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Friederike Kretzen 1/2 Gespräch

Werkgespräche // Eine Stafette Wie entsteht ein Buch? Meist wissen wir Leser wenig über seine Entstehungsgeschichte, über das,
was den Autor während des Schreibens antreibt, worüber er sich freut und woran er leidet.
In den «Werkgesprächen» erzählen Schriftsteller über ihr Schreiben und stellen anschliessend einen Auszug aus einem Text vor, an dem sie gerade arbeiten.

Die «Werkgespräche» werden in dieser Ausgabe mit einem Gespräch von Klaus Merz mit Friederike
Kretzen weitergeführt. In der Dezember-Ausgabe spricht Friederike Kretzen, 
das Staffelholz weitergebend, mit Perikles Monioudis über seine schriftstellerische Arbeit.

Friederike Kretzen 1/2  Gespräch

«Wir sind wieder da». So beginnt dein bisher letzter Roman «Weisses Album», der mich 2007 in Bann geschlagen hat. So somnambul und sicher zugleich, so poetisch und luzid, so erinnerungstief und bildstark hattest selbst du bisher nicht geschrieben. Wer ist «wir»?

Auch in dem Text, an dem ich gerade arbeite, ist wieder dieses «wir». Ich brauche das «wir». Das hat mit dem Gefühl zu tun, nicht allein sein zu wollen. Und nicht allein für ein «ich» zuständig sein zu wollen, das aus Vielen und Vielem besteht.

 

Im «Weissen Album» sind dieses «wir» drei Freundinnen, die sich manchmal zum Verwechseln nah und ähnlich sind. 

Es geht wohl immer darum, sich selbst Gesellschaft zu leisten. Das ist für mich die grundlegende Erfahrung beim Schreiben. Ich schreibe, um mit den Wörtern eine Gemeinschaft zu bilden, damit wir einander zuhören und miteinander reden können. Daraus besteht das «wir». Also aus all dem, was mehr ist als eins, was mehr ist, als ein «ich» fassen kann. Im «Weissen Album» brauchen sich die drei Freundinnen, um eine Geschichte zu erzählen, die in den vielen Geschichten, die sie erzählen, nicht aufgeht.

 

Es sind immer wieder neue Anläufe.

Genau.

 

Um in das Epizentrum deines Ausdruckstraums hineinzugeraten. 

Vielleicht. Wenn die eine nicht weiterkommt, dann kann die andere sprechen und die dritte zum Sprechen auffordern. Das ist ja was ganz Tolles. Das liegt ja auch in der Sprache. Ich drehe das Wort ein bisschen und dann kommt an seiner Stelle ein anderes Wort zum Vorschein.

 

Wie gehst du vor beim Schreiben? Ich frage dies nicht nur mit Blick auf das «Weisse Album», sondern auch mit Blick auf dein neues Buch, an dem du zur Zeit sitzt: «Sommer 82».

Wenn ich das wüsste! Und doch weiss ich es zugleich genau. Und das ist schon die Methode. Eine Idee oder eine Formulierung setzt sich in mir fest, dann brüte ich und warte. Lasse viel Text oder Sprechen durch mich hindurchgehen. Wie schon für das «Weisse Album», so habe ich auch für «Sommer 82» viele Hefte vollgeschrieben, habe das Material bewegt, habe es umgeschichtet, habe es weggeschrieben. Und irgendwann ist das Buch innerlich fertig, und ich kann es in einem Zug aufschreiben. Die Hefte selbst habe ich dann nicht mehr verwendet.

 

Das alles ist sozusagen nur Vorübung?

Ja, ich kann das auch anders ausdrücken: ich muss mir auf diese Weise einen Raum herstellen, in dem dann der Text geschrieben werden kann. Wörter und Sätze müssen hier ihre Stellen finden, wo ich sie für sie eingeräumt habe.

 

Du musst also zuerst Stellen schaffen, bevor die Angestellten sich dann setzen können…?

…miteinander in Kontakt treten können. Ich muss einen Raum einrichten, leerräumen, die Wörter und Sätze in ihm hin- und herbewegen, bis ich denke: da ist was, das einmal war, ich erkenne es wieder … das ist ja unheimlich interessant. So ist das auch bei diesem «Sommer 82»-Projekt. In der Erinnerung an die Zeit von 1982 gab es so etwas wie eine hohe Gestimmtheit. Und dieses Gefühl hatte sich plötzlich breitgemacht in mir, und ich dachte, wie kann das möglich gewesen sein? Und von diesem Staunen und der Gewissheit zugleich möchte ich erzählen.

