Folgenschwere Initiative?
Die kritische Beurteilung eines alten sozialdemokratischen Anliegens: der Einführung einer Bundeserbschaftssteuer.
Mit der Lancierung einer Volksinitiative zur Einführung einer Bundeserbschaftssteuer wird ein altes sozialdemokratisches Anliegen neu aufgegriffen. Auf Parlamentsstufe sind in den letzten Jahrzehnten alle entsprechenden Vorstösse gescheitert. Auch der eher zaghafte Versuch des seinerzeitigen freisinnigen Finanzministers Bundesrat Villiger wurde nicht ernsthaft weiter verfolgt. Erstmals wird nun die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer mittels einer Volksinitiative versucht, so dass im Falle einer erfolgreichen Unterschriftensammlung dereinst der Souverän über dieses Anliegen wird befinden können. Dazu einige grundsätzliche Gedanken aus parteipolitisch unabhängiger Sicht.
Mit der Volksinitiative soll die Zuständigkeit zur Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen von den Kantonen an den Bund übergehen. Im Gegensatz zu den derzeitigen Regelungen in praktisch allen Kantonen soll die Abgabe nicht als Erbanfallsteuer, sondern als Nachlasssteuer ausgestaltet werden. Der Steuersatz soll 20 Prozent betragen, eine Abstufung nach Verwandtschaftsgrad ist nicht vorgesehen. Dabei soll ein Freibetrag von zwei Millionen Franken auf der Gesamtsumme des Nachlasses und aller steuerpflichtigen Schenkungen für direkte Nachkommen gelten. Steuerbefreit wären hingegen jene Teile des Nachlasses, die dem Ehegatten beziehungsweise dem registrierten Partner oder gemeinnützigen Stiftungen zugewendet werden. Für die Weiterführung von Unternehmen und Landwirtschaftsbetrieben sollen besondere Regelungen vorgesehen werden. Zwei Drittel der Einnahmen aus der Bundeserbschaftssteuer sollen der AHV, ein Drittel den Kantonen zukommen. Mit den Erbschaftssteuern sollen grundsätzlich drei Ziele erreicht werden: erstens die verbesserte Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, zweitens eine Milderung der ungleichmässigen Vermögensverteilung und drittens das Bemühung um eine stärkere Nivellierung der Startchancen.
Problematik der kantonalen Erbschaftssteuern
Die heutige Situation mit den kantonalen Erbschaftssteuern kann nicht befriedigen. Zwar erheben derzeit – ausser Schwyz – alle Kantone eine Erbschaftssteuer, allerdings nach unterschiedlichen Systemen und unterschiedlichem Ausmass. Der Wettbewerb um günstige Steuergrundlagen zwischen den Kantonen und gegenüber dem Ausland führte in den vergangenen zwanzig Jahren in den meisten Kantonen zur Befreiung direkter Nachkommen von der Erbschaftssteuer. Als Folge dieser Entwicklung werden nun andere Erben gegenüber den direkten Nachkommen stark benachteiligt, was mit dem verfassungsmässig verankerten Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht zu vereinbaren ist. Im Zuge des erheblichen Bedeutungsverlustes des traditionellen familiären Zusammenhalts ist diese Ungleichbehandlung erst recht unverständlich. Die heutigen Regelungen bewirken seltsame Auswüchse: so wird gar geheiratet einzig mit dem Zweck, die Erbschaftssteuer zu umgehen! Die gänzliche Abschaffung der kantonalen Erbschaftssteuern ist daher ein Gebot der Stunde. Die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer ist aber keineswegs zwingend, um dieses Problem zu lösen. Vom Steuerertrag her gesehen sind Erbschaftssteuern jedenfalls von geringer Bedeutung.
