F*ck you!
Fiktives Fluchen kann befreiend wirken.
Ich sitze auf einer Insel und schreibe einen Roman. Vor mir endlos das Meer, neben mir zirpende Zikaden. Eine verwilderte Katze liegt schnurrend unter dem Tisch. Friedvoller geht kaum. Und doch rotten sich in meinem Kopf die wüstesten Worte zusammen.
Denn in meinem Roman überführt eine Polizistin gerade einen Mörder. Als sie ihm mit gezogener Waffe gegenübersteht, brüllt sie ihm die hässlichsten Schimpfwörter ins Gesicht, die mir einfallen. Worte, die sie normalerweise nie in den Mund nehmen und die auch ich normalerweise nie zu Papier bringen, geschweige denn aussprechen würde.
Während ich die Schimpftirade aufschreibe, passiert etwas Eigenartiges: Das fiktive Fluchen bereitet mir ein ungemeines Vergnügen. Je unsagbarer die Wörter, desto grösser meine Wonne. Ich vermute, das liegt daran, dass ich etwas tue, das man gemeinhin nicht tut. Weil man zu gut erzogen ist. Nett und rücksichtsvoll zu sein, liegt uns Schweizerinnen und Schweizern geradezu im Blut.
Da fällt mir eine (deutsche) Kollegin ein, die mir erzählt hat, wie sie mit einem «Fick dich» der langjährigen Freundschaft zu einer dauerjammernden Frau ein Ende setzte. Sie bezeichnete die zwei Worte als den grössten Befreiungsschlag ihres Lebens.
Sollten wir also mehr fluchen, um uns freier zu fühlen? Ginge uns besser, wenn wir hin und wieder «Fuck you» sagen würden statt «Ja, natürlich»? Bestimmt wäre es bereits hilfreich, sich öfter zu fragen, ob man etwas wirklich tun will oder ob man es nur tut, weil von einem erwartet wird, es zu tun. Wie zum Beispiel jahrelang dem Gejammer einer Freundin zuzuhören, weil man sich nicht traut, ihr zu sagen, wie sehr sie einem auf die Nerven geht.
Fluchen als freiheitlicher Akt kann übrigens auch ohne ein Gegenüber erfolgen. In meinen Schreibkursen biete ich folgende Übung an: Stellt euch vor, dem Menschen, den ihr am wenigsten leiden könnt, gehörig die Meinung zu sagen, und schreibt das auf. Vorlesen ist stets freiwillig, eine 65jährige Teilnehmerin bestand aber darauf. Ihre verbalisierte Fluchtirade liess nicht nur mich erröten. Zum Schluss meinte sie: «Wie gut das tat!»