Freiheit macht uns zu besseren Menschen
Liberale haben mehr erreicht, als die meisten von ihnen zugeben würden. Dazu zählen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und moralische Fortschritte.
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Es ist nicht einfach, Freiheit und Unabhängigkeit zu definieren. Leonard Read, Gründer der Foundation for Economic Education, sagte: «Freiheit ist die Abwesenheit von durch Menschen ausgedachten Zwängen, die die Freisetzung kreativer Energie verhindern.» Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek nannte Freiheit «einen Zustand, in dem jeder sein Wissen für seine Zwecke nutzen kann» sowie «die Möglichkeit, dass eine Person nach ihren eigenen Entscheidungen und Plänen handelt, im Gegensatz zu einem Zustand, in dem man unwiderruflich dem Willen einer anderen Person unterworfen ist, die einen nach Belieben zwingen kann, auf eine bestimmte Weise zu handeln oder nicht». Wahrscheinlich ist es am besten, Freiheit als Abwesenheit von physischer Gewalt oder deren Androhung zu verstehen. John Locke bot diese Definition von Freiheit im Rechtsstaat an:
«Der Zweck des Gesetzes ist nicht die Abschaffung oder die Einschränkung, sondern die Erhaltung und Erweiterung der Freiheit: Denn in allen Zuständen der erschaffenen Wesen, die zu Gesetzen fähig sind, gilt: Wo es kein Gesetz gibt, gibt es auch keine Freiheit. Denn Freiheit ist, frei zu sein vom Zwang und der Gewalt anderer, was nicht sein kann, wo kein Gesetz ist: Doch Freiheit ist nicht, wie man uns sagt, eine Freiheit für jeden Menschen, zu tun, was er will: (Denn wer könnte frei sein, wenn die Laune eines jeden anderen Menschen über ihn herrschte?) Sondern eine Freiheit, über Angelegenheiten der eigenen Person, Handlungen, Besitztümer und sein ganzes Eigentum zu verfügen und zu ordnen, wie er es im Rahmen des Gestatteten unter jenen Gesetzen aufführt, denen er untersteht; und darin nicht dem willkürlichen Willen eines anderen unterworfen zu sein, sondern seinem eigenen frei zu folgen.»
Das bedeutet, dass ein freier Mensch «nicht der Willkür eines anderen unterworfen» und frei darin ist, mit der eigenen Person und dem eigenen Eigentum so umzugehen, wie er es will. Diese Freiheiten kann man allerdings nur dann geniessen, wenn das Gesetz die Freiheit aller schützt. Die Students for Liberty haben deshalb die Parole «Tritt nicht auf mich» der Amerikanischen Revolution in «Tritt auf niemanden» umgeschrieben, andere Libertäre wiederum haben «Tritt nicht auf andere» verwendet.
So unterschiedlich wir Freiheit auch definieren, so können wir mit Sicherheit ihre Aspekte verstehen. Freiheit bedeutet, die moralische Autonomie jeder Person anzuerkennen, in jeder Person die Eigentümerin ihres eigenen Lebens zu sehen, die frei darin ist, wichtige Entscheidungen für ihr Leben zu treffen. Freiheit erlaubt es jedem von uns, den Sinn des Lebens zu definieren – das zu bestimmen, was uns jeweils wichtig ist. Und deshalb sollte jeder von uns frei darin sein, nach Belieben das zu denken, zu sprechen, zu schreiben, zu erschaffen, zu heiraten, zu essen und zu trinken und zu rauchen, wie es ihm beliebt, ein Unternehmen zu gründen und dieses zu leiten sowie sich mit anderen zusammenzuschliessen. Sind wir frei, können wir unser Leben so gestalten, wie wir es für richtig halten.
Die sozialen Konsequenzen der Freiheit sind gleichermassen erstrebenswert. Freiheit führt zu sozialer Harmonie. Wir finden uns seltener in Konflikten wieder, wenn wir weniger spezifische Vorgaben und Verbote haben, die uns diktieren, wie wir leben sollen – sei es, was Klasse oder Kaste, Religion, Bekleidung, Lebensstil oder Ausbildung anbelangt.
