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Flug

Abheben mit Reto Hänny Der Anfang ist unverändert geblieben, und ebenso das Ende. Dazwischen aber hat Reto Hänny seinen Roman «Flug» von 1985 gehörig durcheinandergewirbelt, so dass dessen Neufassung ein anderes Gesicht zeigt. Hänny hat den Roman beschleunigt, indem er ganze Absätze gestrichen hat, etwa solche, die von den Pionieren des Flugwesens erzählten. Demgegenüber verlieh […]

Abheben mit Reto Hänny

Der Anfang ist unverändert geblieben, und ebenso das Ende. Dazwischen aber hat Reto Hänny seinen Roman «Flug» von 1985 gehörig durcheinandergewirbelt, so dass dessen Neufassung ein anderes Gesicht zeigt. Hänny hat den Roman beschleunigt, indem er ganze Absätze gestrichen hat, etwa solche, die von den Pionieren des Flugwesens erzählten. Demgegenüber verlieh er der Beschreibung des adoleszenten Lesers mehr Gewicht und bettete die Reminiszenzen an den Kindertraum vom Fliegen noch kompakter in schlingernde, artistische, hochpräzise Satzschlaufen ein.

Der Ich-Erzähler, der zu Beginn des Buches für einen Flug über die Alpen eincheckt, hebt in der Maschine selbst zu einem Erinnerungsflug in die eigene Kindheit ab. Er zählt sich nicht zu den kühlen Machern, denen das Fliegen längst zur alltäglichen Gewohnheit geworden ist. Noch immer spürt er in sich den «ikarischen Traum» – und stürzt gleichzeitig in Erinnerungen hinab, ins neblige, dunkle Tal, in dem er einst «zu Geborgenheit verdammt in der Stube ausharren» musste, sehnsüchtig hochblickend zum Postflugzeug, das allabendlich «unterwegs nach Süden jedenfalls; ins Licht und in die Wärme» seine Bahn über die Alpen zog.

Noch immer fragt er sich, warum die biedern, braven Bürger fortwährend versuchten, ihn am Boden zu halten und sein Anderssein verhöhnten: «an entscheidender Stelle blieb ihm der Zutritt verwehrt.» Weshalb wollen sie ihm den Traum vom Fliegen austreiben, wo doch nur zwei, drei Generationen früher ihre Vorfahren den Traum vom Fliegen mutig in die Tat umgesetzt hatten? Blériot beispielsweise, der sich allerdings nach seiner erfolgreichen Kanalüberquerung als ruhmreicher Pionier im Dienst des militärisch-industriellen Komplexes herumzeigen liess und sich nur spät nachts hin und wieder leise fragte: «Kann ich überhaupt fliegen, oder habe ich es nur als Kind gekonnt, wie alle?»

In dieser Kernfrage begegnen sich der Pionier und der Erzähler, der auf dem Flug über die Alpen das Staunen noch nicht verlernt hat. «Flug» ist auch in dieser Neufassung ein fesselndes Buch über den Traum vom Fliegen und die Lust daran; aber auch über die Angst der Erwachsenen vor solchen Träumen. Mit Recht setzt Samuel Moser in seinem Nachwort ein grosses Ausrufezeichen dahinter: «Es ist tollkühne Literatur – Aviatur!»

vorgestellt von Beat Mazenauer, Luzern

Reto Hänny: «Flug». Frankfurt: Suhrkamp, 2007

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