Exponentiell im Vorteil
Das Zusammenspiel der beiden Schlüsseltechnologien Quantum und künstliche Intelligenz könnte bisher verborgene Kräfte freisetzen. Doch es muss darüber geredet werden, wer die Verantwortung für die Resultate trägt.

«Es scheint, als habe die Zukunft begonnen», schrieb der Physiker John Preskill 2019 und bezog sich damit auf die heraufziehende Ära des Quantencomputing. Fast sechs Jahre später wirkt das wie eine Untertreibung. Seitdem hat sich die Quantentechnologie in rasanten Entwicklungsschritten von einem abseitigen, experimentellen Feld in einen globalen Wettlauf um Macht, technologischen Vorsprung, Zugang zu den Zulieferindustrien und um eine wirtschaftliche Vorreiterrolle entwickelt.
Weltweit versuchen Staaten und Unternehmen ihre Vorreiterrolle auszubauen, mit einem Investitionsvolumen von bisher mehr als 40 Milliarden Dollar. Jedes Jahr werden neue Unternehmen gegründet, die Quantentechnologien zur Marktreife bringen möchten, wobei die geringe Anzahl der Neugründungen zeigt, dass Quantentechnologien ein hohes Mass an vorangehender Forschung und Entwicklung benötigt. Weltweit gibt es nur etwa 400 Start-ups, die in den letzten beiden Jahren einen bedeutenden Wertzuwachs verzeichnen konnten. In den letzten Jahren sind 11,5 Milliarden Dollar private Investorengelder in diese Firmen geflossen, das meiste davon in den letzten fünf Jahren. Damit unterstützen sie eine Branche, der eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von rund 35 Prozent prognostiziert wird.
«Weltweit gibt es nur etwa 400 Start-ups, die in den letzten beiden Jahren einen bedeutenden Wertzuwachs verzeichnen konnten.»
Radikale Neuausrichtung
Sprechen wir über Quantentechnologie, sprechen wir nicht nur über eine Weiterentwicklung oder Verbesserung bestehender Technologien, sondern über eine radikale Neuausrichtung der Prinzipien, auf denen diese Technologien beruhen. Wir sprechen über Technologien, die quantenmechanische Prinzipien nutzen, also das Verhalten der kleinsten Elementarteilchen, aus denen Materie zusammengesetzt ist. Ihr Verhalten ist kontraintuitiv zu unserer täglichen Wahrnehmung und wird doch bereits wirtschaftlich wertstiftend genutzt in Anwendungen in der Kommunikation, der Sensorik und im Computing.
Will man das Potenzial eines Quantencomputers verstehen, ist es hilfreich, die Unterschiede von Determinismus und Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Während klassische Computer deterministisch arbeiten, also bei identischer Eingabe stets das gleiche exakte Ergebnis liefern, liefert der Quantencomputer ein wahrscheinliches Ergebnis. Durch das Nutzen von quantenmechanischen Eigenschaften der Recheneinheiten (der QuantumBits) berechnet der Quantencomputer ganze Wahrscheinlichkeitsräume simultan, um ein Ergebnis zu liefern. Den grössten Nutzen davon hat man, wenn man Berechnungen über die Natur oder von komplexen Systemen anstellen möchte, zum Beispiel, ob ein spezifisches Medikament bei einer bestimmten Erkrankung wirksam ist, welche Investmentstrategie die Rendite unter volatilen Marktbedingungen maximiert oder welcher Weg die Lieferzeit minimiert, wenn unzählige Variablen berücksichtigt werden müssen.
Ein Quantencomputer liefert keine eindeutige Lösung, sondern ein Spektrum an Möglichkeiten, aus denen er die wahrscheinlichste oder effizienteste Option identifiziert. Er spiegelt damit die Komplexität unserer Welt weitaus besser wider als klassische Rechner. Keine andere Aussage wie die des amerikanischen theoretischen Physikers und Nobelpreisträgers Richard Feynmann 1981 erklärt die Tragweite dieser Unterscheide zwischen klassischen Berechnungen und Quantenberechnungen passender: «Die Natur ist nicht klassisch, und wenn man eine Simulation der Natur machen will, sollte diese besser quantenmechanisch sein.»