 

Woher rührt dein Schreiben? Man könnte auch sagen, seit wann steckt dir der Bleistift im Fleisch? Und diese Frage heisst ja auch zugleich: da ist die wunde Stelle, wo man wieder hin will. Was also will ausgedrückt werden? Wo beginnt, wo endet es? 

Das ist eine schwierige Frage.

 

Darunter können wir es nicht machen.

Mein Schreiben hat natürlich ganz viel mit der Suche nach der Form zu tun. Mit der Frage: Was möchte ich, was die Sprache könnte? Kann ich mir, kann ich ihr die wunden Stellen zumuten oder nicht? Was sind wunde Stellen? Können wir sie wissen? Sagen?

 

Was spielt der andere dabei für eine Rolle? Das Sprechen – Sprache sagst du, aber darunter liegt ja das Sprechen es hält auf jemanden zu. Wann beginnt der andere in deinem Schreiben da zu sein?

Der andere ist ja immer der Traum, dass man ein anderer sein könnte. Ich glaube, mir geht es um diesen Traum. Um den Traum des anderen, der mich träumt, wenn ich träume, eine andere zu sein.

 

Aber Bücher richten sich ja auch an Dritte.

Ich würde nicht sagen können, an wen oder was. Vielleicht schreibe ich an meine Grossmutter, damit sie sich zurechtfindet unter den Lebenden und den Toten.

 

Die Frage ist: Gibt es den Moment, wo dir ein imaginärer Leser – hoffentlich nie ein «totalitärer» – beim Schreiben über die Schulter schaut? 

Da ist bei mir ein blinder Fleck. Ich habe eher die Vorstellung, die Bücher sind irgendwo, und weiter weiss ich nichts dazu zu sagen.

 

Auf der anderen Seite bist du – ich habe es anfangs schon gesagt – sowohl somnambul wie auch hellwach, traumhaft wie auch reflektierend, poetisch wie auch luzid.

Sagen wir es so. Mein letztes Buch, das «Weisse Album», ist für mich ein Buch der geführten Auflösung. All das, was ich zuvor geschrieben habe, findet in diesem Buch seine Auflösung. Für mich stellt sich daher die Frage: Was jetzt? Und dann denke ich auch immer wieder: Ich gebe auf; denn das Aufgeben ist auch eine Form des Schreibens.

 

Es geht aber weiter. Ich denke an Spiralen. Vielleicht steht uns gar nichts anderes zur Verfügung, als unsere Kreise im Höchstfall als Spiralen weiterzudrehen und so vorwärtszugelangen.

Momentan habe ich wieder das Gefühl, wenn ich nur irgendwie sitzen bleibe, dann kommt da schon was.

 

 

>Da gibt’s wohl eine Gemeinsamkeit zwischen dir und mir und auch einen Grund, warum ich hier mit dir spreche und dir das Staffelholz weitergebe. Auch ich warte meist. Und schaffe so den Raum, wie du es ausdrückst, dass etwas passieren kann. 

Mehr als warten muss ich nicht tun. Ich muss nur da sein und irgendwie wachsam und ich glaube auch freundlich sein. Und das ist mitunter gar nicht leicht. Sondern Schwerstarbeit.

 

Ja, das kann auch kippen, und dann ist man auf der schiefen Ebene. – Ich möchte jetzt einen kleinen Sprung machen. Beim Lesen deiner Bücher muss ich oft denken, da setzt jemand die Psychoanalyse fruchtbar und gescheit um in Poesie. 

Das ist interessant.

 

Finde ich auch. Kannst du mit dieser Frage etwas anfangen?

Das ist vielleicht tatsächlich meine Generation. Neu für mich ist, dass ich jetzt nochmals ganz anders diese Generationenzugehörigkeit wahrnehmen und erkennen kann. Das hat mit dem Älterwerden zu tun. Erst jetzt denke ich – früher war das noch nicht so –, dass ich ja gar nicht anders kann, als das, was ich in meiner spezifischen Zeit erfahren habe, in und mit meinen Büchern umzusetzen. Anders geht es ja gar nicht. Ich habe ja nichts anderes als diese Zugehörigkeit. Der aber höre ich zu.