Ökonomische Freiheit bedeutet, dass Menschen frei darin sind, etwas zu produzieren und Handel mit anderen zu treiben. Über die Wirtschaft geben frei ausgehandelte und vereinbarte Preise Auskunft darüber, was Menschen wollen und was effizienter gestaltet werden kann. Damit eine ökonomische Ordnung funktioniert, müssen Preise frei sein, um die Wahrheit sagen zu können. Eine freie Wirtschaft schafft Anreize für Menschen, mehr Güter und Dienstleistungen zu erfinden, zu erneuern und herzustellen, die der gesamten Gesellschaft dienen. Das bedeutet mehr Bedürfnisbefriedigung, ein höheres Wirtschaftswachstum und einen höheren Lebensstandard für alle.
«Oft weise ich darauf hin, dass wir schon im Kindergarten
die Regeln lernen, die zu einer friedlichen und florierenden
Gesellschaft führen: Schlage andere nicht, nimm ihnen
ihre Sachen nicht weg und halte dich an deine Versprechen.»
Innerhalb der weniger als 250 Jahre währenden ökonomischen Freiheit hat uns dieser Prozess von der rückenbrechenden Arbeit und der kurzen Lebenserwartung, die seit Menschengedenken das natürliche Los der Menschen waren, zu jenem Überfluss geführt, den wir heute in immer mehr Teilen der Welt sehen (wenn auch noch nicht global).
Nicht jedem ist bewusst, wie arm die Welt lange Zeit war. Der Lebensstandard, den wir heute geniessen, ist nicht konstant über die Jahrhunderte angewachsen. Tatsächlich stand das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Grunde vom Jahr 0 an (und vielleicht sogar schon die 10 000 Jahre zuvor) bis um das Jahr 1700 im nördlichen Europa still. Und dann folgte eine Wohlstandsexplosion: Das reale Einkommen pro Person stieg in einem Zeitraum von drei Jahrhunderten um den Faktor 10, 20 oder sogar 100 an, zunächst in Nordwesteuropa und in den Vereinigten Staaten, dann in weiteren Weltgegenden.
Was hat sich verändert, damit wir so viel wohlhabender werden konnten? Freiheit. Ein politisches System der Freiheit erlaubt uns, unsere Talente zu nutzen und mit Hilfe weniger simpler Institutionen, die unsere Rechte schützen, zu produzieren. Und diese simplen Institutionen – namentlich Eigentumsrechte, Rechtsstaat und das Verbot von Gewaltanwendung – erlauben Erfindungen, Innovationen und Fortschritt im Handel, in der Technologie, der Medizin und in der Art und Weise zu leben. Verteidigen wir eine eingeschränkte Regierungsgewalt, verteidigen wir die Freiheit und den Fortschritt, den diese mit sich bringt.
Wenn wir darüber sprechen, wohlhabender als unsere Vorfahren zu sein, meinen wir damit nicht, mehr Autos oder Fernseher zu besitzen. Wir meinen, in einer Welt zu leben, in der die meisten Kinder nicht umkommen, in der nur sehr wenige Frauen bei der Geburt ihres Kindes sterben, in der wir uns eher um Adipositas denn um Hungertod sorgen, in der medizinische Probleme, die einst auch Könige und Millionäre dahinrafften, nunmehr routiniert in jedem Krankenhaus behandelt werden können.
Freiheit – und die zu ihrer Verwirklichung beitragenden liberalen Ideen – unterstützt auch die moralische Weiterentwicklung. Ein erheblicher moralischer Fortschritt war die dämmernde Einsicht, dass es besser ist, Handel mit anderen zu betreiben, anstatt diese anzugreifen und deren Eigentum zu stehlen. Oft weise ich darauf hin, dass wir schon im Kindergarten die Regeln lernen, die zu einer friedlichen und florierenden Gesellschaft führen: Schlage andere nicht, nimm ihnen ihre Sachen nicht weg und halte dich an deine Versprechen.