«Ein Quantencomputer liefert keine eindeutige Lösung, sondern ein Spektrum an Möglichkeiten, aus denen er die wahrscheinlichste oder
effizienteste Option identifiziert.»
Erst in den 1990er-Jahren wurden erste Versuche unternommen, Quantencomputer zu bauen, zeitgleich mit der Entwicklung erster Algorithmen, die zeigten, dass Quantencomputer eine praktische Anwendung mit exponentiellem Geschwindigkeitsvorteil gegenüber klassischen Computern haben könnten. Klassische Computer stossen an ihre Grenzen, wenn sie versuchen, Quantensysteme nachzubilden, da sie nicht für diese Art von Berechnungen ausgelegt sind. Quantencomputer hingegen, die selbst auf Quantenprinzipien basieren, sind ideal für solche Aufgaben.
Geopolitisches Machtinstrument
Doch Quantentechnologien sind schon lange nicht mehr nur eine Frage wissenschaftlicher Neugier, sondern ein strategisches geopolitisches Machtinstrument, das durch das Zusammenspiel mit der bahnbrechenden Entwicklungsgeschwindigkeit von künstlicher Intelligenz (KI) an Bedeutung gewinnt. Das gesamte Potenzial von Quantum und KI wie auch die Möglichkeiten, die sich aus ihrem Zusammenspiel ergeben, sind noch nicht ganz verstanden. Wie man aus den ersten Handys die Apps noch nicht erahnen konnte, so kann man auch heute wenig darüber sagen, wie genau Quantencomputing in Zukunft genutzt werden wird.
Was wir aber bereits wissen, ist, dass sie bestehende digitale Verschlüsselungsmethoden obsolet machen werden. Unsere Daten, die wir vermeintlich geschützt wissen, werden bereits jetzt gestohlen, um sie später, wenn Quantencomputing zum Standard geworden ist, in Sekundenschnelle zu entschlüsseln. Regierungen und Geheimdienste sind aufgrund des Vorgehens «Ernte jetzt, entschlüssle später» in einen Wettlauf um die Überlegenheit in der neuen Technologie getreten. Um zu reüssieren, gilt es, in der Skalierung der Rechenleistung die Fehler bei der Berechnung kleinzuhalten. Ende 2024 hat die Ankündigung von Googles neuem Chip, der genau das verspricht, nicht nur die Aktienmärkte verrücktspielen lassen, sondern auch in der akademischen Gemeinschaft grosses Interesse ausgelöst.
Schon jetzt stossen klassische Computer beim Umgang mit den Daten grosser KI-Modelle an ihre Grenzen. Quantencomputing bietet das Potenzial, komplexere KI-Modelle präziser und schneller zu verarbeiten. Die Kombination von Quantencomputing und KI würde nicht nur die Berechnungen effizienter machen, sondern auch Modelle ermöglichen, die bislang aufgrund ihrer Komplexität nicht realisierbar waren. Die Beeinflussung dieser beiden Technologien geht in beide Richtungen: Quantentechnologie beeinflusst KI – und KI beeinflusst Quantentechnologie.
Von der KI versprechen wir uns vor allem, dass sie dabei unterstützt, Rechenoperationen in einem Quantencomputer zu automatisieren und zu optimieren. Davon sind wir nicht weit entfernt. Probleme gibt es allerdings bei der Entwicklung stabiler Recheneinheiten, den Qubits. Dank KI könnten leistungsfähigere Quantenalgorithmen entwickelt werden sowie fehlerfreie Quantensysteme: Sie sind schneller und robuster und rascher einsatzfähig für den Einsatz zur Simulation von Molekülen, Finanzmodellen oder in der Prozessoptimierung.
