Europas trotzige Peronisten
Politiker und Medien blicken verächtlich auf Disruptoren wie Javier Milei oder Elon Musk. Der alte Kontinent verwaltet das Bestehende, statt Neues zu wagen.
FDP-Chef Christian Lindner hat in Deutschland einen mittleren Shitstorm ausgelöst, als er in einer Talkshow forderte, Deutschland solle «ein kleines bisschen mehr Musk und mehr Milei wagen». Die politischen Gegner jaulten auf ob der Idee, von einem innovativen Unternehmer wie Elon Musk oder dem libertären argentinischen Präsidenten Javier Milei zu lernen. Selbst CDU-Chef Friedrich Merz erklärte sich in einer anderen Talkshow (deutsche Politiker sitzen gerne in Talkshows) «völlig entsetzt» über Lindners Worte. «Was dieser Präsident dort macht, ruiniert das Land.»
Die entsetzliche Politik, die Merz dermassen in Rage bringt, besteht darin, den Staatshaushalt zu sanieren, die Inflation massiv zu reduzieren und die Handelsbilanz von einem Defizit in einen Überschuss zu drehen. Natürlich kommt der harte Sparkurs von Milei nach Jahren der peronistischen Misswirtschaft nicht ohne Preis: Die argentinische Wirtschaft ist zwar auf Erholungskurs, steckt aber noch immer in einer Rezession – aber diesbezüglich steht Deutschland bekanntlich kaum besser da.
Was Musk und Milei gemeinsam haben, ist, dass sie von europäischen Politikern und Medien regelmässig als «ultrarechts», «populistisch», «autoritär» oder gar «faschistisch» gebrandmarkt werden. Dabei würden die Kritiker gut daran tun, sich Mileis Massnahmen genauer anzusehen. Das gilt auch für die Pläne von Musk, die US-amerikanische Bürokratie zurückzustutzen.
Denn die Probleme mit Überregulierung und Wettbewerbsschwäche sind in der EU grösser als in den USA, und die Europäische Union trägt einen guten Teil der Schuld daran. Hier die Fakten:
- Der amerikanische Ökonom Andrew McAfee zeigte kürzlich in einer eindrücklichen Grafik, wie es um die wirtschaftliche Dynamik Europas steht. Er verglich die Zahl der Unternehmen, die jünger als 50 Jahre alt und mindestens 10 Milliarden Dollar wert sind. In Europa sind das ein Dutzend – am grössten ist Spotify mit einer Marktkapitalisierung von rund 100 Milliarden Dollar. Nicht schlecht, aber kein Vergleich zu den USA, wo gleich sechs Firmen das Zehnfache davon und mehr erreichen. Es sind allesamt Tech-Unternehmen.
- Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, zeigt in einem Bericht vom vergangenen September die Innovations- und Wettbewerbsschwäche der EU schonungslos auf. Ein wesentliches Hindernis sind bürokratische Hürden. So gibt es 270 verschiedene Regulierungsbehörden allein für digitale Märkte. (Ironischerweise glaubt Draghi, das Problem der Innovationsschwäche liesse sich mit mehr staatlichen Investitionen lösen – obwohl das der einzige Bereich ist, in dem die EU die USA übertrifft.)
- Auf einen weiteren, unterschätzten Faktor verweisen die beiden französischen Unternehmer Olivier Coste und Yann Coatanlem in einem kürzlich veröffentlichten Paper: Die Kosten von Fehlern sind in Europa zu hoch. Die Autoren schätzen, dass Restrukturierungen Firmen in den USA 2 bis 4 Monatslöhne pro Arbeitnehmer kosten. In Europa liegen die Kosten aufgrund der strengen Arbeitsgesetze rund zehnmal höher. (Die Schweiz loben Coste und Coatanlem übrigens als positive Ausnahme.) Da verwundert es wenig, dass Unternehmen in Europa kaum investieren – insbesondere im Tech-Bereich, der risiko-, aber auch ertragsreich ist.
Europa steckt (noch) nicht in einer Krise, die Kettensägenmassnahmen wie in Argentinien erfordern würde. Doch dem Kontinent fehlt die amerikanische, von Dynamik und Risikobereitschaft geprägte Mentalität.
Friedrich Merz und die anderen europäischen Peronisten dürfen aufatmen: Weder Deutschland noch Europa werden «mehr Milei» oder «mehr Musk» wagen. Sie werden weiterhin das Bestehende verwalten – womit die wirtschaftliche Schere zwischen den USA und dem alten Kontinent weiter aufgehen dürfte. Wer Neues sucht, wird in Europa lediglich auf neue Museen stossen.
Europa strebt nach Stabilität auf Kosten der Dynamik. Und bekommt am Ende keines von beidem.
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