Fragmente einer schwindenden Erinnerung
Monika Neun: Und dann verschwinden. Zürich: Atlantis-Verlag, 2023.
Der posthum veröffentlichte Roman «Und dann verschwinden» der Theaterkünstlerin Monika Neun, die 2022 verstorben ist, handelt von einem jungen Mädchen, das aus seinem gewohnten Umfeld ausbricht, um neue Lebenserfahrungen zu sammeln. Den Namen der Hauptfigur verrät uns die Schriftstellerin nicht. Auch der Name des Mannes, den sie in der unbekannten Stadt südlich von den Alpen kennenlernt, bleibt ungenannt. Für den Leser wird er immer der Mann mit den Zigarillos bleiben. Als dieser ihr anbietet, bei ihm zu wohnen, zieht sie nach kurzem Zögern ein. Zusammen erwachen sie erst richtig in der Nacht: «Wir stehen morgens nicht mehr auf. Wir leben in der Nacht, die uns wohlgesonnen ist. Der Tag, das sind wir nicht.» Mit seinem schwarzen Motorrad, das ein einzelnes rundes Scheinwerferlicht hat, düsen sie in die Schwärze hinaus und fahren ans Meer oder gehen in heissen Quellen baden. Sie fühlt sich so glücklich wie noch nie. Zurück im Norden beginnt sie ihre Karriere als Theaterregisseurin. Immer wieder wird sie mit ihrem alten Seesack die Reise zurück in den Süden machen, wo sie begrüsst wird vom Mann mit den Zigarillos. Doch alles ist vergänglich, und Verluste kommen schneller, als man denkt: «Die Namen, sie bleiben, wenn alles andere schon gegangen ist.»
Die Hauptfigur spricht selten, lieber bleibt sie stumm. Und so lebt die Lektüre von einzelnen Erinnerungen und Momenten, die sich von Glücksgefühlen bis in die Leere des Alterns ziehen. Neun hat eine Figur geschaffen, die hochsensibel ihr eigenes Dasein reflektiert und sich zurück in alte glückliche Erinnerungen flüchtet, wenn es ihr nicht mehr gut geht. Eine Erzählung, die am Anfang nicht ganz zu fassen ist und verwirrend sein kann. Die Lektüre beansprucht Zeit, denn durch die Komplexität kann man sich schnell in den einzelnen, nicht sortierten Gedanken verlieren.
Wie die Hauptfigur arbeitete ihre Urheberin Monika Neun, die 1967 in Basel geboren wurde, als Theaterregisseurin. Sie hinterlässt mit ihrem Debütroman ein Vermächtnis, das Denkanstösse über die Fragilität von Beziehungen, über Sehnsüchte und die verlorene Zeit im Leben gibt.