 

Ich bin meine Erfahrung.

Und ich bin die Zeit, in die ich geboren worden bin. Deshalb kann ich auch von dieser Zeit und dem erzählen, was mich in ihr umgetrieben hat. Ich hatte dabei früher immer ein bisschen schlechtes Gewissen. Dachte, ich bin eine altmodische Tante, die keine Ruhe geben kann mit dem, was nicht aufgeht in den Formen, was vergessen, was übrig bleibt, und die immer wieder auch von dem schreiben muss, was ein Krieg bewirkt und zurücklässt. Jetzt denke ich: ja klar, ich muss von dem schreiben, was ein Krieg für die bedeutet, die ihn erben. Denn das habe ich so intensiv erlebt. Das ist mein Thema. Und dazu gehört für mich: Soziologie zu studieren, den Marxismus und eben auch die Psychoanalyse kennenzulernen. Hier bot sich mir die Erfahrung einer anderen Sprache, einer anderen Anschauung der Welt und ihrer Beschreibbarkeit. Ich habe die Bücher der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin, Goldy Parin Matthey und Fritz Morgenthaler gelesen. Ich fand es hinreissend, dass die nach Afrika fuhren, mit den Leuten dort redeten und dann sagten, von diesen Gesprächen und was sie in uns bewirken müssten wir ausgehen, um die Gesellschaft zu beschreiben. Das war für mich auch ein Ausgang aus mir selbst. So wie das Marxsche Gespenst, das in Europa umgeht, einer war.

 

Und erst jetzt – also im Manuskript «Sommer 82» – ist dann auch viel Erfundenes hinzugekommen? 

Damals ging das so noch nicht. Wir brauchten Strenge und fühlten uns der Wirklichkeit verpflichtet. Die galt es zu erkennen, nachdem wir grossgeworden waren in einer Zeit, in der uns alle sagten, es sei nichts und es sei nichts gewesen. Für mich war die Psychoanalyse und das Soziologiestudium wie ein Nachhausekommen. Ich bekam plötzlich Land unter die Füsse, konnte anders über mich nachdenken, konnte mich auch anders entwerfen. Jetzt konnte ich mich hinsetzen und anfangen, die Welt zu beschreiben. Das war Erfindung.

 

Nebst der eigenen Geschichte sind da also auch immer andere Schichten. Die Zeitgeschichte ist präsent. Diese Zusammenhänge müssen nicht ausbuchstabiert werden und sind dennoch da. «Sommer 82» – wie dein Projekt momentan noch heisst –, worum geht es da? Du schreibst an einer Stelle: «Im Theater sass ich auch rum und schaute auf die Bühne, als wäre sie draussen und ich sähe durchs Fenster ins Freie, wo der Wind war und die Schauspieler in ihrem Spiel. Wenn ich ein Buch las, ging es mir auch so. Während meine Augen über die Seiten glitten, öffneten diese sich wie Fenster, und ich sah in eine Gegend, eine Landschaft, ich sah ein Zimmer mit seinen Gegenständen, zwischen denen ich herumgehen konnte, ohne sie aufzuwecken oder zu erschrecken. Dabei hatte ich das Gefühl, mich in anderen Zeiten zu bewegen, sie atmen zu spüren, und das war eine Art, mich zu vergessen.»

Da beschreibe ich tatsächlich ein Bild, das ich immer wieder von mir erfahre. Ich kann sein, wo ich will, ich stehe dann irgendwo rum und weiss nicht so recht, worum es geht. Und das geniesse ich. Mittlerweile. Früher habe ich darunter gelitten. Im Kindergarten, in der Schule. Das waren immer fürchterliche Situationen für mich. Weil ich immer viel lieber meine Ruhe gehabt hätte. Gerne nachgedacht hätte, ohne zu wissen, was. Ich war nicht verträumt, ich war sehr wach. Aber ich war dennoch nicht da, wo alle sagten, das sei es nun und da müsse man sein.

