Freie Wissenschaft ist nicht korrekt
Max Scheler hat recht behalten: die heutige Universität ist keine «universitas» mehr, sondern eine Summe von Fachhochschulen. Ganz selbstverständlich und unverfroren tituliert man die Studentenschaft als «Generation Praktikum», weil es niemand mehr wagt, die rigorose Berufsbezogenheit des Studiums in Frage zu stellen. Alle Lernprozesse sind heute riskant, denn auf ihrem Buckel tragen sie die Frage […]
Max Scheler hat recht behalten: die heutige Universität ist keine «universitas» mehr, sondern eine Summe von Fachhochschulen. Ganz selbstverständlich und unverfroren tituliert man die Studentenschaft als «Generation Praktikum», weil es niemand mehr wagt, die rigorose Berufsbezogenheit des Studiums in Frage zu stellen. Alle Lernprozesse sind heute riskant, denn auf ihrem Buckel tragen sie die Frage mit sich: Kann man das später brauchen? Es ist deshalb zur Selbstverständlichkeit geworden, von Professoren die Praxisrelevanz ihrer Arbeit einzufordern.
Dabei wird übersehen, dass die Wissenschaft Nutzloses erforschen muss, denn die Gesellschaft kann nicht wissen, welches Wissen sie in Zukunft braucht. Stattdessen propagiert man heute auch in Universitäten das Recht auf Unbildung: Philosophie und Altgriechisch braucht man nicht mehr. Geist gilt als reaktionär. Um niemanden zu beleidigen, der des Lateinischen nicht mächtig ist, darf man Dissertationen nicht mehr mit «summa cum laude» bewerten. Dekanate nennen sich jetzt «Service-Center». Und an der Gremienuniversität, die uns die Studentenbewegung beschert hat, herrscht die «Diktatur des Sitzfleischs» (Harald Weinrich).
Die Krise der Wissenschaften verdankt sich aber nicht nur dem Druck der Politik, die vor allem die Geisteswissenschafter mit dem Wort «Drittmittel» in Angst und Schrecken versetzt, sondern sie ist auch selbstverschuldet. Ich nenne nur die vier wichtigsten Symptome. Da ist zum einen das, was Robert Park «Voodoo Science» genannt hat. Den klassischen Medizinern mutet man die Mystik der Homöopathie als gleichberechtigte Wissenschaft zu. Das Zauberwort «Gender», mit dessen Hilfe das biologische Schicksal des Geschlechts in eine soziale Konstruktion umgedeutet wird, öffnet die Tür zur Universitätskarriere. Und der «Dekonstruktivismus», den Klaus Laermann schon vor Jahrzehnten als «Lacacan» und «Derridada» entlarvt hat, narrt die Literatur- und Kulturwissenschaften.
Da sind zum zweiten die «Resentment Studies». Damit ist leider nicht gemeint, dass das Ressentiment erforscht würde, sondern umgekehrt, dass das Ressentiment die Forschungen antreibt. Das Spektrum reicht von den Black Studies in den USA bis zum Radikalfeminismus und Antikolonialismus. Dabei dient die politische Korrektheit als der grosse Katechismus. Aller Hass ist auf die Besserverdienenden ohne Migrationshintergrund konzentriert. Nichts ist diesen akademischen Hasspredigern ferner als Abraham Lincolns Einsicht, dass man die Schwachen nicht stärken kann, indem man die Starken schwächt. Die Schwachen werden nämlich nicht von den Starken, sondern von den Unfähigen unterdrückt. Die Armen werden nicht von den Reichen, sondern von den Faulen ausgebeutet.
Da ist, drittens, die Angstindustrie mit ihren Slogans «Global Warming» und «Atomkraft, nein danke». Sie gibt der Apokalypse eine wissenschaftliche Form und sorgt in einer unheiligen Allianz mit Politik und Massenmedien dafür, dass über alle Andersdenkenden ein Scherbengericht ergeht. Das vierte und letzte Symptom nenne ich «Gefälligkeitswissenschaft». In der Regel wird jeder wichtige Politiker von Gefälligkeitswissenschaftern umschmeichelt, die genau spüren, was die Ministerien gerne hören würden, und das dann als Ergebnis der eigenen Forschungen anbieten. Beispiele dafür finden sich vor allem in der Familienpolitik, der Klimaforschung und in den Szenarien der sogenannten Wirtschaftsweisen. Bert Brecht hat sie «ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können», genannt.
Und damit sind wir am Gegenpol dessen angelangt, was noch für Max Weber nicht nur den Beruf zur Politik, sondern auch zur Wissenschaft definierte: die Einheit von Sachlichkeit und Leidenschaft. Was uns heute am meisten fehlt, ist das, was die 68er so fanatisch bekämpften: bürgerliche Wissenschaft.