Filtern, destillieren, veredeln!
Wie die Digitalisierung genutzt werden sollte, um Unternehmen und Bürgern einen effizienteren Umgang mit Gesetzen, Erlassen und Richtlinien zu ermöglichen.
Dass wir zu viele Gesetze haben und dass die Qualität unserer Gesetzgebung mitunter zu wünschen übriglässt, dürfte in breiten Kreisen von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik unbestritten sein. Die Globalisierung und die europäische Integration tragen ihren Teil zur steigenden Regelungsdichte und -komplexität bei. Die Unzufriedenheit nimmt zu, denn Gesetze, oder allgemeiner gesprochen Rechtsnormen, überfordern nicht selten Unternehmen sowie Bürger und schränken ihren Freiraum ein.
Seit Jahren sind verschiedene Bestrebungen im Gange, der zunehmenden Bürokratie Herr zu werden. So legt etwa der Bundesrat alle vier Jahre einen Bericht über die «administrative Entlastung» vor.1 2013 hat er die Kosten von Regulierung geschätzt und Potenziale für die Vereinfachung und Kostenreduktion identifiziert.2 Weiter werden nach Massgabe von Artikel 170 der Bundesverfassung3 einzelne Erlasse auf ihre Wirksamkeit überprüft. Schliesslich kann sich das KMU-Forum, in dem Unternehmer vertreten sind, mit bestehender Regulierung befassen und Vereinfachungen vorschlagen. Trotz dieser Bemühungen wird der Ruf nach Bürokratieabbau immer lauter. Im Fokus der derzeit diskutierten Vorschläge stehen Deregulierungsstrategien wie etwa die Regulierungsbremse und der Einsatz von Sunset-Klauseln sowie die Schaffung einer Regulierungskontrollbehörde.
Der E-Regulierungsfilter
Den Paragrafendschungel ausdünnen: gute Idee. Die Umsetzbarkeit der Deregulierungsvorschläge angesichts der zunehmenden Vielschichtigkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens: zweifelhaft. Darum sollte man Bemühungen nicht ausser Acht lassen, die darauf abzielen, den Unternehmen die Orientierung im existierenden «Regulierungsdickicht» zu erleichtern. Diese Bemühungen fristeten bisher ein Mauerblümchendasein. Gerade kleinen Unternehmen fallen die Kenntnis und Beachtung der schieren Anzahl bereits geltender und immer neu hinzukommender Regeln zunehmend schwerer. Grossunternehmen haben es da leichter: Sie richten riesige Complianceabteilungen ein, die die Gesetzeskonformität kontinuierlich überwachen und sicherstellen sollen. Für KMU ist es hingegen oft nur schon schwierig zu ermitteln, welche Gesetze für sie überhaupt massgebend sind und welche nicht.
Der Gesetzgeber, vor allem aber auch die Verwaltung, sollten darum bemüht sein, die Betroffenen im Umgang mit den einschlägigen Rechtsnormen zu unterstützen. Konkret könnte die Verwaltung eine internetgestützte Regelungssuchmaschine, einen sogenannten E-Regulierungsfilter, zur Verfügung stellen. Ausgangspunkt dieses E-Regulierungsfilters wäre eine Datenbank mit einschlägigen Suchmöglichkeiten. Die Nutzer dieses Filters könnten ihre Angaben in entsprechende Suchfelder (z.B. Rechtsform, Anzahl Mitarbeitende, Umsatz, Geschäftstätigkeit etc.) eingeben und die Datenbank würde sodann die anwendbaren Regularien herausfiltern. Die Suche müsste natürlich genügend verfeinert bzw. konkretisiert werden können. Gesetze, Verordnungen und Richtlinien sollten nicht nur nach Firmentypus, Branche etc., sondern z.B. auch nach Sachverhalt (z.B. Unternehmensliquidation einer GmbH oder Kapitalerhöhung einer Aktiengesellschaft) zu filtern sein. Doch das ist nur die Basis: Der E-Regulierungsfilter sollte bei den Suchergebnissen auch die Integration weiterer, möglichst einschlägiger Dokumente von anderen Nutzern oder die Verlinkung mit anderen relevanten Webseiten mit nützlichen Inhalten unterstützen. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, die Zuständigkeit der jeweiligen Behörden oder professioneller Dritter (Anwälte, Banken etc.) aufzulisten.
Nutzen und Chancen
Mit einem solchen E-Regulierungsfilter würden Unternehmen und Bürger also rasch und einfacher «zu ihrem Recht» kommen. Doch nicht nur das: Der Einbezug nutzergenerierter Dokumente, die z.B. Erfahrungen zum Umgang mit den bestehenden Rechtsnormen schildern, hilft auch beim Nachvollzug der bestehenden Rechtsordnungen. Gerade für KMU ohne grosse Complianceabteilungen sind solche Hilfestellungen zentral, denn die Ressourcen zum Aufbau von internem Know-how sind begrenzt – da ist es gut, wenn man von anderen, die schon vor den gleichen Herausforderungen standen, lernen kann. Falls sie trotz Recherche und allfälligem Abgleichen mit den zur Verfügung gestellten Materialien nicht weiterkommen, wüssten die Unternehmer und Bürger immerhin, an welche Stellen sie sich zwecks Auskunft zu ihren Anliegen zu wenden haben. Das alles dürfte die Kosten des Nachvollzugs senken und dessen Qualität erhöhen.