Ich verstehe das gut und glaube dir das auch, was du jetzt gesagt hast. Auf der anderen Seite gibt es natürlich unter diesem
Da-Sein und Schauen auch eine lebensgescheite Ebene. Auch wenn man ein Kind ist. Sodass man das Gefühl hat: Was ich sehe, ist nicht alles; und was ich höre, ist nicht alles. Und das ist es ja, was einen dann auf die Stelle nagelt, was einen auf dem Stuhl sitzen und Abenteuer bestehen lässt – schreibend.

Als Kind habe ich Briefe in Wellenlinien geschrieben. Ich habe das Gefühl, das mach’ ich heute noch. Ich schreibe ja auch mittlerweile alles wieder mit der Hand. Ich brauche diesen Raum und das Blatt, das ich fülle. Das ist erstmal – ganz elementar – auch ein Vergegenständlichen einer inneren Bewegung. Wenn ich schreibe, kann ich etwas berühren.

 

Ja, Schreiben ist immer auch sehr körperlich. Ich denke, dein scheinbares Stehen oder Kreisen über oder um eine Sache, dein Hängen vielleicht, dein Rumhängen im Text, ist eigentlich ein Bohren. Ist eine vertikale Sache, eine Sonde, um fündig zu werden, wenn immer möglich. 

Das würde ich auch so sagen. Es ist ein Reinbohren, ein Sezieren. Wobei das Rumhängen Teil davon ist.

 

Da kommt man dann an vielem vorbei.

t-align: justify; line-height: 13.0px; font: 11.0px Helvetica;\»>Ja, klar. Genau. Mich interessieren ja immer Stellen, wo etwas war, was dann plötzlich nicht mehr vorhanden ist. Ich könnte ja heute hier sitzen und behaupten, so wie ich hier lebe und wie es so ist, so ist es schon immer gewesen. Aber das geht ja nicht, wenn man lebendig bleiben will. Mein Buch «Übungen zu einem Aufstand» etwa ist eine Erinnerung an eine gesellschaftliche Situation, in der unglaublich viel los war. Alle Fenster und Türen standen offen. Und keiner wusste, was er damit tun sollte. Und dann gab es die ganze Geschichte mit der RAF und die darauffolgenden Repressionen, die alles wie verschlossen haben. In gewisser Weise könnte ich sagen, ich habe die Ausläufe einer Revolution erlebt. Erst im nachhinein wurde mir klar, wieviel Energie damals vorhanden war, ob wir sie nun leben konnten oder nicht, und ich fragte mich, wo ist die nur hingekommen? Davon wollte ich in «Übungen zu einem Aufstand» erzählen. Von einer Kraft und ihrer Unbestimmtheit. Das Theater, von dem ich in «Sommer 82» schreibe, war für mich in den 80ern noch immer der Ort, wo diese Revolution spürbar war. Damals hat man noch sehr mit Sprache gearbeitet, hat sich damit beschäftigt, wie Sprache verkörpert werden kann und wie sie sich im Raum bewegt. Ich fand das atemberaubend. Darum wollte ich auch zum Theater. Ich wollte schreiben, aber ich wollte auch im Theater sitzen können und als Dramaturgin die Inszenierungen begleiten.

 

Das ging mir ähnlich. Von 1975 bis 1989 habe ich immer wieder Stücke geschrieben und mit dem Theater gearbeitet. Danach kaum mehr.

Es war damals eine tolle Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die man sich heute fast nicht vorstellen kann. Es war nochmals eine Zeit, in der man in Küchen rumsass und sich ganz viel vorstellte. In der man auch sagen konnte, in gewisser Weise sind wir uns selbst genug. Auch in unseren Vorstellungen. Daran und dass dies ein Endpunkt war, erinnere ich mich beim Schreiben von «Sommer 82».

 

Und diese Erfahrung soll nicht verloren gehen. 

In meiner Lebenszeit – die ist ja nun doch nicht so kurz – habe ich soviel ganz anderes erlebt. Und auch, wenn all das sogenannt gescheitert, untergegangen ist, so bleibt mir der Versuch in meinen Büchern, hinter das zu kommen, was wir heute so scheinbar sicher von jener Zeit zu wissen vorgeben. Wenn wir heute wissen, 68 war so und so, dann kann man dazu nicht mehr viel sagen. Dabei wissen wir ja gar nicht, wie das 68 war. Denn wir wissen ja auch gar nicht, was heutzutage ist. Vor einigen Wochen war doch dieses Jubiläum «40 Jahre Woodstock». Und da wurde immer wieder dasselbe Foto von diesem Paar gezeigt und dazu von den Journalisten geschrieben, das wäre der Anfang vom Ende gewesen. Und ich denke dabei: Mein Gott, ich habe das 1972 im Kino gesehen, ich war damals 15 und sofort ergriffen. Und jetzt wird darüber verfügt. Dann habe ich am nächsten Tag in so einer Radiosendung über Jimi Hendrix gehört, er sei ein genialer Musiker. Ich dachte: haben die sie nicht mehr alle? Jimi Hendrix ein genialer Musiker? Darum ging es doch damals gar nicht. Die können doch in der Zeitung oder im Radio nicht immer so einen Quatsch sagen.

