Faktenchecks auf dem Prüfstand
Christian P. Hoffmann, zvg.

Faktenchecks auf dem Prüfstand

Die Überprüfung von Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt wird als Bollwerk gegen Internetlügen angepriesen. Doch die Wirksamkeit von Faktenchecks hält sich in Grenzen: Das Problem von «Fake News» ist nämlich gar nicht so gross wie häufig angenommen.

Seit 2016 erlebt das Fact-Checking einen ungeahnten Boom. Nicht nur haben seither diverse etablierte Redaktionen neue Stellen für Faktenchecker geschaffen, es entstanden gar diverse neue Organisationen, die sich dezidiert Faktenchecks widmen. Auf europäischer Ebene hat sich mit dem «European Fact-Checking Standards Network» eine Art Fact-Checking-Dachverband gegründet, dem 44 Organisationen angehören. Eine jüngere Analyse1 aus den USA identifizierte 400 Fact-Checking-Organisationen weltweit – eine Verdopplung innerhalb von sechs Jahren. Sieben dieser Akteure finden sich in Deutschland, wie Correctiv oder der «Faktenfinder» der «Tagesschau». Die Schweiz stellt gemäss dieser Analyse allerdings noch eine Fact-Checking-Wüste dar.

Retter des öffentlichen Diskurses?

Fact-Checking ist lange schon ein selbstverständlicher Bestandteil des journalistischen Prozesses: Sachaussagen werden überprüft, bevor ein Bericht in der Zeitung oder am Bildschirm erscheint. Diese Art des Fact-Checking ist quasi unsichtbar, sie ist wie die Zutat eines Rezepts im fertigen Mahl allenfalls zu ahnen. Die neuen Fact-Checking-Organisationen haben einen anderen Charakter. Sie betreiben Faktenprüfung als eine eigene journalistische Gattung. Beiträge dieser Gattung werden meist als Faktencheck gekennzeichnet. Sie beinhalten die explizite Richtigstellung oder kontrollierende Prüfung einer Aussage. Dabei kann es sich um Aussagen von politischen Akteuren handeln, aber durchaus auch von Behörden, Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder gar Privatpersonen.

Nicht selten fällt der Faktencheck ein Urteil – fast wie der Test einer Konsumentenschutzorganisation. Dann werden Aussagen etwa als falsch, teilweise falsch oder irreführend gebrandmarkt. Besonders beliebt, weil fast immer zutreffend, ist auch das Urteil «fehlender Kontext» – hier könnte man die geprüfte Aussage also «korrekter» verstehen, wenn sie anders eingebettet oder gerahmt würde. Dieser wertende und urteilende Charakter ist wesentlich für die journalistische Gattung des Faktenchecks.

Warum kann der Boom der «Fact-Checking-Indus­trie»2, wie die Journalistin Emily Bell es ausdrückte, auf das Jahr 2016 zurückgeführt werden? Von zentraler Bedeutung sind hier zwei politische Grossereignisse: der Brexit und die Wahl Donald J. Trumps zum 45. US-Präsidenten. Beide Ereignisse erschütterten, da unerwartet, das politische, mediale und oft auch akademische Establishment. Eine Erklärung für die eigene Überraschung war also notwendig. Gefunden wurde sie schnell in der Verbreitung von Fake News in den sozialen Medien – wo sie im schlimmsten Fall in geschlossenen Gruppen oder in Form personalisierter Anzeigen geteilt wurden. Diese Fake News hätten – so der populäre Erklärungsansatz – zahlreiche Wählerinnen und Wähler in die Irre und in die Fänge von Populisten geführt.

Was lässt sich tun gegen diesen schädlichen Einfluss von Fake News? Eine intuitive wie auch einfache Antwort: ihre Richtigstellung – durch Faktenchecks. Diese Erkenntnis mobilisierte erhebliche finanzielle Ressourcen – der öffentlichen Hand, aber auch diverser Stiftungen – für die Rettung des öffentlichen Diskurses im Social-Media-Zeitalter. Die sozialwissenschaftliche Forschung versucht derweil zu erkunden, inwiefern das Fact-Checking tatsächlich von Erfolg gekrönt ist. Denn da diese journalistische Gattung neu ist, bestand bis vor kurzem wenig Kenntnis von ihrer Wirksamkeit.

Rechte im Fokus

Die Untersuchung der Wirkung von Fact-Checking setzt voraus, dass die Zielgrösse – die Eindämmung von Fake News – klar benannt werden kann. Dies ist jedoch alles andere als einfach. Denn der Begriff «Fake News» gilt inzwischen in Forschung und Praxis als eine analytisch weitgehend nutzlose Kampfvokabel. Bezeichnete er ursprünglich in betrügerischer (meist kommerzieller) Absicht verbreitete Pseudonachrichten, so erweiterte er sich schnell auf zum Zweck der politischen Überzeugung verbreitete nicht oder nicht vollständig zutreffende oder eben irreführende Informationen. Diese Bedeutungserweiterung ging damit einher, dass politische Akteure begannen, sich grosszügig gegenseitig der Verbreitung von «Fake News» zu bezichtigen.

Bevorzugt genutzt werden daher in der Forschung heute zwei andere Begriffe: Desinformation und Misinformation. Erstere beschreibt eine in irreführender Absicht verbreitete falsche Information – im Falle der Misinformation ist hingegen keine solche Absicht vorausgesetzt. Strittig ist, ob Des- oder Misinformation tatsächlich faktisch falsch…