Es klopft
Der Mittelstands-Ehemann, kein Mörder Der Titel wäre von gerissener Simplizität. Wer klopft, könnte immer schon jener sein, auf den wir ein Leben lang warten. Hier aber ist es Eros, der sich ankündigt. Es klopft eine fremde Frau. Zuerst ans Zugfenster. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt hinter der Scheibe ignoriert sie. Doch wenig später klopft sie erneut, an die […]
Der Mittelstands-Ehemann, kein Mörder
Der Titel wäre von gerissener Simplizität. Wer klopft, könnte immer schon jener sein, auf den wir ein Leben lang warten. Hier aber ist es Eros, der sich ankündigt. Es klopft eine fremde Frau. Zuerst ans Zugfenster. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt hinter der Scheibe ignoriert sie. Doch wenig später klopft sie erneut, an die Tür seiner Praxis, mit einem unerhörten Begehren: sie will ein Kind von ihm, und zwar sofort. Es gehe ihr weder um Geld noch Gefühle, und nach vollbrachter Tat werde sie verschwinden, auf immer. Dr. Manuel Ritter, glücklicher Ehemann und zweifacher Vater, weist sie ab. Doch die Bitte wird sogleich zur Verführung. Der Mann wird männlich schwach und vergisst alle Ordnung und Regel. Seiner Familie sagt er nichts. Fast geht das Leben weiter wie zuvor.
Ein zweites noch meint der Titel: Tinnitus, das penetrante Klopfen im Ohr, weder Tod noch Liebe also, sondern eine Krankheit. Ausgerechnet Ritter bekommt sie, der Ohrenarzt. Auch dieses Klopfen bricht in das bürgerlich-erfolgreiche Leben ein. Es hat mit jenem anderen Klopfen zu tun, bringt jenes zurück, verschmilzt mit ihm; denn die frühe Begegnung mit der Fremden führte zu einer Tochter, die der Glücks-Ritter nie gesehen hat, von der die Familie nichts weiss und die nun auf einmal in Erscheinung zu treten droht.
Die Literatur kennt zahllose Varianten der Geschichte vom Mittelstands-Ehemann, der in der Blüte seiner Jahre von nur scheinbar verjährten Erlebnissen gestellt wird, die Lebenslügen genannt werden. Hohler wechselt von der Perspektive Ritters zu jener seiner Frau Julia, dann zu jener anderer Protagonisten, stellt Fragen in den Raum, operiert mit Widersprüchen, mit rätselhaften Andeutungen und Zeitsprüngen. Ist denn ein Verbrechen geschehen, und wenn ja, welches, und wer war’s? Am Schluss, nach einem schlecht und recht motivierten Unfall, wird wacker gebeichtet, und es gibt so etwas wie ein Happy End.
Ich gestehe, dass mich dieses hoffnungsfroh ergriffene Büchlein enttäuscht und gelangweilt hat. Die Tragkraft der Story ist beschränkt. Ihre Sprache wirkt über weite Strecken hinweg reizlos. Die Figuren finden kaum aus der Blässe ihrer Konstruktion. Die Leitmotive und mythisch-literarischen Anspielungen, deren Symbolgehalt undeutlich bleibt, wirken oft arg aufgesetzt. Im Kleinen ödet der eingestreute Gesellschaftskritikkitsch an, im Grossen ist das Moralisieren von schädlicher Biederkeit. Dass das Leben nichts vergisst, darf als bekannt gelten. So what? Wer keine natürlichen Töchter hat, werfe den ersten Stein.
vorgestellt von Thomas Sprecher, Zürich
Franz Hohler: «Es klopft». München: Luchterhand, 2007.