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Fotoalbum bis 1960

«Aufbruch in die Gegenwart. Die Schweiz in Fotografien 1840–1960», hrsg. von Dieter Bachmann und den Schweizerischen Landesmuseen. Zürich: Limmat, 2009.

Dies ist keiner jener vielen opulenten coffee-table-Bildbände, die die wenigen noch unberührten Landschaften unseres Landes auf Hochglanzpapier und in optimaler Beleuchtung abbilden und durch solche Inszenierungen das Klischee des Ferienlandes Schweiz bedienen. Es wäre weit eher von einem historischen Bilderbogen zu sprechen, in dessen Mittelpunkt ganz der Mensch bei seinen alltäglichen Verrichtungen in Beruf und Freizeit steht. Die Rede ist von der Fotodokumentation, die unter dem Titel «Aufbruch in die Gegenwart» im Zusammenhang mit der gleichnamigen Ausstellung des Zürcher Landesmuseums erschienen ist. Die hier ausgewählten Fotos stammen aus den reichen Sammlungsbeständen Peter Herzogs, von denen ein Teil 2008 in den Besitz des Landesmuseums übergegangen ist; sie umfassen einen Zeitraum von 1840 bis 1960. Dieter Bachmann, der erfahrene Publizist und ehemalige Chefredaktor des «Du», hat dem Band ein kurzes Vorwort vorangestellt. Bachmanns Kennerschaft ist es zu danken, wenn zwischen den Fotos Zitate aus dem Werk verschiedener Schweizer Schriftsteller eingestreut sind, die nicht selten einen reizvollen und erhellenden Kontrapunkt zum Bildmaterial setzen. Ein kurzer Abriss der Fotogeschichte von Peter Herzog und ein Hinweis auf die Fotobestände des Landesmuseums von Ricabeth Steiger beschliessen den stattlichen Band, dessen Texte dreisprachig wiedergegeben sind.

Die ausgewählten Fotographien, meist Schwarzweissaufnahmen, vermitteln ein überaus anschauliches Bild des gesellschaftlichen und technischen Wandels zwischen der Gründung des Bundesstaates und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sehr gut dokumentiert wird der industrielle und technische Fortschritt sowie die staunende Bewunderung, die man dem Bau von Eisenbahnlinien oder der Entwicklung des Automobils und des Flugzeugs entgegenbrachte. Deutlich weniger Fotos zeigen die Landwirtschaft oder die Arbeit in den Fabriken; Peter Herzog erklärt dies damit, dass die Fotografie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts einem elitären bürgerlichen Publikum vorbehalten blieb.

Ältere Leser werden dieses aussergewöhnliche Buch mit andern Augen betrachten als jüngere, für die vieles, was hier dargestellt wird, abgeschlossene Geschichte ist. Für die Älteren sind manche Fotos lebendiggebliebene Erinnerung und Teil ihrer eigenen Lebenswelt. Bei aller Fortschrittsgläubigkeit, die sich in den Aufnahmen dieses Bandes durchwegs manifestiert, wird der nachdenkliche Betrachter auch auf das aufmerksam, was man Kulturverlust nennen möchte – so zum Beispiel in dem Bild von einem Dorfladen der vierziger Jahre, von dem auf das Kind, das man damals war, eine Atmosphäre von Geheimnis und Verlockung ausging, die man im modernen Supermarkt vergeblich sucht. «Aufbruch in die Gegenwart» ist ein Bildband der besonderen Art, nahe an der Wirklichkeit und am Alltag der Menschen, die diese Wirklichkeit menschenfreundlich zu gestalten haben.

vorgestellt von Urs Bitterli, Prof. em. für Geschichte, Gränichen

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