Ein solches Tool dürfte auch für Juristen und Anwälte hilfreich sein. Sie erhielten schnell und unkompliziert einen Überblick über die für ihre Kunden zu beachtenden Vorschriften. Das liesse ihnen mehr Zeit, sich auf ihre Kernkompetenzen in komplexen Fällen zu konzentrieren, wo juristisches Spezialwissen, persönliche Beratung, strategisches Verhandlungsgeschick oder kluge Prozessführungstaktik noch immer – oder vermutlich stärker denn je – gefragt und notwendig sind.
Die grösste Chance eines solchen E-Regulierungsfilters wurde bisher nicht angesprochen: Durch dessen stete Aktualisierung würde dem Gesetzgeber und der Verwaltung regelmässig vor Augen geführt, welch bunten Blumenstrauss an Regelungen die Unternehmen und Bürger tagein, tagaus zu beachten haben. Redundanzen oder Widersprüche können so viel schneller aufgespürt, mittelfristig hoffentlich abgebaut und in Zukunft schon bei der Entstehung vermieden werden. Der E-Regulierungsfilter würde die Voraussetzungen für einen Bürokratieabbau also deutlich verbessern. Mittel- bis langfristig wäre damit eine eigentliche «Smart Regulation», die diesen Namen auch verdient, tatsächlich möglich.
Last but not least würde ein derartiger E-Regulierungsfilter der schweizerischen Rechtsordnung ein Alleinstellungsmerkmal geben. Die geschaffene Transparenz und die langfristig höhere Regulierungsqualität würden die Schweiz als attraktiven und innovativen Investitionsstandort zweifelsohne stärken.
Umsetzung
Die Fachkräfte unseres Landes verfügen über die nötige Expertise, um einen E-Regulierungsfilter zu implementieren. Zudem legen andere Datenverarbeitungssysteme von Legaltech-Unternehmen nahe, dass die Entwicklung eines solchen Tools technisch möglich wäre. Rechtlich gesehen stellt sich indes eine Reihe von Fragen. So müsste primär gewährleistet werden, dass der Staat im Falle falscher Resultate durch den E-Regulierungsfilter nicht haftet.
Anfangs dürfte die technische Umsetzung aufwendig sein. Ein Team von Experten müsste die zahlreichen Regelungen analysieren, diese gemäss regelmässig auftretenden Fallkonstellationen, mit denen sich Unternehmen und Bürger konfrontiert sehen, gruppieren und die Ergebnisse in die Datenbank einspeisen. Alternativ könnte man auf Big-Data-Lösungen zurückgreifen: Im Zuge der Digitalisierung werden zahlreiche Gerichts- und Verwaltungsentscheide, aber auch rechtliche Literatur bereits elektronisch hochgeladen. Ein entsprechendes Big-Data-Tool könnte statistische Analysen von Urteilen und Behördenentscheidungen berechnen und so die anwendbaren Regeln – vermutlich weniger exakt als mit der Expertenmethode, aber doch hinlänglich genau – herausfiltern. Ein «kluges» System würde zudem lernen – und zwar aus den Suchen und Eingaben der Nutzer. Es würde also im Verlauf der Zeit intelligenter und damit treffsicherer.
Damit Unternehmen und Bürger dem E-Regulierungsfilter Vertrauen schenken, muss er präzise Daten liefern. Deshalb gilt: Gut Ding will Weile haben. Es ist anzunehmen, dass die Realisierung eines solchen Projektes erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Man sollte deshalb in kleinen, aber präzisen Schritten vorangehen. Vorstellbar wäre es, den E-Regulierungsfilter zunächst in einem einzelnen unternehmerischen Bereich anzuwenden. Idealerweise würde diese Erprobungsphase von einem Forschungsteam begleitet, das seinen Fokus auf die Praktikabilität zu richten hätte.
Auch kostentechnisch dürfte die Umsetzung eines solchen E-Regulierungsfilters aufwendig sein. Jedoch gilt es zweierlei zu beachten: Zum einen lässt sich ein entsprechendes Projekt in die E-Government-Strategie der Schweiz integrieren, wofür bereits finanzielle Ressourcen und Personal zur Verfügung stehen. Zum anderen würde der Grossteil der Kosten nur einmalig anfallen – nämlich zu Beginn. Die permanente Aktualisierung der Datenbank dürfte weit weniger kostenintensiv sein. Die anfänglich hohen Investitionen dürften sich zudem schnell auszahlen, denn das Potenzial für Einsparungen bei den regulierten Akteuren ist hoch – und ebenso langfristig die Chance auf eine Verbesserung des gesamten Regulierungsgerüsts. Eine Vorreiterrolle bei der Etablierung eines E-Regulierungsfilters nach oben erörtertem Muster würde den Standort Schweiz weiter stärken.
Bericht des Bundesrates zur administrativen Entlastung, einsehbar unter http://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Regulierung/bericht-administrative-entlastung-2016-2019.html ↩
Bericht über die Regulierungskosten, einsehbar unter http://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Regulierung/Regulierungskosten/bericht-ueber-die-regulierungskosten.html ↩
Art. 170 der Bundesverfassung lautet: «Die Bundesversammlung sorgt dafür, dass die Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.» ↩