Die derzeitige Steuerfreiheit bei den kantonalen Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen kann im Zusammenhang mit der Pauschalbesteuerung von sehr vermögenden Ausländern – ein Privileg, dass der Fiskus völlig unverständlicherweise den eigenen Bürgern vorenthält! – zu einer sehr ungerechten Situation führen: Pauschalbesteuerte müssen ihr Einkommen und Vermögen gegenüber Schweizern massiv geringer versteuern und können im Erbfall das Vermögen zudem ohne Steuerfolgen weiter vererben. Abgesehen davon: mit der Pauschalbesteuerung wird der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ohnehin arg strapaziert und ist damit verfassungsrechtlich unhaltbar. Am einfachsten wäre dieses Dilemma mit der Aufhebung der Erbschaftssteuern gesamtschweizerisch, das heisst in allen Kantonen bei gleichzeitiger Eliminierung der Pauschalbesteuerung zu lösen. Eine Initiative mit dieser Zielsetzung wäre zu begrüssen.
Wie verhält es sich für jene, die von einer Pauschalbesteuerung ausgeschlossen sind? Dass bei erheblichen Erbschaften die Leistungsfähigkeit deutlich verbessert wird, ist offensichtlich. Ein Erbanfall hat beim Erben den Charakter des Unverdienten oder Mühelosen. Man kann sich also durchaus fragen, ob es sinnvoll ist, jeden selbstverdienten oder erarbeiteten Franken, also den Erfolg der täglichen Bemühungen, mit Einkommens-, Ertrags- und Vermögenssteuern zu belasten und gleichzeitig grosse Erbschaften unversteuert zu belassen. Eine Erbschaftssteuer – auf Bundes- oder harmonisiert auf Kantonsebene – müsste somit zwingend die Reduktion anderer Steuern, vor allem der Einkommens- und Vermögenssteuern, zur Folge haben. In einer erfolgreichen Gesellschaft muss sich Leistung finanziell gesehen lohnen. Der in der Initiative festgelegte Freibetrag von zwei Millionen Franken müsste sich im Übrigen nicht auf die gesamte Erbschaft, sondern auf den einzelnen Erben beziehen. Dies würde die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwingend erfordern.
Statt über eine Bundeserbschaftssteuer nachzudenken, wäre es wohl sinnvoller, Benachteiligungen kleinerer Vermögen aufzuheben: Während Grossaktionäre ihre Dividendenerträge wegen der Doppelbesteuerung sowohl bei den Aktiengesellschaften und bei deren Aktionären nur teilweise versteuern müssen, unterliegen die Dividenden für kleinere Aktionäre voll der Einkommenssteuer. Diese degressive Wirkung ist unverständlich und müsste beseitigt werden. Da wäre wohl eine massvolle Erhöhung des im internationalen Vergleich ausserordentlich tiefen Mehrwertsteuersatzes zur Kompensation der Ausfälle angebracht.
Ein zweites Ziel der Befürworter der Vermögenssteuer ist die Korrektur der Ungleichheit in der Vermögensverteilung. Sie kann in erheblichem und vor allem steigendem Ausmass durchaus gesellschaftspolitischen Zündstoff beinhalten. Andererseits ist der Wille, den Nachkommen Vermögen, vor allem in Form von Liegenschaften und Betrieben, zu hinterlassen, ein wesentlicher Antrieb, Vermögen überhaupt zu bilden. Bei hoher Besteuerung der Erbschaften würde dieser Antrieb im Bewusstsein geschwächt, dass das Vermögen dereinst grösstenteils an den Staat fallen wird.
In der Öffentlichkeit dürfte das Prinzip der Chancengleichheit auf grosses Verständnis stossen. Sehr weit gehen in dieser Hinsicht die USA, wo bisweilen Spitzensteuersätze mit beinahe konfiskatorischem Charakter festgelegt wurden. Dies ist die Folge des in Amerika weit verbreiteten Misstrauens gegenüber dem sogenannt unverdienten Vermögen allgemein und der dynastischen Vermögensvermehrung und ihrer Perpetuierung. Das Motiv der grösseren Startgleichheit, wie sie in den USA auch von Inhabern sehr grosser Vermögen wie etwa vom Grossinvestor Warren Buffett und auch von liberaler Seite vertreten wurde, zielt in letzter Konsequenz auf eine starke Einschränkung des Erbrechts, eine Idee, die seinerzeit von John Stuart Mill, dem englischen Nationalökonomen und Systematiker des liberalen Radikalismus im 19. Jahrhundert, mit Nachdruck vertreten wurde. Diese an sich sympathische Zielsetzung steht andererseits im Konflikt mit dem Ziel der Erhaltung einer liberalen Gesellschaftsordnung, mit der die Eigentumsfreiheit untrennbar verbunden ist. Im Gegensatz zu den USA ist etwa in Deutschland das Eigentumsverständnis stark familienorientiert. Hier setzt die verfassungsmässige Eigentumsgarantie in Verbindung mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie der Erbschaftsbesteuerung juristische Grenzen.
