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Freiheit und Risiko

Begriffsklärung II: «Sicherheit»

Diesseits der schieren Gewaltanwendung gibt es zwei Hauptmechanismen, zwei Strategien, um Macht zu erlangen, zu bewahren und zu mehren. Zum einen Brot und Spiele (moderne Form: Wohlfahrtsleistungen servieren und sie mit dem Geld anderer Leute bezahlen = Umverteilung). Zum anderen Angst erzeugen oder bestehende Ängste nutzen – und dann politischen Schutz vor den befürchteten Gefahren anbieten (neueste Variante: die angeblich bevorstehende Klimakatastrophe).

Macht entfaltet sich jedoch nicht nur als raffiniertes Kalkül politischer Figuren und Parteien, sondern wird auch durch die menschliche Natur hervorgelockt und gefördert. Das Streben nach Sicherheit und nach Erlösung ist offensichtlich eine anthropologische Konstante. Solche Kräfte und Sehnsüchte sind viel stärker als der Wunsch nach Freiheit. Sie öffnen dem Etatismus und Sozialismus immer und überall – und immer wieder – die Tore, und sie bilden die Grundlage fast aller Machtchancen der Politik.

Sicherheit wird oft als Bruder der Freiheit bezeichnet oder gar mit Freiheit gleichgesetzt. In Wahrheit ist sie der falsche Bruder der Freiheit, schlimmer noch: Sicherheit wird zum Feind der Freiheit, wenn nicht erkannt wird, dass es Sicherheit – menschenmögliche Sicherheit – nur in Freiheit geben kann. Unsicherheit und Risiko sind der Preis der Freiheit. Dieser Preis wird unbezahlbar hoch, wenn die Bürger zu viel Sicherheit vom Staat erwarten, er wird minimal, wenn ganz der Freiheit vertraut wird.

Persönliche Freiheit kann nur bestehen, wenn die individuellen Verfügungsrechte über die eigene Person und das persönliche Eigentum durch das Recht geschützt sind. Das ist zugleich auch der Kern der Sicherheit. «Politische Freiheit» – so es sie denn geben mag – kann nur in dem Masse wertvoll und legitim sein, in dem sie die persönliche Freiheit schützt und fördert. Sicherheit, soweit sie an das Gewaltmonopol des Staates angedockt ist, definiert sich als Schutz der Eigentumsrechte der Person (Leben, Körper und materielles Eigentum) vor Eingriffen anderer Menschen – auch und vor allem als Schutz vor Ein- und Übergriffen des Staates selber.

Wird unter Sicherheit mehr oder anderes verstanden, beispielsweise Wohlversorgtheit, so wird die Freiheit zwangsläufig zerstört, weil dem Gewaltmonopol Aufgaben übertragen werden, die es nur erfüllen kann, wenn es in die persönlichen Eigentumsrechte durch Zwang eingreift. Dann mutiert die persönliche Freiheit mehr und mehr zur «politischen Freiheit», also zu Mitbestimmungsrechten bezüglich der Eingriffe in die persönlichen Freiheitsrechte anderer. Die politische Freiheit birgt die Gefahr, als Mitbestimmungsrecht bei der Zerstörung der persönlichen Freiheit missverstanden und missbraucht zu werden – und somit alle Sicherheit zu zerstören.

Der Publizist Fritz Goergen hat politische Sicherheitsversprechen treffend als «Saat des Totalitarismus» bezeichnet. «Die Gegner der Freiheit», so Goergen, «können an tief eingeprägte Instinkte appellieren, an Sehnsüchte nach einer überschaubaren Welt, die jedem Menschen seinen Platz in der Gesellschaft zuweist und das Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Was im engsten mitmenschlichen Kreis legitim sein mag, erweist sich bei seiner Übertragung auf die Politik als die Saat des Totalitarismus – ganz gleich, ob er sich links oder rechts gibt.»

Leider haben die Menschen aus den sich über die Jahrhunderte erstreckenden geschichtlichen Erfahrungen nicht die Lehre gezogen, dass ihr bevorzugtes Streben nach Sicher-heit aus Staatshand immer wieder zum Freiheitsverlust – und damit auch zum Ende aller Sicherheit – führt, entweder auf direktem Weg in die Diktatur, oder indirekt über das Wuchern bürokratischer Monster. Die vom Staat offerierte und erwartete Sicherheit, ob als «soziale Sicherheit» oder als «Sicherheit des Arbeitsplatzes» oder als «Sicherheit vor dem Feind», führt im Lauf der Zeit in die Unfreiheit. Nicht ohne Grund war «Stasi» die Abkürzung für Staats-«Sicherheit». Ronald Reagan hat in seiner Abschiedsrede gewarnt: so wie die Regierung (der Staatsapparat) wächst, so schrumpfen die Rechte des Individuums – das ist so unausweichlich wie ein physikalisches Gesetz.

Der Nationalökonom Wilhelm Röpke hat schon in den 1950er Jahren geschrieben, dass das Verlangen nach Sicherheit zu einer Besessenheit führen kann, für die die Menschen letztlich den Preis des Verlustes der Freiheit und Menschenwürde zahlen müssen. «Wenn sich gar herausstellt», so Rökpe, «dass zu diesem entsetzlich hohen Preis auch das ständige Abbröckeln des Geldwertes zu rechnen sein dürfte, so muss dem letzten klar werden, dass auch die Sicherheit zu den Dingen gehört, die sich nur immer weiter von uns entfernen, je massloser und stürmischer wir sie begehren.»

Wir sollten die Unruhe der Freiheit ertragen, wenn wir vermeiden wollen, dass unsere Lebensumstände immer wieder unerträglich werden.

Roland Baader, geboren 1940, ist Nationalökonom und Autor. In der letzten Kolumne hat er sich mit dem Begriff «Freiheit» befasst.

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