Es werde Licht in den
staatlichen Statistiken!

Offizielle Zahlen werden oft gefälscht – wie stark, zeigt der Vergleich mit Nachtbildern von Satelliten. Die eifrigsten Manipulatoren sind autoritäre Regierungen.

Es werde Licht in den  staatlichen Statistiken!
Bruno S. Frey (l.) und Louis Moser, zvg.

 

Winston Churchill soll einmal gesagt haben: «Ich glaube nur an Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.» Regelmässig gibt es Berichte in den Medien, welche diese skeptische Sichtweise gegenüber offiziellen Statistiken bestärken. Europäische Länder wie Griechenland und Italien wurden beschuldigt, die Höhe ihres Haushaltsdefizits und ihrer Staatsverschuldung im Zusammenhang mit dem Beitritt zum Euro-System gefälscht zu haben. Andere Länder wie Argentinien, die Türkei und China haben Berichten zufolge viele offizielle Wirtschaftsstatistiken manipuliert.

Die Türkei ist ein Beispiel, wie erheblich diese Manipulationen sein können. Dem «Economist» zufolge hat Ende Juni 2022 eine Gruppe von Forschern die Inflation in der Türkei auf 160 Prozent geschätzt – das Doppelte der offiziellen Rate von 79 Prozent. Gemäss einer Umfrage schenken sieben von zehn Einwohnern den Zahlen dieser Gruppe mehr Glauben als jenen der Regierung.

Das Wissen um die Diskrepanz zwischen der realen und der offiziell kommunizierten Wirtschaftslage ist auch für die Forschung wichtig. Viele empirische Analysen verwenden offizielle Daten, um Wirtschaftsfaktoren zu analysieren und vorherzusagen. Wenn diese Daten systematisch verzerrt sind, wird vermutlich auch die zukünftige Entwicklung der Wirtschaft falsch vorausgesagt.

Halb so starkes Wachstum wie angegeben

Der tatsächliche Zustand einer Wirtschaft ist schwierig zu ermitteln, gerade weil bei den zur Verfügung stehenden Statistiken die Möglichkeit systematischer Manipulationen durch die Regierungen besteht. Aus diesem Grund verwenden wir einen Indikator für die Wirtschaftslage, der von Regierungen kaum oder gar nicht beeinflusst werden kann: die von Satelliten erfasste nächtliche Beleuchtung. Je heller ein Land in der Nacht ist, desto höher ist seine Wirtschaftsleistung. Umgekehrt weist ein nächtlich wenig beleuchtetes Land auf eine geringe Wirtschaftsleistung hin. Der sich ergebende Unterschied zwischen dem offiziell ausgewiesenen Bruttoinlandsprodukt und dem «wahren» Inlandsprodukt, geschätzt anhand der nächtlichen Beleuchtung, zeigt das mögliche Ausmass an staatlicher Manipulation der offiziellen Statistik.

Je autoritärer ein Staat ist, desto mehr neigt er dazu, die Wachstumsraten des Sozialprodukts aufzublähen. Luis Martinez, Professor an der Universität Chicago, schätzt aufgrund sorgfältiger Untersuchungen, dass autoritäre Staaten das Wachstum ihres Inlandsproduktes bis zu 35 Prozent überhöhen. Die Zunahme des Inlandsproduktes solcher «nicht freien» Länder zwischen 2002 und 2021 wird im Durchschnitt offiziell mit 147 Prozent ausgewiesen, gemäss den Satellitendaten betrug sie nur 67 Prozent, also nur etwa halb so viel. Gemäss der «South China Morning Post» hat die Region Innere Mongolei in China ihre Zahlen für die industrielle Produktion 2016 um nicht weniger als 40 Prozent übersteigert angegeben.

Zwei Faktoren erhöhen die Anreize autoritärer Staaten, offizielle Daten zu manipulieren. In Staaten mit schwachen demokratischen Institutionen kann es sich die Regierung erstens eher erlauben, Daten zu fälschen. Zweitens können autoritäre Staaten in Krisenzeiten stark unter Druck geraten, weil diese Regime einen guten Teil ihrer Legitimität aus einer guten wirtschaftlichen Leistung ableiten. Gerade in China beruht die Dominanz der Kommunistischen Partei und ihres Präsidenten wesentlich auf einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung. Aus diesem Grund haben dort alle bürokratischen Einheiten einen starken Anreiz, das Inlandsprodukt überhöht auszuweisen. Wenn offizielle Daten manipuliert wurden, hat eine autoritäre Regierung zudem einen Anreiz, die Pressefreiheit weiter einzuschränken.

Entwicklungsländer neigen ebenfalls dazu, ihre offiziellen Statistiken zu manipulieren. Da sie meist autoritär regiert sind, werden Statistiken zur wirtschaftlichen Entwicklung übertrieben dargestellt. Andererseits haben gerade arme Länder einen Anreiz, ihr Pro-Kopf-Einkommen besonders tief auszuweisen, weil sie dann eher von anderen Staaten und internationalen Organisationen mit Entwicklungsgeldern unterstützt werden. Je stärker ein Land mit anderen Ländern verknüpft ist, das heisst je offener es politisch und wirtschaftlich ist, desto schwieriger ist es allerdings, das Sozialprodukt zu niedrig anzugeben. Dafür gibt es zwei Gründe: einerseits, weil mit einer steigenden internationalen Verknüpfung die Überprüfung der wirtschaftlichen Leistung einfacher einzuschätzen ist, und andererseits, weil zu tief ausgewiesene Statistiken abweisend auf andere Länder wirken, da diese befürchten,…