Erbschafts- versus Vermögenssteuer
Die Tatsache, dass die Erbschaftssteuer eine leicht anzapfbare Steuerquelle ist und – einmal eingeführt – leicht erhöht werden kann, macht sie problematisch. Den Initianten geht es ja nicht um den Ersatz anderer Steuern durch eine Bundeserbschaftssteuer, sondern um eine Erhöhung der gesamten Steuerbelastung in der Schweiz. Die damit verbundene weitere Erhöhung der Staatsquote mit all den sattsam bekannten Auswüchsen ist eine Entwicklung, deren Folge in der Eurozone beobachtet werden kann. Es gibt immer irgendwo ein finanzielles Manko wie derzeit bei der AHV, dafür aber gleich die Steuerbelastung zu erhöhen, führt in eine Sackgasse. Gerade die langfristigen Finanzperspektiven der AHV sind grundsätzlich anzugehen bzw. zu lösen; die Zweckbindung einer neuen Steuer ist der falsche Weg.
Der zu erwartete Steuerertrag einer Bundeserbschaftssteuer wäre sehr bescheiden, beträgt doch beispielsweise der Ertrag der deutschen Erbschaftssteuer mit Sätzen von 30 Prozent für Verwandte und 50 Prozent für die übrigen Erben lediglich 0,16 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Auch in der Schweiz dürfte der Ertrag im Vergleich zum gesamten Steueraufkommen unbedeutend sein. Wegen der problemlosen Steuervermeidung durch Sitzverlegung ins Ausland durch Inhaber besonders grosser Vermögen dürfte die Gesamtbilanz aller Steuereinnahmen gar negativ ausfallen. Im Übrigen ist unser Steuersystem viel zu kompliziert und weit davon entfernt rational und fair zu sein.
Die Initiative will für die Weiterführung von Unternehmen besondere Regelungen vorsehen. Zwar haben mittelständische Unternehmen einen sehr hohen Stellenwert in unserer Volkswirtschaft. Insbesondere Familienunternehmen haben eine natürliche Bremse gegenüber Vergütungsexzessen, wie sie bei einigen managergeführten Unternehmen oft bestehen. Familienunternehmer handeln i.d.R. umsichtiger, da sie ihr eigenes Geld einsetzen. Sie sind grundsätzlich risikoaverser und stellen den Grossteil der Arbeitsplätze. Im Gegensatz zu Publikumsgesellschaften wollen Unternehmerfamilien in erster Linie das Lebenswerk des Firmengründers sichern und erhalten. Eine Erbschaftssteuer erschwert diese Zielsetzung eindeutig. Eine Sonderbehandlung im Rahmen einer allfälligen Bundeserbschaftssteuer bedingt aber ein umfassendes Regelwerk und führt im Endeffekt zur problematischen Ungleichbehandlung gegenüber anderen vererbten Anlageformen. Damit wird unser jetzt schon viel zu kompliziertes Steuersystem noch unübersichtlicher, was in Deutschland und Österreich von deren obersten Gerichten als verfassungsmässig sehr problematisch festgehalten wurde. Eine solch krasse Ungleichbehandlung könnte gar zu Firmengründungen führen mit dem einzigen Zweck, die Erbschaftssteuern zu umgehen. Die Zielsetzungen der Initianten werden deshalb bereits heute sinnvollerweise über die progressiven Einkommens- und Vermögenssteuern erreicht.
