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Frivol werden oder solide bleiben?

Schwache Währung. Serbelnde Volkswirtschaften. Hochverschuldete Staaten. Und in der Mitte: die Schweiz. Mit halbwegs intakten Staatsfinanzen. Leidender Exportwirtschaft. Starkem Franken. Negativzinsen. Was wäre der richtige Weg für die Alpenrepublik?

Unser altes, ruhmreiches Land steht wie der junge Herkules am Scheideweg: Soll die Notenbank in den Geldschöpfungstanz der anderen westlichen Notenbanken eintreten, damit alles etwas leichter wird, oder soll sie am eigenständigen Kurs festhalten? Manche wollen den Franken wieder an den immer reichlicher geschöpften Euro oder an den Euro und Dollar zugleich anbinden, andere möchten Geld an Haushalte verteilen oder fordern ein hoheitliches Konjunkturprogramm aus Bern, wieder andere möchten viel Geld drucken lassen, Papiere in aller Welt aufkaufen und damit den Franken banalisieren.

Die Nationalbank wählte im Januar 2015, wie der junge Herkules, den harten und soliden Weg. Erste Folgen zeigen sich bereits. Die Beschäftigung ging im ersten Quartal zurück, das Wachstum ebenfalls, Exportfirmen klagen, erste grössere Entlassungen wurden angekündigt. Die Firmen trösten sich damit, dass sie in extremis mehr Produktion ins Ausland outsourcen – aber wenn alle das tun, kippt die Binnenwirtschaft weg. Bauten werden leerstehen, die öffentlichen Budgets ins Defizit drehen.

Haltung ist gefragt. Jahre noch werden die Devisenmärkte den Franken immer wieder nach oben drücken. Denn die anderen sind unsolide. Die Geldverfassung fast des ganzen Westens wird seit sechs Jahren verfälscht, um den nahenden Bankrott der Staaten zu verdrängen. Der Eurosüden, Frankreich inbegriffen, ist nicht wettbewerbsfähig, hat enorme Staatsschulden, die immer noch wachsen, aber niemand hat den Mut zu schmerzlichen Reformen. Dies hiesse für Jahre: sparen, abzahlen, den Arbeitern und den Firmen freies Arbeiten gestatten. Also wird die Europäische Zen-tralbank weiter Staatsanleihen aufkaufen und deren Zinsen gegen null drücken.

Die Zentralbanken der USA, Britanniens und Japans taten und tun es seit langem und gaben dafür Geld ins System ab. In vielen westlichen Staaten wachsen die Staatsschulden schneller als das Sozialprodukt nominal (also in Euro, Pfund, Yen), in Frankreich um 3 Prozentpunkte schneller, in Spanien und Italien um 2,2 Prozent, in Japan um 5,4 Prozent. Kumuliert auf drei, vier, fünf Jahre ist die Schuldenfalle weit offen. Sie folgt aus der jahrzehntelangen Nachfragestützung durch Staatsdefizite gemäss John M. Keynes. Jetzt müssen die Schulden mit noch mehr Geldschöpfung weitergewälzt und zinsfrei gehalten werden. Ein Geldexperiment am offenen Herzen von einer Milliarde Steuerzahlern und Bürgern läuft ab, ungefragt, ungebeten, improvisiert, in hastiger Not der Notenbanken. Kommt «Notenbank» womöglich von «Not»?

Die Notenbanken bezweckten ebenfalls, die in der Finanzkrise verlorenen Aktien- und Immobilienvermögen wieder herzustellen. Mit den Nullzinsen auf üblichen Spargeldern mobbten sie alle Anleger in die Aktien-, Obligationen- und Häusermärkte. Die Notenbanken verströmten dazu Sicherheit an Devisenakteure und Anleger, «Forward Guidance» heisst das. Sie sagten und sagen, wie lange die Zinsen noch tief bleiben, welche Unmengen Geld geschaffen werden, dass sie die Staatstitel aus dem Markt nehmen. So garantierten sie den enormen Anstieg der Aktien- und Obligationenkurse seit 2009, riesige Vermögen wurden zugeschanzt, kein Linker sah hin, auch der lamentierende Thomas Piketty nicht.