 

Ich glaube, damit hat Schreiben und dein Schreiben im besondern zu tun: das Ganze wieder frisch zu sehen. Das sieht dann manchmal wie naiv aus. Aber es ist natürlich nicht naiv. Es ist ein erfrischendes, vielleicht auch ein bewusstseinserweiterndes Schauen. 

Hoffentlich.

 

Ich möchte dich noch etwas Letztes fragen: wie siehst du mit deinen klaren Ansprüchen die Gegenwart und die Zukunft der Literatur? Du schreibst ja nicht einfach gängige, du schreibst anspruchsvolle Texte, weil ansonsten nicht gesagt werden kann, was du sagen willst. Ich frage dich das auch als Dozentin für Literatur an der ETH Zürich und am Literaturinstitut in Biel: Kann man Schreiben lernen?

Nein. Das kann man nicht lernen. Ich verstehe jeden, der sagt: Ich möchte schreiben. Und jeder sollte das auch tun. Ich finde es existentiell, zu schreiben und die Möglichkeiten kennenzulernen, was Sprache wie macht, und auch mit uns. Ohne Sprache sind wir nicht lebendig. Wenn diese jungen Studenten sagen: Ich will schreiben – dann heisst das, ich will lebendig sein. Damit kann man umgehen. Damit muss man umgehen. Das ist die Aufgabe der Hochschule. Und zwar aller Hochschulen. Doch wenn die Frage gestellt wird «Kann ich schreiben lernen?» und das mit dem ganzen Rattenschwanz zusammenhängt, also mit Fragen wie «Kann ich berühmt werden?» «Und zwar möglichst schnell?», dann wird es absurd. Weil das ja hiesse, man muss berühmt werden, um lebendig bleiben zu können. Und das ist fatal. Es ist nicht so, dass Sprache einfach zu haben wäre. Oder die Literatur. Das Leben ist auch nicht einfach zu haben. Und doch wird so getan, als ob das alles einfach und machbar wäre.

 

Um es noch anders, in einem Satz zu sagen. Du unterrichtest das Leben als Werk. Das ist letztlich der Stoff.

Und ich würde nie einem Studenten sagen: Du musst jetzt das und das machen. Was ich versuchen kann, ist gemeinsam das, was sie und andere geschrieben haben, zu lesen und zu entziffern. Im Sinn von Spiegeln und Begleiten. Ich sage dann: Was steht da geschrieben und ist es das, was da geschrieben stehen soll? Aber ich sage nichts von richtig oder falsch. Das Schreiben ist unheimlich schwer, wenn man es professionell machen will. Und doch ist es zugleich das, was mir am leichtesten fällt. Ohne das Schreiben hätte ich das Gefühl, ich wäre nicht am Leben.

 

Das müsste eigentlich die entscheidende Frage bei der Aufnahme-
prüfung sein.

Genau. Man müsste sagen: Hier geht es ums Leben. Sprache ist immer mit Leben verbunden. Das kann man nicht trennen.

 

 

Werke u.a.:

«Weisses Album» (2007)

«Übungen zu einem Aufstand» (2002)

«Indiander» (1996)

«Ihr blöden Weiber» (1993)

«Die Souffleuse» (1989)

 

Auszeichnungen u.a.:

Werkjahr der Pro Helvetia (2003)

Arno-Schmidt-Stipendium (2002/03)

Deutscher Kritikerkreis für Literatur (1999)

 

Foto: S.-V. Renninger

Friederike Kretzen wurde 1956 in Leverkusen geboren. Sie lebt als 

freie Schriftstellerin in Basel und 

arbeitet als Dozentin für Literatur in Biel und Zürich.

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