Freiheit ade
Christine Brand opfert ihre Freiheit, um unter den ihren zu sein.
Bleiben oder nach Hause gehen, lautet die Frage. Bleiben hiesse: Auf der zu diesem Zeitpunkt offiziell noch immer Covid-19-freien Insel Bali bleiben, bei Sonne, Strand und warmen Temperaturen an meinem Buch schreiben, in einer Welt, die noch die gute alte und nicht eine viren- und panikgeplagte ist. Nach Hause gehen bedeutete: In eine Schweiz zurückkehren, die nicht mehr dieselbe ist wie vor vier Monaten, als ich sie verlassen habe. Die Schulen sind geschlossen, die Regale leergekauft, Konzerte abgesagt – wie auch all meine Lesungen, die notabene der Grund gewesen wären, um in Kürze heimzukehren. Bleiben oder nach Hause gehen? Inselparadies oder Krisengebiet? Der Entscheid muss rasch gefällt werden, denn je nachdem sitzt man entweder irgendwo auf der Welt oder in der Schweiz fest: Immer mehr Flüge werden gestrichen, Land um Land verhängt Einreisesperren für Schweizer. Wir, die wir es uns gewohnt sind, mit dem roten Büchlein in jedes Land reinzukommen, kommen bald nicht mehr zum eigenen Land raus, weil die anderen die Grenzen für uns dichtmachen.
Meine Freunde sagen mir: «Bleib, wo du bist, jetzt, wo du in der Schweiz sowieso keine Arbeit hast.» Die Vernunft meint: Bleib, wo du bist, du Glückspilz, wo hier das Leben so schön und einfach ist, während in der Schweiz der Ausnahmezustand herrscht. Der Bauch aber entscheidet sich anders: Ich buche den Flug um und fliege früher als geplant heim. Es fühlt sich an, als würde ich freiwillig in ein geschlossenes Überlebenscamp ziehen, aus dem es keinen Weg mehr hinaus gibt. Warum? Weil es sich seltsam und auch falsch anfühlt, auf Bali den Wellensurfern zuzusehen, während zu Hause ein Notstand herrscht. Und weil sich vielleicht in Krisen zeigt, wo die Wurzeln sind und was für einen Heimat bedeutet: nämlich der Ort, an dem man unter den Seinen sein will, wenn die Welt derart aus den Fugen gerät. Auch wenn man dafür seine Freiheit opfern muss. Hoffentlich nur temporär.