 

Wieder an den Euro anbinden?

Neben der nominellen Vermögensexplosion war ein weltweiter Wettbewerb von Währungsabwertungen die Folge, um im Export mitzuhalten. Dies ging aus von den USA, dann über zu Britannien, Euroland, Japan, zu Südkorea, Indien, Türkei, Brasilien. Übergrosse Kapazitäten, etwa beim Öl, werden mit billigem Geld aufgebaut, und dies alles drückt die Preise. Es ist verrückt, aber wahr: Niemand anders als die Notenbanken bewirken die weltweite Deflation, welche sie zugleich mit der Geldschwemme zu bekämpfen vorgeben.

Doch alles dient nur dazu, die Staatsschulden zu dämpfen. Reales Wachstum soll als weiteres Ziel die Schulden mildern, doch fiel es schwächer aus als in jeder anderen Aufschwungphase seit 1945. Denn nach dem ersten Schub in der Finanzkrise 2008 nützte das viele Geld nichts mehr. Die überschuldeten Privaten nehmen keine Kredite, die Firmen misstrauen der Lage. Nur für Aktienrückkäufe und für gehebelte Spekulationen von Anlegern stiegen Kredite an. Deshalb lassen die Banken das übrige geschaffene Geld auf den Konten der Notenbanken, deshalb amputieren diese die Guthaben mit Negativzinsen, um sie in die Wirtschaft zu verscheuchen, oder in noch höhere Aktien- und Obligationenkurse. Und deshalb schielen Regierungen auf Bargeldverbote, um dem Bürger auch diesen Ausweg zu verbauen.

Solidität ist anders, und die schweizerische Nationalbank sieht sich mit all diesen Entwicklungen konfrontiert. Deshalb werden ihr mannigfaltige Rezepte angedient. Soll sie noch höhere Negativzinsen verlangen? Doch dann müsste sie tatsächlich gegen den lohnenden Bargeldbezug vorgehen. Oder sie müsste die Inländer, die Pensionskassen, Versicherer, Sparer davon ausnehmen. Doch Ausländer können unter die Haut eines gewieften Vermögensverwalters schlüpfen und den Inländer spielen. Ausserdem wird der Franken auch in London, New York, Singapur gehandelt, weit weg vom Arm der Nationalbank. Die Internationalisierung des Frankenhandels macht eine Privilegierung der inländischen Frankenbenutzer unmöglich.

Oder soll sie den Franken wieder – wenn auch unterhalb der 1.20-Grenze – an den Euro anbinden, oder an Euro und Dollar? Damit müsste sie die ganze unsolide Geldschöpfung der anderen Notenbanken wieder mitmachen. Sie würde allen zittrigen Händen den Euro zu festen Kursen garantiert abnehmen, bei jeder neuen Krise. Desgleichen setzte sich die Hoffnung durch, dass die Notenbank regelmässig aufwertet, aber den Kurs dann wieder garantiert. Die gleiche Garantie würde eine Golddeckung bieten – und damit den Franken noch attraktiver machen.

 

Die neue Unzuverlässigkeit der SNB

Im Gegenteil, die Nationalbank kann seit Januar wieder ein unzuverlässiger Partner der Devisenoperateure aus aller Welt sein – und allein ein solcher ist solide. Denn letztere wissen nie, ob sie interveniert, wann sie die Kurse stört. So weckt sie auch gegenläufige Spekulationen auf einen tieferen Franken. Das tat sie schon 1978 erfolgreich gegenüber der Deutschen Mark.