Neue Materialien und Medikamente
Die Entwicklung in die andere Richtung ist aber fast interessanter: wenn Quantenrechner fehlerfrei funktionieren und immer grössere KI-Modelle berechnen können – auf Sprache basierend (Large Language Models) und auf Zahlen basierend (Large Quantitative Models). Die Anwendungsfälle einer KI mit oder ohne Einbezug eines Quantencomputers bleiben gleich. Aber die Geschwindigkeit und die Genauigkeit der Modelle ändern sich dramatisch.
Möchte man zum Beispiel Klimasimulationen durchführen, erfordert dies zahlreiche miteinander verknüpfte Variablen. Aktuelle Modelle sind oft durch die Rechenkapazitäten klassischer Supercomputer begrenzt. Doch Quantencomputer könnten komplexe Modelle wie Klimamodelle effizienter berechnen und somit genauere Vorhersagen oder effizientere Klimaschutzstrategien ermöglichen. Auch könnte die präzise Simulation von Quantensystemen in der Chemie oder der Pharmazie für klassische Computer ressourcenintensiv und unpraktikabel sein. Durch direkte Nachbildung der Quantenmechanik auf einem Quantencomputer ist es jedoch direkt möglich, Molekülstrukturen und chemische Reaktionen effizienter zu simulieren, was neue Produkte in der Materialwissenschaft und Pharmazie verspricht.
Der Einsatz von Quantencomputern verspricht die Limitationen eines klassischen Computers zu umgehen, die Prozesse der KI somit erheblich beschleunigen zu können und deren Genauigkeit zu verbessern. Wir sprechen von einer Beschleunigung der Prozesse in einem Masse, dass wir Berechnungen durchführen können, die mit klassischen Computern nur in mehreren Lebzeiten möglich wären.
Ein ethisches Quantenfundament
Auf den Technologien der Medikamentenentwicklung basiert auch die Entwicklung biologischer Waffen, und mit der Technologie medizinischer Quantumsensoren können Waffen für die Kriegsführung eingesetzt werden. Deshalb braucht unsere Gesellschaft ein ethisches Fundament, das sicherstellt, dass die durch Quantentechnologie ermöglichte Macht zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt wird und allen auf dem Globus zugänglich ist. Unsere demokratische Gemeinschaft braucht einen Fokus auf Bildung an Schulen und Universitäten, die nicht nur technisches Wissen vermitteln sollen, sondern auch die philosophischen und ethischen Fragen dieser neuen Ära diskutieren.
Wir Forscher, Entwickler, Finanzierer und Förderer müssen uns bewusst sein, dass wir ein Teil der Entscheidung sind, ob diese Technologien die Menschheit voranbringen oder bestehende Ungleichheiten vertiefen. Die Geschichte zeigt, dass technologische Entwicklungen oft schneller voranschreiten als unser Verständnis ihrer Konsequenzen. Nicht Machtkämpfe, sondern verantwortungsbewusste Forschung, ethische Leitlinien und internationale Zusammenarbeit sollten Priorität haben in dieser Epoche des Fortschritts. Kein einzelnes Unternehmen und kein Staat kann die gesamte Komplexität von Quantentechnologien allein bewältigen. Statt eines Wettrüstens benötigen wir Netzwerke des Wissensaustauschs und der Zusammenarbeit.
«Die Geschichte zeigt, dass technologische Entwicklungen oft schneller voranschreiten als unser Verständnis ihrer Konsequenzen.»
Vielleicht sollten wir uns an der Quantenmechanik selbst ein Beispiel nehmen: Der Determinismus prägte über Jahrhunderte das wissenschaftliche Weltbild als Modell einer berechenbaren, vorherbestimmten Welt. Demgegenüber steht die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit für Offenheit und für Ungewissheit. Im Gegensatz zur deterministischen, abgeschlossenen und rigiden Welt lässt eine probabilistische Welt Raum für Zufall, für Kreativität, für neue Möglichkeiten, die nicht streng aus der Vergangenheit hervorgehen.