Wir leben in weitaus grösserem Masse, als Libertäre oftmals einzuräumen bereit sind, in einer Welt der Freiheit und des Fortschritts. Wir haben die Versprechen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung – Leben, Freiheit, das Streben nach Glück – auf Menschen ausgeweitet, denen diese lange vorenthalten waren: von Leibeigenen und Bauern sowie unterdrückten Massen auf der ganzen Welt bis zu Afroamerikanern, Frauen und LGBT-Individuen in den Vereinigten Staaten. Mehr Menschen in mehr Ländern als jemals zuvor geniessen heute Religionsfreiheit, persönliche Freiheit, Demokratie, die Freiheit, Eigentum zu besitzen und mit Eigentum zu handeln, die Chance, ein Unternehmen zu gründen, gleiche Rechte, Bürgerlichkeit, Respekt sowie eine längere Lebenserwartung. Krieg, Krankheiten, Gewalt, Sklaverei und Unmenschlichkeit haben sich drastisch reduziert. Das ist Fortschritt, und er ist der Freiheit und der Verteidigung liberaler und libertärer Ideen geschuldet.
Vor 250 Jahren hielten Benjamin Franklin und John Adams, die sich gerade auf dringender Mission im Dienste der amerikanischen Unabhängigkeit befanden, in einem Gasthaus, wo sie – wie damals unter den meisten Reisenden üblich – gezwungen waren, ein Bett zu teilen. Vor einem Jahrhundert starb einer der reichsten Männer der Welt, ein Enkel von Cornelius Vanderbilt, 51jährig an den Folgen einer Blinddarmoperation. Vor gerade einmal 60 Jahren wurde Patrick, das Baby von Präsident John F. Kennedy, frühzeitig und mit einem Atemproblem geboren, das heute als unbedeutend bezeichnet werden würde – wenn es routiniert in einem amerikanischen Krankenhaus oder einem anderen irgendwo auf der Welt behandelt werden würde. Doch das Baby starb. Der Fortschritt, den Freiheit ermöglicht, hat unsere Welt verändert.
In den letzten 25 Jahren hat die Verbreitung von Eigentumsrechten und Marktinstitutionen in China, Indien, Südamerika und zuletzt auch in Afrika dazu beigetragen, dass mehr als 1,25 Milliarden Menschen Wege aus extremer Armut finden konnten. Das ist Fortschritt. Es gibt aber noch immer eine weitere Milliarde Menschen, die in extremer Armut leben und Freiheit brauchen, um etwas zu erschaffen und handeln zu können.
Ein paar Skeptiker fragten mich einmal, was die wichtigste libertäre Errungenschaft aller Zeiten sei. Ich überlegte kurz und sagte: «Die Abschaffung der Sklaverei.» – «Okay, nennen Sie noch eine», antworteten sie. Ich hatte angenommen, dass die Abschaffung der Sklaverei ziemlich gut war! Ich nahm an, wenn man die Abschaffung der Sklaverei auf dem Lebenslauf stehen hat, sei man doch bereit, seinem Schöpfer zu begegnen. Sie aber sagten: «Nennen Sie noch eine.» Also dachte ich etwas sorgsamer weiter und erklärte: «Macht unter die Herrschaft des Gesetzes gestellt zu haben.»
Über Jahrhunderte haben wir Liberalen Ignoranz, Aberglauben, Privilegien und Macht bekämpft. Die Philosophie der Freiheit hat auf viele Weisen Menschen inspiriert, die in der Vergangenheit für Freiheit, Würde und Individualrechte gestritten haben – unter ihnen die frühen Verteidiger religiöser Toleranz, die Gegner des Feudalismus und der absoluten Monarchie, die amerikanischen Revolutionäre, die Gegnerinnen der Sklaverei, Antikriegsaktivisten, Gegner des Faschismus, des Nationalsozialismus und des Kommunismus und Gegner der Apartheid.
Doch der Kampf ist noch nicht beendet. Ideen, die wir lange für tot gehalten haben, sind zurück: Sozialismus, Protektionismus, ethnischer Nationalismus, Antisemitismus, die Sehnsucht nach einem Führer. Und, um Himmels willen, sogar Industriepolitik. Angesichts des links und rechts grassierenden Illiberalismus sowie der Bedrohungen für die Freiheit, Demokratie, den Handel, das Wachstum und sogar für den Frieden müssen Libertäre und klassische Liberale das breite Zentrum friedlicher und produktiver Menschen in einer dem Gesetz unterstehenden freien Gesellschaft verteidigen.