Fische im Hafen
Angelica Overath: «Flughafenfische». München: Luchterhand, 2009.
Ecce opusculum oder «Die Epik der kurzen Sätze und der scheinbar schmächtigen Kapitel», achtzehn an der Zahl; ihre Symbolik lasse man auf sich beruhen – nicht aber diesen Roman (leider nur) in Novellenstärke, nein, ganz und gar nicht. Gibt es das, ein Buch, an dem nichts auszusetzen ist, in dem einfach jeder Satz sitzt, jeder? Ja, das gibt es. Angelica Overath hat ein solches vorgelegt. Wovon es handelt? Von der grösstmöglichen Präzision der Wörter, des Ausdrucks, vom Filigran der Syntax – oder wäre «Algen» das treffendere Wort, durch die wir Leser schwimmen wie eben sonst nur die Fische in diesem Aquarium mitten in einem dieser sterilen Riesenflughäfen mit ihrem Durchleuchtungswahn, ihren Glas- und Stahlkonstruktionen. (Da lobe ich mir den Flughafen Oslo, der zur Hauptsache aus Holz besteht, beziehungsweise aus Holzverkleidungen.)
Die Pointe sei vorweggenommen: Leser dieses Romans sehen sich so unmittelbar in den Sog dieser Aquariumsgeschichte gezogen, dass sie selbst in diesem Flughafen zu sein glauben, wobei sie gar nicht merken, dass dessen Glaswelt ihrerseits ein riesiges Aquarium darstellt, in dem sie, die Leser, die Reisenden, die Aufpasser, die Gepäckdurchleuchter und Körperbetaster ihrerseits zu Fischen werden. Nur dass sie weniger bunt sind als die Fische in Tobias’ Aquarium, das im «Flight Connection Centre» steht. Ihm, dem apart aussehenden Tobias Winter, hat man dieses Aquarium anvertraut als Augenweide für gestresste oder gelangweilte Reisende, als hypnotisierendes Ablenkungsmanöver von dem Wahnsinn, dem die Flugreisenden ausgesetzt sind und der nur noch dadurch übertroffen wird, dass sie (also wir alle) ihn inzwischen im Namen der Sicherheit für normal halten.
«Flughafenfische» fragt danach, was in einer solchen Atmosphäre an Gefühlsentwicklung überhaupt noch möglich sei. Da sind, wie gesagt, Tobias, die immerfort unterwegs seiende Journalistin Elis – die gerade in China ihr Mobiltelefon verloren hat – und der Raucher, der mit Zigaretten und Whisky seiner zerbrochenen Ehe nachdenkt, eingesperrt in diese Raucherkabinen, Aquarien ohne Wasser, eine Art Vortodeszellen. Dann gibt es noch diese Champagner-Bars mit Meeresfrüchten – allein die Art, wie die Erzählerin das Öffnen von Austern beschreibt, ist die Lektüre dieses Buches wert –, und eben diese sehr gleitende, um nicht zu sagen aalglatte «Beziehung» zwischen Elis und Tobias, die miteinander gleichsam durch die Fische und Algen sprechen. Wir erfahren immens viel über das Sexualleben der Seepferdchen, den halbwegs durchtrainierten Oberkörper von Tobias, und vor allem über das Innenleben des Aquariums, können (und sollen) jedoch lediglich erschliessen, wie es um das Innere von Tobias und Elis bestellt ist; das Innere des Rauchers hingegen kann man sich, zumindest im Lungenbereich, etwas genauer vorstellen. Die Beziehung zwischen der ewig Reisenden und dem stationären Aquariumswächter kann nur ins Leere führen oder allenfalls zur Projektion ihres (Nicht-) Verhältnisses auf schlüpfrige Fische.
vorgestellt von Rüdiger Görner, London