Soll die Nationalbank mit den aufgekauften Dollar- und Euromengen investieren und dazu sogar noch mehr Franken schaffen? Das schlagen manche vor, in seltsamer Unkenntnis der Tatsache, dass sie es schon längst tut. Sie wandelte viele der gekauften Euro in Staatsanleihen Deutschlands und ist mit gut 100 Milliarden dessen grösster einzelner Gläubiger. Ebenso viel steckte sie an Dollars und Euro in internationale Aktien. Das wurde zu einem «souveränen Fonds», der glücklicherweise nicht von Politikern rechts oder links angegrabscht oder mitverwaltet werden kann. Beide Anlagetypen haben auch ihre Risiken – bei steigenden Zinsen fällt das deutsche Guthaben im Kurs, ebenso und bei Konjunkturschwäche das Aktienpaket. Wenn der Franken sich weiter aufwertet, fallen beide Anlagen nochmals. Nur wenn er an Wert verliert, was indes kaum wahrscheinlich ist, legen diese Aktiva zu – immerhin eine schöne Phantasie.

Aber von schönen Phantasien kann man nicht leben. Darum soll die Nationalbank nicht im letzten Moment wieder den Besentanz ums Geld der westlichen Notenbanken mitmachen. Denn mit den kommenden Zinserhöhungen der USA und der Eurokrise wanken weltweit Währungen, Aktien, Obligationen.

 

Es ist ein schmaler, aber richtiger Weg

Diese Notenbanken, neu auch die EZB, sind nicht am Markt, sie sind der Markt, bei Obligationen wie bei Aktien. Wenn der Trend dereinst an diesen Märkten kehrt, fällt die Decke ein, weil die anderen Marktakteure ausgeschossen sind, weil also die Flüssigkeit der Titel fehlt, weil alle den Besen in diesem Besentanz fallen lassen. Bei Börsencrashs, bei Inflation, bei einer neuen Konjunkturdelle geht das Ankurbeln und Geldschöpfen nicht mehr, denn die Zinsen sind auf null, die Schulden schon enorm. Die Notenbanken haben keinen Plan B. Sie drucken auf Sicht.

Frivolität ist nicht gratis zu haben. Solidität auch nicht. Die Schweizer Exporteure werden Margen verlieren, die Belegschaften arbeiten länger oder werden abgebaut. Die Löhne und Preise stagnieren oder laufen rückwärts, die Steuereinnahmen wohl auch. Die Hauspreise setzen eine Runde aus. Bremsspuren überall.

Doch die Anstrengungen steigern die Leistung, diesmal pro Kopf. Denn wenn die Stellenexpansion, vielleicht ein Teil der Einwanderung aufhören, dann ist das Land endlich produktiver, wächst es nicht nur in die Breite. Der Staat bleibt haushälterisch, hat tiefe Schulden. Das Geld bleibt geachtet. Der Finanzplatz behauptet seinen Ruf dank stabilem und seriösem Umfeld. Die Kritiker auf hohem ethischem Ross können froh sein, verdient eine Branche noch gutes Geld. Alle diese Solidität trifft auf das grundlegende ökonomische Einverständnis der Einwohner dieses Landes: arbeiten, sparen, rechnen.

Die frivole Geldschöpfung des übrigen Westens hingegen, die laufend nachgeschobenen Zwangsmassnahmen mit Negativzinsen, Bargeldverboten, Anlagevorschriften, Amputationen, die elektronische Kontrolle der Bürger, die Strafe fürs Sparen, das Tun-als-ob gegenüber bankrotten Schuldenstaaten, diese finanzielle Repression zerstört die Legitimität des Wirtschaftens allerorten.

Der Kredit der Staaten und das Papiergeld sind heikle zivilisatorische Güter. Sie sind schnell verloren – unwiederbringlich. Paradoxerweise werden sich dann die Völker noch verzweifelter den Allmachtsphantasien linker oder rechter Parteien anvertrauen. Die Fiskaldiktatur schwingt sich auf. Der schmale, richtige Weg ist anders. Es soll unser Weg hier bleiben. Er hat uns seit dem Dollarzerfall 1971 reicher gemacht.

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