Frank Schirrmacher: «Das Methusalem-Komplott»
Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», hält die «Vergreisung» unserer Gesellschaft für das zentrale Problem der Zukunft. In Deutschland wurden im Jahr 2003 nur 715 000 Kinder geboren. Das sind anderthalb Prozent weniger als im Vorjahr, etwa 100 000 weniger als vor 30 Jahren und so wenig wie noch nie in der […]
Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», hält die «Vergreisung» unserer Gesellschaft für das zentrale Problem der Zukunft. In Deutschland wurden im Jahr 2003 nur 715 000 Kinder geboren. Das sind anderthalb Prozent weniger als im Vorjahr, etwa 100 000 weniger als vor 30 Jahren und so wenig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Jahr 2050 werden über die Hälfte der Deutschen über 51 Jahre alt sein (heute sind es 40 Prozent). Viele der heute in Deutschland geborenen Kinder haben gute Chancen, 80 oder 90 Jahre alt zu werden. Zur Bestanderhaltung einer Generation müssen durchschnittlich 2,1 Kinder pro Frau geboren werden statt der jetzigen 1,4. Auch Schirrmacher hat kein Patentrezept. Er empfiehlt aber einen anderen Umgang mit dem Alter und mit dem Altern. Er beklagt einen «Altersrassismus», der die Senioren beispielsweise in der Werbung nur als Werbeträger für Blasentees und Haftcrèmes für Gebisse gelten lässt. Doch mit positiven Selbst- und Fremdbildern ist es nicht getan.
Die wirtschaftliche Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Jedes zweite Unternehmen in Deutschland beschäftigt keine Arbeitnehmer über 50 Jahre. Es gibt allerdings positive Signale aus dem Mittelstand. Udo Nadolski, Geschäftsführer des Düsseldorfer Beratungsunternehmens Harvey Nash hält die Verbannung der Älteren aus dem Arbeitsprozess nicht nur für einen gesellschaftlichen Skandal mit verheerenden psychologischen Folgen, er findet es auch wirtschaftspolitisch verhängnisvoll, wenn Leute über 50 einfach zum alten Eisen geworfen werden. Nadolski schätzt an älteren Arbeitnehmern insbesondere ihre Erfahrungen, Kenntnisse und die Verbundenheit mit einem Unternehmen. «Besonders vor dem Hintergrund des anstehenden demographischen Wandels muss ein gesellschaftliches Umdenken erfolgen», so die Einschätzung des Düsseldorfer Unternehmens, das bewusst auf das Prinzip «Seniorität» setzt: die neuen Mitarbeiter, die das Unternehmen vermittelt, sind 57, 58 oder 63 Jahre alt. Angesichts der demographischen Herausforderungen sei es eine Verschwendung, auf älteres «Humankapital» (Ausdruck des US-Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften Gary Becker) zu verzichten.
Gunnar Sohn, geboren 1961, arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist in Bonn.