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Francesco reist nach Verbania

Eigenartig, es gibt Bücher, die wollen nicht zu dir, und wenn sie mal bei dir sind, wollen sie nicht bleiben. Für meine Kleinstbesprechung hatte ich das Buch «Die nackten Inseln» von David Signer bestellt. Bis das Buch zu mir kam, hatte es schon eine kleine Odyssee hinter sich. Von einem Bürotisch zum anderen, von einem […]

Eigenartig, es gibt Bücher, die wollen nicht zu dir, und wenn sie mal bei dir sind, wollen sie nicht bleiben. Für meine Kleinstbesprechung hatte ich das Buch «Die nackten Inseln» von David Signer bestellt. Bis das Buch zu mir kam, hatte es schon eine kleine Odyssee hinter sich. Von einem Bürotisch zum anderen, von einem Briefkasten zum nächsten. Als ich es erfreut in meinen Koffer packte, weil ich ein Reisender in Sachen Kleinstbesprechungen für die «Schweizer Monatshefte» bin, ahnte ich nicht, was sich ereignen würde. Zuerst aber soll den Monatsheften ein Dank für ihre Unterstützung der Schweizer Literatur (Deutschschweizer wäre angebrachter) ausgesprochen werden. Im Zug nach Verbania – ich sollte dort Freunde besuchen – wollte ich mit der Lektüre beginnen. Das Umschlagbild schien sich zu bewegen… oder besser, die barbusige Frau, deren Gesicht etwas Maskenhaftes hat. Leicht irritiert las ich die Buchrückseite: «Virtuos auf mehreren Ebenen… NZZ», hiess es da. Ich wollte das Umschlagbild unbedingt vermeiden und machte mich ans Inhaltsverzeichnis. Als ich zu den letzten Titeln der Kapitel kam: «Hier kann man gut untertauchen», «Sie ist sicher dort, wo man sich gut verstecken kann», «Der Preis», «Die Nacht der geteilten Leidenschaft», «Der Privatstrand», «Das Ende», und ich auf Seite 13 mit Lesen beginnen wollte: «Was zum Teufel heisst gorjigen?», klopfte mir jemand auf die Schultern und sagte «Ei, che diavolo! Non ti fai più sentire!» Rico, ein Schauspieler, mit dem ich vor Jahren im ProTheater Solothurn gespielt hatte, stand vor mir und wollte in den Speisewagen. «Kommst du mit?» Und schon zog er mich durch die Gänge. Nach einem pendolinomässigen Essen und einem Bier kehrten wir zurück. Ich wollte weiterlesen. Das Buch war nicht mehr da. Auch nicht im Koffer. Ich schaute unter die Sitze, ich schaute auf den Ablagen, ich schaute die Mitfahrenden genau an. Nichts zu machen. «Die Erfahrung lehrt doch wirklich, dass ein Buch nicht verschwindet», sagt Wittgenstein. Bitte melden, wenn Sie eine andere Erfahrung gemacht haben.

David Signer: «Die nackten Inseln». Zürich: Salis, 2010

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