Nicht zu unterschätzen sind die Möglichkeiten der Steuerumgehung etwa durch eine Sitzverlegung in ein Land ohne Erbschaftssteuer oder über den Abschluss von Lebensversicherungen. Von solchen Möglichkeiten würden vor allem Eigentümer oder Erben sehr grosser Vermögen profitieren, die international vernetzt sind und vielfach über Wohneigentum in Ländern ohne Erbschaftssteuern verfügen. Der Mittelstand würde einmal mehr zu den Leidtragenden zählen. Damit verfehlt die Bundeserbschaftssteuer ihre Zielsetzungen. Insbesondere die Steuerumgehung durch Sitzverlegung ins Ausland wäre nämlich nicht zu verhindern. Das in den USA praktizierte System der Steuerpflicht für alle ihre Bürger – unabhängig davon, wo sie weltweit ihren Wohnsitz haben – sowie für alle Erbschaften die sich auf dem Gebiet der USA befinden, ist weltweit einmalig und wäre mit unserem Rechtssystem unvereinbar und für ein kleines Land wie die Schweiz wirtschaftlich ohnehin katastrophal. Auch die in Deutschland erhobene sogenannte Wegzugsteuer, mit der versucht wird, eigene Staatsangehörige noch bis zu fünf Jahren nach ihrem Wegzug mit der deutschen Erbschaftssteuer zu belasten, kann die Steuerausweichung bestenfalls vermindern, aber keinesfalls lösen.
Fazit
Die Initianten wollen die bestehenden progressiven Einkommens- und Vermögenssteuern unverändert belassen, die bereits eine beachtliche Umverteilungswirkung haben. Sie verkennen, dass die meisten Länder mit einer Erbschaftssteuer sinnvollerweise keine Vermögenssteuer kennen. Den Zielen der Erbschaftssteuer – für sich isoliert betrachtet – kann man Sympathien entgegenbringen. Die Ziele aber auf zwei Kanälen zu verfolgen macht wenig Sinn und ist sehr gefährlich. Die Schweiz gehört nämlich mit Norwegen und Luxemburg zu den Ländern mit den höchsten Vermögenssteuern weltweit. Zudem kennt die Mehrheit der OECD-Länder keine Erbschaftssteuer. Italien beispielsweise kennt weder eine Vermögens- noch eine Erbschaftssteuer, besteuert aber Kapitalerträge zu einem Einheitssatz von nur 12, 5 Prozent, der notabene für alle gilt und nicht nur für Inhaber grosser Beteiligungen!
Jede Erbschaftssteuer führt ausserdem zwangsläufig zu Doppelbelastungen, Steuerflucht und vor allem zu untragbaren Ungleichbehandlungen. Nach Einreichung der Initiative ist mit einem Gegenvorschlag zu rechnen. Ein solcher müsste die Umverteilungswirkungen der bestehenden Vermögenssteuern sowie die erwähnten Ungleichbehandlungen im heutigen Steuersystem berücksichtigen. Vor allem aber ist zu beachten, dass die Gefahr der Steuerausweichung bei sehr grossen Vermögen bei Erbschaftssteuern viel grösser ist als bei den Vermögenssteuern. Das politisch neu auszutarierende System der Umverteilung nebst der Vermögenssteuer noch mit einer neuen Steuer anzugehen, macht auch vom Verwaltungsaufwand her wenig Sinn. Eine materiell harmonisierte Vermögenssteuer wäre wohl besser zu verkraften als eine neue Erbschaftssteuer. In der Gesamtbeurteilung fällt die Initiative für eine Bundeserbschaftssteuer somit kontraproduktiv aus – und zwar unabhängig davon, wie weit man das Leistungsfähigkeitsprinzip im Steuersystem gewichten will. Die entsprechende Initiative erweist sich somit bei näherem Zusehen als Schnellschuss und bei einer allfälligen Annahme durch den Souverän als eigentliches Eigentor.