Konturen. Was zurückbleibt, ist ein Gefühl, dass etwas gehörig schiefläuft.