Freiheit um ihrer selbst willen
Schillers Idealismus – neu zu entdecken
Idealisten sind ihrem Wesen nach kompromissfeindlich. Das Wahre, das Schöne und das Gute kann nicht ohne Substanzverlust relativiert werden. Ideen wie «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» fordern die Menschen heraus, und die Vorstellung, es könnten verschiedene Menschen diese höchsten Werte höchst unterschiedlich beurteilen, steht im Widerspruch zur Ganzheitlichkeit und zum Pathos der verantwortungsbewussten Persönlichkeiten, welche sich für ihre Ideale aufopfern. Idealismus ist ideengeschichtlich eine Gegenposition zum Realismus, und später wurde er aus materialistischer, historistischer, sozialistischer und utilitaristischer Sicht in Frage gestellt. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Idealist ein Menschentyp, der meist wohlwollend belächelt wird und dem man vorwirft, den Boden der Realität unter den Füssen verloren (oder noch nicht gefunden) zu haben. In der gegenwärtigen Beurteilung von Schiller scheinen sich die beiden Bedeutungen zu überlappen. Sind seine Botschaften so zeitlos und allgemeingültig, wie man es in der Mitte des 19. Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt aller Schillerbegeisterung, erhoffte? Oder darf man sein Werk getrost den Spezialisten überlassen und als ideengeschichtliche Episode ad acta legen?
Schiller war kein Mensch des Ausgleichs und der schrittweisen Anpassung an die Umstände. Auch die marxistische Auffassung, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, steht seiner idealistischen Position -diametral gegenüber. Für Idealisten sind die Menschen berufen, und sie sind aufgerufen, ihren Idealen zum Durchbruch zu verhelfen, koste es, was es wolle. Der Lauf der Welt wird aus ihrer Sicht durch überzeugte verantwortungsbewusste Menschen mitbestimmt und wickelt sich nicht nach irgendwelchen Gesetzmässigkeiten oder Zyklen ab. Wenn der Verstand, wie Kant es formulierte, sogar der Natur seine Gesetze vorschreiben kann, macht es wenig Sinn, einen fatalistischen Geschichtsverlauf anzunehmen, den man als sozialistische «Avantgarde» höchstens beschleunigen oder bremsen könnte. Die persönliche Moral erlangt einen herausragenden Stellenwert. Schillers Version des kategorischen Imperativs von Kant klingt rigoros: «Ich habe nur einen Massstab für Moralität und ich glaube den strengsten: Ist die Tat, die ich begehe von guten oder von schlimmen Folgen für die Welt – wenn sie allgemein ist?»
Der Idealismus stellt die Menschen vor ein «Entweder-Oder» und bietet wenig Gelegenheiten, Positionen friedlich und auf Zeit auszuhandeln und das jeweils Bestmögliche aus der Situation herauszuholen und von abwechselnden Mehrheiten absegnen zu lassen. Idealisten sträuben sich nicht nur gegen einen dialektisch-materialistisch vorgegebenen Geschichtsverlauf und gegen eine wissenschaftlich definierbare «Natur des Menschen», sie markieren auch, was häufig übersehen wird, eine Gegenposition zum Utilitarismus. Das ist der heute zu wenig beachtete und im Verlauf der Geschichte durch allerlei widersinnige Koalitionen kompromittierte Beitrag des deutschen Liberalismus zur Geschichte der Freiheitsidee: Das Wahre, das Schöne und das Gute ist nicht identisch mit dem Nützlichen, Brauchbaren und Profitablen. Händler haben Interessen, Brüder haben Ideale. Aber wie verträgt sich Brüderlichkeit mit Freiheit und Gleichheit? Die Diskussion darüber – und nicht nur darüber – ist im Kant- und Wilhelm Tell- Jubiläumsjahr eröffnet.
Das Liberale Institut führt aus Anlass seines 25-jährigen Bestehens ein Symposium
zum Thema «Schiller und die Idee der Freiheit» durch. Mit den folgenden vier Beiträgen werden die Diskussionsrunden eröffnet. Informationen zum Symposium finden sich auf www.libinst.ch.